Krieg und Kriegsende in der Lingener Hindenburgschule

Elisabeth Wempe, geb. Voges, erlebte die schweren Kämpfe zwischen Lingen und Laxten

Um die Hindenburgschule (heute Overbergschule) für feindliche Flugzeuge als Lazarett kenntlich zu machen, wurde auf dem Schulhof ein große Rotes-Kreuz-Zeichen markiert. Im Hintergrund die Josefs-Kirche in Laxten.

An der östlichen Peripherie der Stadt direkt an der Grenze zu Laxten entstand Anfang der 1930er-Jahre für die Schüler jenseits der Bahnlinie die Hindenburgschule (heute Overbergschule). Das große Schulgebäude hatte Betondecken, war voll unterkellert und besaß eine Turnhalle, die als Mehrzweckraum genutzt werden konnte. Kurzum: in Kriegszeiten ein idealer Standort für militärische Zwecke.

Hier erlebte Elisabeth Wempe, geb. Voges (Jg. 1930) die Kriegszeit und das Kriegsende, denn sie war die Tochter des dortigen Hausmeisterst. Die Familie mit fünf Kindern wohnte im Dachgeschoss der Schule in einer großen Wohnung.

Gleich zu Kriegsbeginn wurde in der Hindenburgschule ein Teillazerett eingerichtet mit Stationen für Innere Medizin sowie für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Elisabeth Wempe erinnert sich noch, dass hier unter anderem die Lingener Ärzte Dr. Bergmann und Dr. Stüting die Patienten versorgten, später auch Dr. Billenkamp aus Thuine und Dr. Stockmann aus Salzbergen.

Bald diente die Schule zur Unterbringung von polnischen Kriegsgefangenen, später kamen auch deutsche Soldaten hinzu, aber nur einige Leichtverwundete. Nach Flugzeugabschüssen kamen auch englische und amerikanische Verwundete in das Lazarett Hindenburgschule. Mit Krankenwagen und Zivilfahrzeugen wurden die Kranken und Verwundeten antransportiert. Auch die Turnhalle stand zeitweise voll mit Krankenbetten. Um das Gebäude für feindliche Flugzeuge als Lazarett kenntlich zu machen, wurde auf dem Schulhof ein großes Rotes Holz in die Pflasterung eingearbeitet.

Die Kranken und Verwundeten wurden mit Wehrmachtskrankenwagen und Zivilfahrzeugen in die Hindenburgschule transportiert

Die Schüler gingen in dieser Zeit zur Dietrich-Eckert-Schule (frühere evangelische „Postschule“ an der Marienstraße). 1943 wurde das Lazarett aufgehoben. Nun wurde der Unterricht mehrerer Schulen aus der Innenstadt in die Hindenburgschule verlegt.

Zeitweise diente die Hindenburgschule aber auch zur Unterbringung von holländischen Zwangsarbeitern, die für die Organisation Todt (NS-Bauorganisation) und beim Bau der „Emsstellung“ arbeiten mussten. Hinzu kamen Abiturientenklassen aus der Oldenburger Land. Die Jungen mussten ebenfalls beim Schanzen helfen.

Kurz vor Kriegsende wurde in der Schule ein Flüchtlingslazarett eingerichtet. Die Turnhalle diente nun als Sanitätsdepot und war bis oben hin vollgestopft mit Medikamenten und Verbandsmaterial.

Bei den Kämpfen um die Lingener Innenstadt war es hier zunächst noch ruhig, doch dann setzte starker Artilleriebeschuss durch die Engländer ein, die nach der Einnahme der Innenstadt die Bahnlinie überquerten und in Richtung Laxten vorstießen.

Viele Zivilisten, Flüchtlinge und Nachbarn zogen nun in die Kellerräume der Schule. Es waren wohl um die hundertunddreißig Personen, ein buntes Völkchen, darunter auch die Hausmeisterfamilie Voges. Eine „braune Schwestern“ (der NS-Schwesternschaft) war auch darunter, hat ihre braune Uniform aber beizeiten verschwinden lassen.

Unter dem Beschuss barsten die Fensterscheiben und als auch die Kellerfenster zersplitterten zogen sich alle in die hinteren Kellerräume zurück. Das Leitungswasser war abgestellt. In den Gefechspausen versorgten sie sich aus einer Pumpe im Hof eines Nachbarhauses. Dabei kamen ein Nachbar, Herr Müller von Georgstraße, und ein Soldat durch Granatsplitter ums Leben. Einer der Kellerräume war bis unter die Decke mit Keksen vollgepackt, die eigentlich für die Kriegsweihnacht 1944 vorgesehen waren, aber nicht mehr ausgeliefert werden konnten. Damit versorgten sich die Kellerbewohner etwa eine Woche lang. Wir waren acht Tage im Keller.

Von der Laxtener Seite aus war die Hindenburgschule kaum beschädigt und sah noch ziemlich unversehrt aus. Als die nur wenige hundert Meter entfernte Kirche und das Pfarrhaus in Laxten unter Beschuss kamen, wollten die Bewohner in die Hindenburgschule flüchten. Der Beschuss war aber zu stark und es war zu gefährlich:

Am Freitag nach Ostern war die Front durchgezogen. An der Straßengabelung Lengericher / Frerener Straße hatte es schwere Kämpfe gegeben, aber die Hindenburgschule lag etwas abseits davon. Nur für die Artillerie bildete das hohe Gebäude ein ideales Ziel.

Die Hindenburgschule (heute Overbergschule) bildete ein markantes Bauwerk am damals noch größtenteils unbebauten östlichen Peripherie des Stadtgebiet

Nach dem Einmarsch der Engländer mussten die Zivilisten noch einen Tag im Schulkeller bleiben und durften dann nach oben. Die Schule musste geräumt werden, denn sie diente nun als Quartier für die Besatzungstruppen. Die Familie Voges fand Aufnahme in einem Nachbarhaus, konnte aber bald in die Hausmeisterwohnung der Schule zurückkehren.

In der ersten Zeit feierten die Engländer und Kanadier in der Schule tüchtig ihren Sieg. Bei Dunkelheit machten sich manche auf den Weg in die Nachbarschaft, um nach jungen Frauen zu suchen. Die hatten sich natürlich versteckt, darunter auch Maria, die ältere Schwester von Elisabeth Voges. Einmal verlangte ein Soldat mit gezogener Pistole die Herausgabe der Schwester. Es gelang aber, den Kommandanten in der Hindenburgschule zu alarmieren und der Soldat wurde abgeführt. Am nächsten Tag wurde ein Protokoll aufgenommen, das die Zeugen mit dem Schwur auf die Bibel beeiden mussten. Das hatte es in der Nazi-Zeit nicht gegeben. Der Täter sollte angeblich vor ein Kriegsgericht gestellt werden – jedenfalls war er nach ein paar Tagen aus Lingen verschwunden.