75 Jahre Niedersachsen

Wie 1946 das neue Bundesland entstand

Das größte Bundesland in Deutschen Reich war bis 1945 das Land Preußen, dessen Staatsgebiet bei der Aufteilung Deutschlands durch verschiedene Siegermächte besetzt wurde. Die Alliierten lösten Preußen auf und richteten zunächst 4 Besatzungszonen ein. Diese waren in ihrem Zuschnitt aber für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung wenig geeignet. Daher …

Der Schwarzmarkt blühte

bildeten die Besatzungsmächte im Laufe des Jahre 1946 neue Bundesländer, die dem zukünftigen Deutschland einen stark föderalen Charakter als Gegengewicht zu einer Zentralregierung geben sollten.

Im Südwesten der britischen Besatzungszone entstand schon im Sommer 1946 das Mega-Bundesland Nordrhein-Westfalen mit dem zwar stark kriegszerstörten, aber doch wichtigen Industriegebiet an Rhein und Ruhr. Bremen und Hamburg wollten Stadtstaaten bleiben und das Gebiet nördlich der Elbe fand sich rasch zu einem neuen Bundesland Schleswig-Holstein zusammen.

Übrig blieben in der Mitte der britischen Zone die frühere preußische Provinz Hannover, das Land Braunschweig, das frühere Großherzogtum Oldenburg, die kleine Grafschaft Schaumburg-Lippe und das Fürstentum Lippe-Detmold. Schon aufgrund seiner Größe und Bevölkerungszahl war Hannover dabei dominant und forcierte eine „Fünferlösung“. Dabei sollten alle diese fünf Gebiete unter der Dachmarke Niedersachsen ein neues Bundesland mit dem Zentrum Hannover bilden.

Flüchtlinge in einer Baracke im Lager Uelzen

Doch in Braunschweig und vor allem in Oldenburg regte sich Widerstand. Südniedersachsen mit dem Kerngebiet Braunschweig und das Weser-Ems-Gebiet mit einer Hauptstadt Oldenburg wurden als kleine, aber durchaus denkbare Varianten vorgeschlagen. Doch gegen die Übermacht Hannovers konnten sich diese Partikularinteressen besonders der Oldenburg nicht durchsetzen.

Durch die rasche Bildung Nordrhein-Westfalens im Sommer 1946, die man in Norddeutschland so nicht erwartet hatte, kam Druck in die Angelegenheit. Die Militärregierung befahl am 4. Juli 1946 dem Zonenbeirat die Bildung eines Sonderausschusses zur Neugliederung der Britischen Zone. Dort wurden schließlich fünf Vorschläge vorgelegt, darunter ein „Nordstaat“ unter Einschluss von Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Auch die Errichtung eines Land „Weser-Ems“ wurde noch einmal geprüft. Diese und ähnliche Varianten wurden aber letztlich verworfen. Die meisten Stimmen fand ein von Hinrich Wilhelm Kopf vorgeschlagenes Bundesland Niedersachsen mit den Gebietsteilen Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold. Letzteres entschied sich aber für den Anschluss an Westfalen.

Hinrich Wilhelm Kopf wurde erste Ministerpräsident des Landes Niedersachsen

Die Briten setzten die von Kopf vorgeschlagene Niedersachsen-Lösung mit ihrer Verordnung Nr. 55 in ein neues Bundesland um. Darin heißt es: „Mit Inkrafttreten dieser Verordnung verlieren die in der Anlage zu dieser Verordnung bezeichneten Länder ihre Selbständigkeit als Länder und werden Teil eines neuen Landes, welches die Bezeichnung Niedersachsen führt.“ Die Anlage lautet ganz knapp: „Braunschweig, Hannover, Oldenburg, Schaumburg-Lippe.“

Die Verordnung vom 9. November 1046 trat rückwirkend zum 1. November 1946 in Kraft – die Geburtsstunde des neuen Bundeslandes Niedersachsen. Die konstituierende Sitzung des Landtages mit ernannten Vertretern aus allen Gebietsteilen fand im 9. November im Rathaus zu Hannover statt. Erster Ministerpräsident des neuen Landes wurde Hinrich Wilhelm Kopf von der SPD.

Hamsterer tauschten auf dem Landes Lebensmittel ein

Die Startbedingungen für das neue Bundesland waren denkbar schwierig. Das große Flächenland reichte von der holländischen Grenze im Westen bis an die Grenze zur Sowjetischen Besatzungszone im Osten und vom Harz im Süden bis an die Nordsee. Weite Gebiete waren rein landwirtschaftlich strukturiert und sicherten somit zumindest die Ernährungslage der Bevölkerung. Es waren jedoch auch rund zwei Millionen Flüchtlinge aus den Gebieten östlich der Oder und Neiße in das Land gekommen, die versorgt werden mussten. An Arbeitsplätze für so viele Menschen war ohnehin nicht zu denken.

Franz Kumbrink aus Lingen nach der Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1946

Die gewerbliche Wirtschaft lag am Boden, die meisten Industriebetriebe waren durch Luftangriffe zerstört. Als einzige Zweige blühten zunächst der Schmuggel, der Schwarzmarkt und die Schattenwirtschaft. Nur durch Tausch im Rahmen des sogenannten Kompensationshandels konnte man damals Rohstoffe und Produkte erwerben. Viele Fachkräfte waren im Krieg ums Leben gekommen oder in Kriegsgefangenschaft geraten. Er allmählich kehrten sie als sogenannte Heimkehrer zu ihren Familien zurück.

Am 20. April 1947 gab es die erste Landtagswahl in Niedersachsen. Von den 149 Sitzen im Landtag entfielen 65 auf die SPD, 30 auf die CDU, 27 auf die DP (Deutsche Partei, vormals Niedersächsische Landespartei), 13 auf die FDP, 4 auf die KPD und einer auf die katholische Zentrumspartei. Für die FDP kandidierte damals im Wahlkreis Lingen übrigens ein junger Mann aus Ostfriesland mit dem Namen Henri Nannen. Es war der spätere Herausgeber der Illustrierten „Stern“. Seinen Stimmenergebnis blieb allerdings gering.

Dominierende politische Kraft in Niedersachsen wurde die SPD. Als Hochburgen der CDU stellten sich die vorwiegend katholischen Gebiete im Raum Osnabrück-Emsland, in Südoldenburg und im Bezirk Hildesheim heraus. In den althannoverischen Regionen erhielt die niedersächsische Landespartei viel Zuspruch, die sich für einen unabhängigen Staat Hannover mit enger Bindung an die Briten und an das Welfenhaus einsetzte. Doch daraus wurde nichts. 75 Jahre nach seiner Gründung ist Niedersachsen eines der starken Bundesländer mit vielen wirtschaftlich leistungsfähigen Standorten und Regionen, attraktiven Landschaftsräumen mit einem blühenden Tourismus und einer vielseitigen Kulturszene auch im ländlichen Raum.