Jugendliche aus Lingen noch in den letzten Tagen an die Front

Erinnerungen an Heinz Schulte (1927-1945)

Heinz Schulte mit seinen Eltern vor der Wohnung in der Rheiner Straße beim Abschied des Vaters zum Militärdienst an der Ostfront in Russland – der gepackte Koffer steht schon vor der Haustür . Das letzte gemeinsame Foto der Familie.

Gerd Schulte aus der Pontanusstraße blickt in das Fotoalbum seiner Eltern und entdeckt dort die fast 100 Jahre alten Kinderfotos seine älteren Bruders Heinz. Die beiden haben sich nie kennengelernt, denn Heinz Schulte kam als 17jähriger Wehrmachtssoldat

noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im April 1945 in Nürnberg ums Leben. Tausende blutjunger Rekruten schickten fanatische Nationalsozialisten damals als Kindersoldaten in einen völlig sinnlosen Einsatz zur Verteidigung der „Stadt der Reichsparteitage“. Dort wurde Heinz Schulte am 18.4. bei den schweren Kämpfen um die Innenstadt getötet. Einen Tag später marschierten die Amerikaner in Nürnberg ein und drei Wochen später war der Krieg zu Ende.

Heinz Schulte (auf dem Zaunpfeiler) mit seiner Mutter vor ihrem damaligen Wohnung in der Waldstraße 56

Heinz Schulte wurde im August 1927 in Lingen geboren, seine Familie wohnte an der Waldstraße 56. Er besuchte die Evangelische Volksschule, die bald nach einem prominenten Nationalsozialisten in Dietrich-Eckert-Schule umbenannt wurde. Aus einer unbeschwerten Kindheit wurde eine vom Nationalsozialismus und vom Krieg geprägte Jugend. Dazu gehörten der Dienst bei der Hitlerjugend, aber bald auch die Luftangriffe auf Lingen. Der Vater musste schon 1939 Soldat werden und blieb den ganzen Krieg hindurch im Militäreinsatz in Russland. Die Familie wohnte mittlerweile an der Rheiner Straße und wurde dort bei einem der Luftangriffe auf Lingen ausgebombt. Der Sohn Heinz besuchte nach der Volksschule die städtische Handelsschule und wurde nach dem Abschluss 1944 zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet. Dort erhielten die jungen Männer zu diesem Zeitpunkt bereits eine paramilitärische Ausbildung und wurden in der Regel für Unterstützungsarbeiten der Wehrmacht eingesetzt.

Heinz Schulte 1944 beim Reichsarbeitsdienst

Im September 1944 musste Heinz Schulte als gerade 17jähriger in den Wehrdienst einrücken. Nach einer kurzen Ausbildung zum Panzerschützen wurde er bereits Ende November 1944 verwundet erhielt dafür eine Auszeichnung, das „Verwundetenabzeichen in schwarz“. Im Frühjahr 1945 kam er zur Heeresunteroffiziersschule der Panzertruppen, die erst in Eisenach und später in Regensburg stationiert war.

Blick in das Soldbuch des „Panzerschützen“ Heinz Schulte (1927-1945)

Im Frühjahr 1945 kam er zur Heeresunteroffiziersschule der Panzertruppen, die erst in Eisenach und später in Regensburg stationiert war. Als die Front in Süddeutschland näher rückte, wurde die Rekruten zur Verteidigung von Nürnberg abkommandiert. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt bereits durch zahlreiche Luftangriffe total zerstört, wurde aber unter dem NS-Bürgermeister Willi Liebel, „Hitlers liebstem Bürgermeister“, fanatisch verteidigt. Am 16. April hatten die Amerikaner die Stadt mit ihren Panzern umzingelt, aber es tobten weiterhin schwere Häuserkämpfe um die Innenstadt. Dabei kam auch Heinz Schulte am 18. April 1945 ums Leben. Einen Tag später war der deutsche Widerstand gebrochen.

Mit dem Kriegsende brachen der Meldedienst der Wehrmacht und das Postsystem in Deutschland völlig zusammen. Jeglicher Austausch zwischen den Besatzungszogen war zeitweise unterbunden. Die Todesnachricht erreichte die Familie Schulte erst im Laufe des Jahres 1945. Der junge Gefallene wurde offenbar zunächst in einem provisorischen Grab bestattet und Anfang August 1945 in eine großes Kriegsgräberfeld auf dem Nürnberger Südfriedhof umgebettet. Ende November schickte die Stadt Nürnberg eine entsprechende Nachricht nach Lingen. Beigefügt waren das Soldbuch und zwei Ringe, die man bei dem Leichnam gefunden hatte.

Die Grabstätte von Heinz Schulte auf einem Kriegsgräberfeld des Nürnberger Südfriedhofs

Vor einigen Jahren hat Gerd Schulte den dortigen Friedhof besucht. Noch immer ist er tief beeindruckt von diesem Erlebnis, denn die Grabstelle liegt in einem großen Kriegsgräberfeld mit hunderten von Kindersoldaten, die hier in Nürnberg noch in den letzten Kriegstagen völlig sinnlos geopfert wurden. Fern der Heimat fanden diese Jugendlichen ein Soldatengrab. Jedes Grab ein Mahnmal für die Sinnlosigkeit des Krieges.

Gerd Schulte ist seit seiner Pensionierung ehrenamtlicher Mitarbeiter des Emslandmuseum und arbeitet am Bildarchiv