Industrie und Mensch

Mit Schachtbau und Tiefbohrungen fing es an

Bohrmannschaft um 1955

„Der Erfolg eines Unternehmens ist immer so stark wie die Qualität der menschlichen Beziehungen seiner Mitarbeiter“. So lernten es ganze Generationen von Führungskräften im Hauptseminar zur Unternehmenskommunikation. Für die Beschäftigten und für ganze Lingen plötzlich und unerwartet…

wurde in diesen Tagen die Entscheidung der Neptun-Energy GmbH bekannt, den traditionsreichen Standort Lingen vollständig zu schließen und in Hannover eine neue Firmenzentrale einzurichten. Was hier als Begründung angeführt wurde, mag nachvollziehen können wer will – oder eben auch nicht. Doch das kann nicht Gegenstand dieses Blogbeitrag sein.

Das Emslandmuseum blickt hier einfach einmal zurück auf die Anfänge der Firma in Lingen vor über 70 Jahren. Durch zahlreichreiche Umstrukturierung kam die Schachtbau in den 1990er-Jahren zuerst an die Firma Deilmann, dann 2008 an Gaz de France (GDF) Suez (später umbenannt in ENGIE) und schließlich 2018 zur Neptun Energy GmbH.

1958 hielt das Unternehmen Rückschau auf zehn Jahre am Standort Lingen. In einer damaligen Darstellung heißt es:

„Im Juli 1940 unternahm es die Deutsche Schachtbau- und Tiefbohrgesellschaft, die damals noch ihren Sitz in Salzgitter hatte, als erstes deutsches Unternehmen im Emslande, dessen geologische Verhältnisse noch ungeklärt waren, nach Erdöl zu bohren.

Als sie im Mai 1940 in ihrer gemeinsam mit ihrem Konsortialpartner Gewerkschaft Elwerath abgeteuften zweiten Aufschlussbohrung in der Gemarkung Dalum einen wirtschaftlichen Ölfund aufweisen konnte, war dieses Ereignis zwar die Geburtsstunde einer neuen deutschen Erdölprovinz und der Anlaß zur Forschung nach weiteren Ölansammlungen in dieser Gegen, jedoch konnte kaum jemand an diesem Zeitpunkte voraussehen, welche außerordentliche Bedeutung die Ölvorkommen des Emslandes für die deutsche Volkswirtschaft und Energieversorgung in kurzer Zeit erlangen würden und welche Auswirkungen die Entwicklung einer neuen Industrie vor ihren Toren auf die Stadt Lingen haben würde. Heute [1958] ist Lingen über seine ursprüngliche Bedeutung als Marktstadt und Sitz umfangreicher Eisenbahnwerkstätten hinaus als Zentrum der emsländischen Ölverarbeitungsstätten ein Begriff geworden.

Die Deutsche Schachtbau- und Tierbohrgesellschaft, die im Jahre 1948 Verwaltung und Betrieb nach Lingen verlegt hat, kann als Nachfolger des international bekannten Unternehmens des Erdölpioniers Anton Raky, dem zahlreiche Erfolge in der Suche nach Bodenschätzen, besonders Erdlöl, Eisenerz und Steinkohle im Inlande und Auslande in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts zu verdanken sind, auf eine langjährige Tradition zurückblicken. In den vergangenen 10 Jahren ihres Wirkens von Lingen aus ist ihre durch gesunden Wagemut und vorausschauende Planung bestimmten Arbeit im Raum nördlich der Stadt die Auffindung von zwei sehr bedeutenden und zwei kleineren Ölvorkommen gelungen, von denen sich Rühlermoor als größtes deutsches Ölfeld hinsichtlich Ausdehnung und Ölvorrat mit bekannten ausländischen Lagerstätten messen kann.

Fast 14% der deutschen Jahres-Erdölproduktion werden aus den Vorräten des mächtigen Ölsandes der Struktur Rühle gefördert. Bis zum Jahresende werden von der Schachtbau in Konzession rd. 600 Bohrungen mit insgesamt etwa 600.000 Bohrmetern (durchschnittliche Tiefe der Bohrlöcher demnach 1000 m) geteuft sein, welche bisher 3,3 Millionen to Öl geliefert haben und voraussichtlich noch viele Jahre produzieren werden.

Ein Netz von Rohren, deren Gesamtlänge weit über 1000 Kilometer mißt, ist unterirdisch und über Tage installiert, um Öl und Gas aus der Tiefe zu heben und in den Pump- und Sammelstationen zusammenzuführen, von denen es durch Ölleitungen größeren Durchmessers über Entfernungen von insgesamt 35 km nach der Raffinerie Holthausen oder nach Verladestationen an Kanal oder Bahn zur Beförderung an andere Verarbeitungswerke an Rhein und Ruhr gepumpt wird.

Das dabei anfallende Erdölgas wird in Form von Flüssiggas oder Methan Haushaltungen und Industrieunternehmungen zugeleitet. Tankanlagen, Kesselhäuser, Ölreinigungs- und Transportanlagen fügen sich wie die Sonden selbst in die reizvolle Emslandschaft – ob Geeste, Heide oder Moor – unauffällig ein, so daß weder der Landschaftscharakter noch das bäuerliche Eigentum Schaden leiden. Schmucke neue Bauten, darunter Kirchen und Schulen, und gute Straßen und Wege beweisen, daß aus dem Öl auch der öffentlichen Hand und dem Privatbesitz namhafte Zuwendungen und Einnahmen zufließen.

Die Belegschaft, die zurzeit etwa 750 Arbeitskräfte umfaßt, ist durch ein gesundes Betriebsklima, freiwillige und soziale Zuwendungen fest mit der Firma verbunden. Durch die Erstellung, Finanzierung oder Förderung von etwa 300 Wohneinheiten wird auch eine Verwurzelung mit Land und Leuten angestrebt, um den Bohrmann, der bei der Durchführung seiner Arbeit manchmal länger von der Familie getrennt ist, ein Zuhause zu bieten.

Belegschaft und Bohrgerätepark, welcher Bohranlagen für alle Zwecke und Tiefen aufzuweisen hat, sind auch außerhalb des Emslandes an vielen Stellen eingesetzt, wo es gilt, dem Erdboden seine Geheimnisse und verborgenen Schätze, auf die der Mensch von heute zur Erfüllung seiner Aufgaben und Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht verzichten kann, zu entreißen. So ruft den Mann des Bohrmeißels und die Förderbocks die Pflicht heute in das Kohlenrevier an der Saar oder in die Erzgruben der Oberpfalz, morgen vielleicht muß er sich anschicken zu einer Fahrt nach den Ölsonden am Fuße der Alpen oder zum Flug in die Sahara, die mehr und mehr von ihrer Ferne und Einsamkeit verlieren.

Im Emsland und fern davon wir seine Tätigkeit und das Ergebnis seiner Mühe eine Werbung für Lingen sein.“

Für die Fotos von der Bohrmannschaft danken wir der Familie Heidotting-Lauer, Lingen.

Bohrung in Niedersachsen