Leibeigenschaft im Emsland bis ins 19. Jahrhundert

Die „Münsterische Eigenthums-Ordnung“ von 1770

Pflügender Bauer im 18. Jahrhundert, Aquarell aus der Hofchronik Tegeder in Gleesen

Um das Jahr 1800 waren die meisten Bauern im Emsland noch sogenannte Eigenbehörige, das heißt, ihre Höfe und auch sie selber gehörten rechtlich

Die „Münstersche Eigenthums-Ordnung“ von 1770

einem Grundherrn, meisten dem Landesherrn, der Kirche oder einem Kloster, einem Adeligen oder irgendeiner Person, die das grundherrschaftliche Recht an ihrem Hof erworben hatte.

Die Münsterische Eigenthums-Ordnung von 1770 umschreibt es so: „Die Leibeigenschaft ist eine Personal-Dienstbarkeit, und rechtliche Verbindung, vermög welcher jemand seinem freyen Stande zum Nachtheil, einem andern in Absicht auf einen gewissen Hof, Erbe oder Kotten mit Gut und Blut zugethan, und zu Abstattung sicherer Pflichten, neben dem auch, wann er einen Hof, Erbe oder Kotten nach Eigenthums-Recht würcklich unter hat, gegen den Genuß und Erbnies-Brauch seinem Guts-Herren die hergebrachte oder vereinbarte jährliche Praestanda abzutragen, schuldig ist.“

Diese Eigenbehörigkeit basierte auf der Leibeigenschaft in der Zeit des Feudalismus im Mittelalter und vererbte sich von Generation zu Generation. Wer von einem solchen Bauernhof abziehen wollte, musste sich aus der Eigenbehörigkeit freikaufen und einen Freibrief erwerben, sonst war er oder sie kein freier Mensch, der über Wohnort, Ehepartner, Arbeit und Vermögen frei entscheiden konnte.

Dieser Rechtsstatus widersprach in eklatanter Weise dem Ruf nach Freiheit und Gleichheit, der im 18. Jahrhundert zuerst in Frankreich erschallte und schließlich mit der Französischen Revolution (1789) die altüberlieferte Ordnung, das „Ancien Regime“, hinwegfegte.

Viele Zeitgenossen hatten diese Entwicklung kommen sehen und fanden sie richtig. Aber Landesherrn, Kirche und Adel klebten an ihren Privilegien, auf denen ihr Reichtum und ihre Macht basierte. Durch zaghafte Reformen versuchten sie, eine grundlegende Änderung der Verhältnisse abzuwenden. In diesem Zusammenhang entstand auch die „Münsterische Eigentumsordnung“ von 1770, die der Bischof von Münster vor 250 Jahren für die Untertanen seiner Länder erließ. Und dazu gehörte damals auch das Niederstift Münster mit den Ämtern Emsland, Cloppenburg Vechta sowie das Amt Rheine, zu dem bis 1803 auch Salzbergen, Emsbüren, Schepsdorf und Lohne zählten.

„Le malhour nous reúnit“ – Euer Elend vereint uns, sagen Adel und Klerus. Französischer „Revolutionsteller“, um 1790 (Original im Emslandmuseum Lingen, Inv.Nr. 327)

Die Münsterische Eigenthumsordnung bietet eine umfassende Darstellung der Rechtsverhältnisse in allen Bereichen der Eigenbehörigkeit. Damit sollte Rechtsklarheit geschaffen werden, denn im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es zu immer mehr Gerichtsprozessen, weil Bauern die Abgaben und vor allem die Dienstverpflichtungen für ihre Grundherrn nicht mehr leisten wollten. Die Verordnung von 1770 fasste für solche Fälle den Status Quo zusammen, ohne zum grundsätzlichen Problem der Leibeigenschaft kritisch Stellung zu beziehen.

Der erste der Teil behandelte die persönlichen Rechte und Pflichten von Gutsherrn und Leibeigenen, wobei die ungleiche Verteilung von Lasten und Nutzen offenkundig war. Der zweite Teil umfasste das Güterrecht, insbesondere das Nutzungsrecht an den Höfen und ihrem Zubehör sowie die dafür fälligen Abgaben. Im dritten Teil ging es um das Vertragsrecht der Leibeigenen und im vierten Teil um die Möglichkeiten zur Auflösung der Leibeigenschaft, insbesondere durch Freikauf oder Entlassung. Von der Idee einer allgemeinen Abschaffung der Leibeigenschaft und der damals von vielen geforderten Bauernbefreiung findet man hier keine Spur.

„vivre libre ou mourir“ – Frei leben oder sterben (Motto der Jakobiner). Darstellung eines Bauern mit Spruchband auf einem französischen „Revolutionsteller“, um 1790 (Original im Emslandmuseum Lingen, Inv.Nr. 328)

Wie die fürstbischöfliche Regierung den Bauernstand betrachtete, wird im fünften Titel des ersten Teils zur „Gutsherrlichen Gewalt über die Person des Eigenbehörigen“ deutlich, denn darin heißt es: „Sollte ein Eigenbehöriger der aufhabenden Pflicht in Erzeigung geziemender Ehrerbietung, welche er seinem Guts-Herrn schuldig ist, nicht nachkommen, sondern gegen denselben, oder die Seinige sich mit unanständigen Gebährden, Worten, oder Wercken ungeziehmend aufführen, oder halsstärrig und widerspenstig bezeigen, so gebühret dem beleidigten Guts-Herrn, wann er schon keine Jurisdictions oder Gerichtsbarkeit hat, eine mässige Correction und Züchtigung. Mithin kann derselbe seinen Eigenbehörigen nach Maß des Verbrechens entweder auf einige Stunden in den Spannischen Mantel (ein großes Fass) oder auch auf 24 Stunden in einer Kammer auf Wasser und Brot einschließen, obsonst demselben eine andere gelinde Strafe empfinden lassen…“

„Spanischer Mantel“ zur Vollstreckung von Schandstrafen. Aus Hiddingsel bei Dülmen, jetzt im LWL-Museum Münster.

Eine irgendwie zukunftweisende Lösung zur Aufhebung der Leibeigenschaft war in der Eigenthums-Ordnung von 1770 nirgendwo erkennbar. Erst 13 Jahre später eröffnete die „Münsterische Erbpacht-Ordnung“ von 1783 erste zaghafte Möglichkeiten zur Umwandlung der Leibeigenschaft in eine Art Erbpachtverhältnis.

Zu spät, denn in Frankreich zeichneten sich um diese Zeit die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit schon deutlich ab. 1789 bracht dort die Revolution aus, die alte Ordnung wurde hinweggefegt und bald drangen die Ideen der Revolutionäre auch über den Rhein nach Deutschland.

Karte des „Großherzogtums Berg“, zu dem von 1806 bis 1811 auch das südliche Emsland, die Grafschaft Bentheim und das Münsterland gehörten (Ausschnitt aus dem Original von 1808 im Emslandmuseum Lingen, Inv. Nr. 4398)

1803 wurde das Fürstbistum Münster aufgelöst und 1806 ging sein Gebiet auf im Großherzogtum Berg, einem französischen Sattelitenstaat, zu dem auch die Grafschaft Lingen gehörte. Am 12.12. 1808 verkündete Napoleon in Madrid die Aufhebung der Leibeigenschaft und aller damit verbundenen Zwangsdienste im Großherzogtum Berg und im Königreich Westfalen. Damit waren auch die Bauern freie Leute.

Wer die ganze „Münsterische Eigenthumsordnung“ von 1770 nachlesen möchte, kann dies in dem Buch von Clemens August Schlüter über das Provinzialrecht des Fürstenthums Münster, erschienen 1829 bei Brockhaus in Leipzig, und online hier: https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/titleinfo/4360562