Erbstücke als Geschichtsdokumente

Truhen sind typisches Kulturgut im Emsland und in Drenthe

Das Denkmaldorf Gees zwischen Emmen und Coevorden in der Provinz Drenthe

Wenn man im Emsland auf einen Bauernhof kommt, dann lebt die Bauernfamilie dort meistens schon seit Generationen aus diesem Hof, nicht selten ….

Das Bauernhaus Meijering in Gees

schon seit Jahrhunderten. In den alten Dörfern der niederländischen Provinz Drenthe ist es ähnlich. Das erfuhren Conservatorin Hilde van den Berg vom Museum Collectie Brand in Nieuw Dordrecht bei Emmen und Dr. Andreas Eiynck vom Emslandmuseum jetzt bei einem Besuch im kleine Dorf Gees bei Emmen.

Gees war früher ein typisches Bauerndorf mit alten Fachwerkhäusern unter hohen Eichen. Weil das Dorfbild so malerisch war, wurde das ganze Dorf als historisches Ortsbild unter besonderen Schutz gestellt. Wer fortan in Gees neu bauen oder seine Landwirtschaft erweitern wollte, musste sich dafür einen anderen Ort suchen. Viele taten das – und so bilden die meisten früheren Bauernhöfe in Gees heute schmucke Landsitze im Grünen für neue Bewohner des Dorfes. Auch Kunstgalerien, Gartengestalter, Restaurants und Cafés haben mittlerweile auf den alten Bauerdielen Einzug gehalten. Ein Museumsdorf.

Zu Besuch bei Familie Meijering in Gees

Wir besuchen die Familie Meijering, die seit 1805 auf ihrer Hofstelle in Gees nachweisbar ist. Doch Landwirtschaft wird unter dem Strohdach des alten Bauernhauses längst nicht mehr betrieben und in der benachbarten denkmalgeschützten Scheune lagert schon lange kein Heu mehr.

In den 60er-Jahren wurde der Wohnteil des Hauses für die Großfamilie mit 10 Kindern umgebaut und dabei verschwand die große alte Küche mit der Herdstelle. Erhalten blieb die kleine Upkammer mit der typischen Klapptreppe zum Keller. Einst schliefen hier in der Upkammer in zwei Betten die fünf Söhne der Familie – das Leben im alten Gees war wohl alles andere als romantisch.

Im Januar 2020 ist die Mutter hochbetagt gestorben, die in den letzten Jahren alleine in dem großen Haus mit dem schönen Garten lebte. Nun räumen die Töchter Ineke und Geke den Haushalt aus, denn keines der zehn Geschwister ist in Gees geblieben. Auf dem Dachboden kommen viele alte landwirtschaftliche Geräte zum Vorschein, frühere Heizgeräte aus der Zeit des offenen Herdfeuers und auch die alte Wasserpumpe.

Fundstück vom Heuboden: Aussteuertruhe aus dem 18. Jahrhundert – links Ineke und Geke Meijering, rechts Conservatorin Hilde van den Bergh vom Museum Collectie Brands in Emmen – Nieuw Dordrecht

Unter einem Heuhaufen machen die Schwestern eine spannende Entdeckung: hier steht noch eine „Tuugkiste“, eine Jahrhunderte alte Aussteuertruhe. Das massive Eichenholz hat die Jahrzehnte im Stall gut überstanden. Und als Ineke Meijering die beschnitzte Vorderfront der der Truhe präsentiert, da staunen selbst die Museumsexperten.

Die Truhe vom Dachboden stammt aus dem 18. Jahrhundert

Vier reich dekorierte Füllungen mit geschnitzten Rosetten und Ornamenten zieren die Schauseite des Möbels, das auf Rahmen und Füllung gebaut ist und auf zwei hohen Kufen steht. In so reicher Form und in so aufwendiger Qualität sind Bauerntruhen selten dekoriert – jedenfalls in der Drenthe, in der Twente, in der Grafschaft Bentheim oder im Emsland.

Deutsch-niederländisches Gemeinschaftsprojekt: das Tuugkisten-Buch

Das weiß Dr. Andreas Eiynck, denn schon vor 30 Jahren hat er mit seinem niederländischen Kollegen Dr. Everhard Jans die alten Bauerntruhen im Emsland, in der Grafschaft Bentheim und in der Twente untersucht. Gemeinsam mit Helmut Piepenpott haben die beiden dazu ein dickes Buch verfasst, dass allerdings nur in niederländischer Sprache aufgelegt wurde.

Leicht ist anhand der Schnitzereien ablesbar, dass es sich bei der Truhe in Gees um ein Möbelstück aus dem 18. Jahrhundert handelt. Der Deckel ist leicht dachförmig ausgeprägt, die untere Leiste auf der Vorderseite fehlt. Die beiden schmalen Kufen, auf denen die Truhe steht – typische Verschleißsteile – sind noch ziemlich vollständig erhalten. Ein authentisches Stück aus dem 18. Jahrhundert mit genauer Herkunftsangabe – da schlagen die Herzen der Forscher höher.

Mit einer Breite von 1,44 Metern ist die Truhe in Gees für eine Tuugkiste vergleichweise klein – die Bauerntruhen in der Twente, der Grafschaft Bentheim und dem Emsland sind in der Regel größer. Auch die schmalen, aber hohen Kufen sind nicht unbedingt typisch für ein Bauernmöbel.

Durch Zufall wurde im Januar 2020 bei einer Internetauktion eine fast identische Truhe angeboten. Ihr ursprünglicher Standort ist unbekannt, als Herkunft ist in der Beschreibung die Region Twente, der östliche Teil der Provinz Overijssel, angegeben. Diese Truhe wurde bereits vor Jahrzehnten restauriert. Dabei hat man den Deckel verändert und die Kufen, ein typisches Verschleißteil bei einer Truhe, erneuert.

Die Karteien der Museen in Arnheim, Enschede und Staphorst geben weitere Hinweise zur Herkunft der Truhe, denn es finden sich zahlreiche Vergleichsbeispiele, die mit der Truhe in Gees nahezu identisch sind. Das ist kein Zufall – alle Stücke stammen offensichtlich aus der gleichen Werkstatt.

Als Herkunftsorte bzw. Auffindungsorte der Truhen sind zumeist angegeben die Orte Staphorst, Rouveen und Breeze, alles Orte im sogenannten „Salland“, dem Nordwesten der Provinz Overijssel. Hinzu kommen einzelne Stücke in der Twente (dem Osten von Overijssel) und den südlichen Orten der Provinz Drenthe.

Die Werkstatt, in der alle diese Truhen hergestellt wurden, befand sich vermutlich im Staphorst, einem Dorf im Nordwesten von Overijssel, das bis heute für seine Trachten und seine Volkskunst bekannt ist. Dort sind heute noch eine ganze Reihe identischer Truhen in Privatbesitz sowie im Museum vorhanden. In Staphorst kam im 19. Jahrhundert die Mode auf, die alten Truhen in einem gelben Farbton anzustreichen und die Ornamente mit roter Farbe hervorzuheben. Bei diesem Anstrich wurden dann Namen und Jahreszahlen hinzugefügt, doch die Truhe selber sind viel älter.

In der Studie von Margrit de Sablonière: „Staphorst – Het levenpatroon van een creatieftraditionelle gemeenshap“ heißt es hierzu: „Die Truhe ist gelb angestrichen, die Rosetten rotbraun. Gelegentlich auf die Truhe aufgemalte Initialen und Jahreszahlen geben nicht das Alter der Truhe an, sondern wann und für wen sie zuletzt angestrichen wurden.“

Leider wurde keine der bislang bekannten Truhen dieses Typs bei ihrer Herstellung im 18. Jahrhundert mit Namen oder Jahreszahlen versehen. So ist auch nicht festzustellen, in welchem Zeitraum die zahlreichen identischen Stücke entstanden sind.

Tuugkisten waren typische Aussteuermöbel. Sie sind damit wichtige Zeugnisse der alten ländlich-dörflichen Kultur, deren Basis die Bauernfamilien mit ihrer Generationenfolge auf den alten Bauernhöfen bildeten. Egal ob auf einem Bauernhof, in einer Wohnung oder im Museum – Aussteuertruhen sind als Erbstücke ein wichtiges Kulturgut im ländlichen Raum.

Autor dieses Beitrags: Arjen van Berkel (Praktikant)