Markenstreit und Kartenbild vor 250 Jahren

Das „Schema von die Listruper, Holster und Bexter Mark“ von 1770

Das „Schema von die Listrupper, Holster und Bexter Marcke 1770“ im Emslandmuseum Lingen

Zu den Raritäten in der Landkartensammlung des Emslandmuseums gehört eine handgezeichnete Karte aus dem Jahre 1770. Sie zeigt …

Der Titel der Karte lautet. „Schema von die Listrupper, Holster und Bexter Marcke 1770“

die Listruper, Holstener und Bexter Mark und erinnert damit an die Zeit der großen „Markenstreitigkeiten“ im Emsland. Dabei ging es weder um Reichsmark noch um D-Mark, sondern um die „gemeine Mark“, das Nutzungsrecht am Markenland – ein Begriff für eine Sache, die heute kaum noch bekannt ist.

Grundlagen für die Agrarwirtschaft bildeten im alten Emsland nicht nur Ackerbau und Viehzucht, sondern auch die umliegenden Wälde, Weidegründe, Heideflächen, Moore und Ödlandflächen, die man als „gemeinsame Mark“ bezeichnete und genossenschaftlich verwaltete. Das Markenland lieferte Futter, Brennmaterial, Bau- und Nutzholz sowie vieles andere mehr.

Im Mittelalter, als das Emsland noch dünn besiedelt war, schien das Markenland wie eine unerschöpfliche Rohstoffreserve für alle, doch mit zunehmender Siedlungsdichte und Bevölkerungszahl erkannte man die Begrenztheit der Marken. Es gab immer mehr Streit mit den umliegenden Markengenossenschaften um den Verlauf der Markengrenzen. Die waren nämlich nicht genau festgelegt und vermessen, sondern nur ungefähr durch Bäume, Hügel, Steine und Gewässer beschrieben. Diese Beschreibungen konnten zwei Nachbargemeinden aber ganz unterschiedlich interpretieren und im Extremfall sogar die Grenzmarkierungen versetzten oder ganz bei Seite schaffen.

Glaubte man, ein Mitglied der Nachbargemeinde habe die Grenze unrechtmäßig überschritten, dann wurden sein Vieh, sein Holz oder sein Torf „geschüttet“, also beschlagnahmt, und nur gegen ein Lösegeld wieder herausgegeben. Kein Wunder also, dass die Streitigkeiten häufig auch handfest ausgetragen wurden und sich bisweilen zu regelrechten Grenzfehden entwickelten.

Seit dem 16. Jahrhundert drängte die Regierung darauf, dass die Streitfälle gerichtlich entschieden wurden, doch das konnte angesichts der schwierigen Beweislage und der damaligen Verfahrenswege Jahrzehnte dauern. Als Beweise galten vor allem alte Grenzbeschreibungen, Zeugenaussagen möglichst alter Dorfbewohner und alte Grenzkarten. Denn die Richter, die über den Fall entschieden, kannten die Örtlichkeit in der Regel nicht und mussten sich durch Flurbegehungen und Besichtigungen erst einmal ortskundig machen. Da war eine Karte hilfreich und auch ein gutes Beweismittel.

Die Listruper Mark und ihre Grenzen auf der Karte von 1770

Einen Streitpunkt bildete über mehrere Jahrhunderte die Grenze zwischen der Listrup-Niederbexter und der Holsten-Oberbexter Mark. Die Bauerschaft Bexten bestand nämlich aus zwei Teilen: Oberbexten, auch Feilbexten genannt, das heutige Vorbexten, das von alters her zum Kirchspiel Salzbergen gehörte und mit der Nachbarbauerschaft Holsten eine gemeinsame Mark bildete, sowie Niederbexten, auch Bührbexten genannt, das von alters her zum Kirchspiel Emsbüren zählte und eine gemeinsame Mark mit Listrup bildete.

Nach Westen war die Sache einfach – dort bildete die Ems eine natürliche Grenze. Im Osten war die Grenze zur Lünner Mark durch eine 1403 beschriebene Grenzlinie entlang der sogenannten Barentelgen grob festgelegt. Wo aber verlief die Markengrenze zwischen Burbexten und Feilbexten?

Anfang des 18. Jahrhunderts schütteten die Listruper eine Schafherde aus Oberbexten, die angeblich in ihr Gebiet eingedrungen war. Die Holsten-Oberbexter wehrten sich und strengten einen Prozess an, der die Streitigkeiten aber nicht beruhigte, denn bei einem Ortstermin 1727 bedrohten sich die Kontrahenten gegenseitig mit Mord und Totschlag. Alte Markenkarten bekräftigten zwar die Rechtsauffassung der Listruper, aber auf eine Grenzlinie konnte man sich nicht einigen.

Vier Jahrzehnte später flammte der Konflikt erneut auf. Die alten Prozessakten waren damals allerdings nicht mehr auffindbar und so wurde 1770 im Auftrag der Listrup-Niederbexter Mark eine Karte angefertigt, die ihren Rechtsanspruch untermauern sollte. Diese Karte ist bezeichnet als „Schema von die Listruper, Holster und Bexter Marcke 1770“. Es handelt sich dabei nicht um eine genau vermessene Katasterkarte, sondern eher um eine Lageskizze, eben ein „Schema“.

Dargestellt ist das Gebiet zwischen der Ems und der Aa, das von den Barentelgen, der alten Grenze zur Lünner Mark, durchschnitten wird. Sehr anschaulich sind die umliegenden Städte und Ortschaften eingezeichnet. An der Ems sind dies Rheine, Bentlage, Salzbergen, Emsbüren, das Wasserschloss Herzford und Lingen, an der Aa Lünne, die Wasserburg Venhaus, Hopsten und Dreierwalde. Im Zentrum stehen die Bauerschaften Holsten, Oberbexten, Niederbexten und Listrup. Eingetragen sind die umstrittene Grenze zwischen Nieder- und Oberbexten, aber auch die Grenzen zu allen umliegenden Markengemeinden sowie die Grenze der Gerichtsbezirke Rheine und Emsbüren.

Die Karte wurde damals nicht neu entworfen, sondern sie basiert auf einer viel älteren Karte, die 1607 von Gerhard Vollbier, dem Rentmeister des münsterischen Amtes Rheine-Bevergern, gezeichnet wurde. In der Vollbierschen Karte ging es allerdings nicht um Markengrenzen, sondern um die Grenzen der Gerichtsbezirke sowie die Landesgrenze zwischen dem Münsterland und der Grafschaft Lingen. Die Markengrenzen zwischen der Listrup-Oberbexter und der Holsten-Niederbexter Mark ist dort gar nicht eingezeichnet.

Die Karte von 1770 war demnach auch nicht als direktes Beweismittel für den beanspruchten Grenzverlauf, sondern als grobe historische Übersicht für den anstehenden Prozess gedacht. Sie ist, wie die Vollbiersche Karte, auf Anschaulichkeit und nicht auf topographische Genauigkeit ausgerichtet. Darin liegt auch ihr graphischer Reiz, besonders bei der etwas naiven Darstellung von Städten, Dörfern und Gebäuden. Sie spiegelt damit auch das topographische Verständnis der Landbevölkerung im 18. Jahrhundert, die sich in ihrem Alltag an Entfernungen und markanten Geländepunkten orientierte, nicht an Gitternetzen, Winkeln und Koordinaten. Dem entspricht auch der Maßstab der Karte, der nicht in Längenmaßen wie Meilen oder Ruten angegeben ist, sondern im „Maaßstab eine Stunde“. Und welche Strecke man in einer Stunde gehen kann, das war schon damals sehr vom Läufer abhängig.

Bei einem Gerichtstermin vor Ort wurden 1777 von beiden Prozessparteien verschiedene alte Grenzkarten vorgelegt. Weil sie die dort eingezeichneten Punkte und Linien aber sehr unterschiedlich interpretierten und keiner nachgeben wollte, kam eine gerichtliche Schlichtung nicht zu Stande. Stattdessen wurde sämtliche Beweismittel gesammelt und die Grenze 1781 gerichtlich festgelegt. Die endgültige Linie markierte man im Gelände mit sieben Grenzsteinen.

Der Stein Nummer 1 von 1781 ist nicht mehr erhalten. An seiner Stelle steht heute der „Barentelgenstein“, einst Grenzpunkt der Listrup-Niederbexter, Holsten-Oberbexter, Lünner und Altenrheiner Mark. Seit 1824 steht an seiner Stelle ein Grenzstein zwischen dem Königreich Hannover und dem Königreich Preußen, der bis heute die Grenze zwischen Niedersachsen und Westfalen markiert.

Von den übrigen Markierungen von 1781 existiert nur noch Stein Nummer sechs, der „bei Kötter Spiekers Behausung auf die Ecke des Hauses zu“ gesetzt wurde. Dort steht er noch heute, obwohl Niederbexten, Oberbexten und Holsten seit 1974 zusammengehören und heute einen friedlichen Ortsteil von Salzbergen bilden.