Fachwerkbau von 1721 brannte im Herbst 1945 nieder
Vor 300 Jahren, Anno 1721, wurde es in Messingen errichtet. Es war der Inbegriff eines altemsländischen Bauernhauses. Und obwohl es kurz nach Kriegsende im Oktober 1945 bis auf die Grundmauern niederbrannte, sind wir nur über wenige andere Bauernhäuser so gut
unterrichtet wie gerade über dieses. Und zwar durch die Aufzeichnung des vor genau 100 Jahren geborenen Georg Völlering (1921-2013), der in mehreren Büchern nicht nur die eigenen Kindheitserinnerungen an sein Elternhaus festgehalten hat, sondern auch das, was ihm seine Eltern und Großeltern ihm über das Leben der Vorfahren in diesem Hause berichtet haben.
Die Familie Völlering wohnte in dem Haus bis 1935, dann wurde der Hof verpachtet, weil der Vater schwer erkrankt war. Als Georg Völlering 1948 nach sieben Jahren Kriegseinsatz und Kriegsgefangenschaft in Russland nach Messingen zurückkehrte, war sein Vater verstorben und sein Elternhaus im Herbst 1945 mit allem Inventar abgebrannt. Vielleicht lag es daran, dass er sich später an viele Details aus der Zeit vor 1935 noch so gut erinnern konnte.
Das alte Bauernhaus Völlering war ein großes Fachwerkwerkhaus mit Dielenteil, Küche und Kammerfach. Die Küche ging quer durch das Haus und hatte eine Breite von stattlichen 16 Metern, was bei denen damaligen Bauernhäusern nicht unüblich war. Im Zentrum dieser Küche brannte das offene Herdfeuer, das zu Zeiten von Georg Völlering aber längst verschwunden war:
„Unser Haus war 1721 aus Fachwerk erbaut. Der ursprüngliche, 1721 errichtete Giebel war um die Jahrhundertwende (1900) wohl schon etwas baufällig und man hatte den neuen, aus Backsteinen gemauerten Giebel etwa zwei Meter vorgezogen. Die große zweiflügelige Tür hatte man beim Errichten des neuen Giebels aus Backsteinen aber dort belassen, wo sie auch in dem ursprünglichen Fachwerkgiebel von 1721 ihren Platz hatte. Sie lag daher etwa eineinhalb bis zwei Meter zurück, uns den Raum zwischen ihr und dem vorgezogenen Giebel aus Stein nannten wir „Vörschott“.
Wie man noch erkennen konnte, war das ursprüngliche offene Herdfeuer von einer Platte aus Gusseisen eingefasst worden. Sie war auch zu meiner Zeit noch vorhanden und hatte etwa die Größe der späteren Kochmaschine. An der Stelle, wo das frühere Herdfeuer in einer Vertiefung brannte, war eine Aussparung von etwa 50 mal 40 Zentimetern in der Eisenplatte. Genau über dem alten Herdfeuer stand unsere Kochmaschine.
Oben im Rauchfang war noch der schwenkbare Balken vorhanden, an dem man die an einer Art Winde hängenden Töpfe über dem Herdfeuer höher oder niedriger hängen konnte. Der Rauchfang, den man bei uns „Bosen“ nannte, war wohl wo alt wie unser Haus.
Als Fachwerkkonstruktion war der Bosen mit der Fachwerkwand hinter dem Herdfeuer verbunden und in den schweren Eichenbalken über der Küche verzahnt worden. Wie alle Fachwerkwände des ganzen Hauses war auch das Fachwerk des Bosens mit Holzgeflecht ausgefüllt und mit Lehm verschmiert und geglättet worden. Seine Größe betrug etwa zweieinhalb mal drei Meter. Von innen war er durch den ständigen Rauch völlig schwarz. An dem unteren Querbalken hatte man ein Bördchen angebracht, auf dem die Männer mit Vorliebe ihren Tabak lagerten und die Streichhölzer dazu. Auch die echten Kaffeebohnen wurden hier gerne von den Frauen „verhudt“ (versteckt), damit sie nicht gleich jeder sah und sie trocken blieben. Von außen wurde der Bosen jeweils mit der Küche neu tapeziert und der untere Rand rund um den Bosen wurde durch ein etwa 40 Zentimeter breites, weißes Bosenkleid mit zahllosen Falten und einer Spitze verziert. Vor allen großen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten und zur Kirmes wurde es abgenommen, gewaschen, gebügelt und an den dafür vorgesehenen Haken wieder aufgehängt. Außen um den Bosen verlief oberhalb des Bosenkleids ebenfalls ein schmales Bördchen, das wie die Türen der Küche angestrichen war. Auf dem Bördchen stand des öfteren ein Bild der heiligen Familie, ein Spruch in Kunstschrift oder sonstiger Zierrat. Neben dem Bild der Heiligen Familie leuchtete später, als es in Messingen elektrischen Strom gab, in vielen Häusern ein ständig brennendes rotes Lämpchen.
Als Rauchfang sowohl für das altertümliche offene Herdfeuer als auch für die Kochmaschine und die Einleitung des Rauches von den in anderen Stuben aufgestellten Öfen war der Bosen bestens geeignet und somit auch für das Räuchern von Schinken, Speck und anderem Fleisch, da ja nur mit Holz oder Torf geheizt wurde. Die Mauer hinter dem Herdfeuer nannte man Brandmauer, sie war stärker als die übrigen Mauern des Hauses und mag einen begrenzten Brandschutz gewährleistet haben. Sie bestand aus Sandstein. Etwa auf halber Höhe war ein Gesims aus dem gleichen Stein und hatte wie der gesamte untere Teil einen beigefarbenen Anstrich. Es war dort auch eine Jahreszahl eingemeißelt, an die ich mich aber nicht mehr erinnern kann. Der obere Teil war verfliest. Die Fliesen waren blauweiß. In manchen Bauernhäusern gab es auch solche mit Bildern aus der Heilsgeschichte oder mit bäuerlichen Motiven, man nannte sie hier „Esterkes“. Sie waren im vorigen [= 19.] Jahrhundert aus den Niederlanden eingeführt worden und sind heute begehrte Sammelobjekte.
Durch den physikalisch bedingten Auftrieb warmer Luft wurde jegliche Wärme von dem früheren Herdfeuer als auch von der Kochmaschine und der ganzen Küche durch den oberhalb des Bosens beginnenden, unten offenen Schornstein abgezogen. In unserer Küche war es darum im Sommer angenehm kühl und im Winter immer kalt. Kein Wunder, daß bei minus 10 Grad Außentemperatur nachts das Wasser im Teekessel auf dem Herd gefror, zumal unsere etwa 16 Meter lange, quer durch das Haus verlaufende Küche auf beiden Enden je zwei große Fenster hatte mit gewöhnlichem Glas [Einfachverglasung]. Obendrein war die ursprüngliche Ausfachung des Fachwerks durch Holzgeflecht und Lehm durch ein Halbsteinmauerwerk ersetzt worden.
An der Westseite der Küche war neben den beiden Fenstern auch noch die unmittelbar nach draußen führende „Tegendöre“ (Seitentür). Weder draußen noch in der Küche gab es einen Windfang. Wenn abends ein später Gast die Tür aufmachte und starker Westwind mit Macht in die Küche blies, verlosch die über dem Tisch hängende Petroleumlampe, so daß völlige Dunkelheit herrschte und niemand wußte, wer ins Haus gekommen war. Wenn der Hereingekommene dann sagte: „Ick hebb glöw ick wall Stikken in de Tasche“, löste sich das Rätsel, da man den Gast nun an der Stimme erkannte.
Die alten Bauernhäuser hatten alle den gleichen Grundriß mit einer quer durch das ganze Hauf verlaufenden, unnötig langen Küche. Man hatte darum in manchen Häusern die Küche um vier oder fünf Meter verkürzt und den so gewonnenen Raum als Wohn- oder Schlafstube eingerichtet. In den meisten Fällen jedoch als Wohnstube. Der darin aufgestellte Ofen sorgte für Behaglichkeit und das Ofenrohr war aufgrund der Nähe zum Bosen nicht sehr lang. Dazu kam, daß der so entstandene kleine Flur durch die zweite Tür zur Küche hin als Windfang diente und die Wohnlichkeit der Küche verbesserte, ohne daß für ihre Funktionsfähigkeit irgend ein Nachteil entstand.
Der Fußboden unserer Küche wie auch der gesamten Diele bestand aus Lehm, solange wir ein offenes Herdfeuer hatten. Als wir dann 1899/1900 eine Kochmaschine bekamen, wurde eine sechs bis sieben Zentimeter starke Estrichschicht aus weißem Zement in der Küche verlegt, die nun auch wohl durch eine Wand von der Diele getrennt wurde. Durch quadratisches Einritzen des noch feuchten Estrichs sah der sehr glatte Fußboden aus, als bestände er aus 50 mal 50 Zentimeter großen weißen Fliesen. Samstagsnachmittags wurde der Küchenboden immer mit viel Wasser geschrubbt. Die tägliche Reinigung bestand darin, daß man die Küche nach dem Mittagessen ausfegte und anschließend weißen Sand auf den Fußboden streute.
Links und rechts der Brandmauer hinter dem Herdfeuer waren die Türen zu den verschiedenen Stuben und Kammern und zum Keller. Ganz links war die Tür zur „besten Stube“. Für sie war um die Jahrhundertwende der Wohnbereich unseres Hauses um etwa eineinhalb Meter verbreitert worden. Die neue Außenmauer war aber nicht wieder in Fachwerkbauweise errichtet worden, sondern als einfaches Mauerwerk aus roten Ziegelsteinen. Durch die sich wenige Meter rechts anschließende Tür ging man in „de ole Stowen“, die eigentlich Wohnstube. In ihr stand als wichtigstes Möbel ein aus drei oder vier übereinandergesetzten Ringen bestehender Kanonenofen, der hauptsächlich mit Torf beheizt wurde, von Allerheiligen bis Ostern brannte und wohlige Wärme verbreitete. Hier versammelte sich abends die ganze Familie einschließlich Knecht und Magd. Zwischen den beiden großen Fenstern stand ein ausziehbarer Tisch, der gedeckt wurde, wenn zur Kirmes oder sonst Besuch gekommen war. Wenn es im Winter bei strengem Frost in der Küche einfach zu kalt war, wurde auch schon mal in der olen Stowen zu Mittag gegessen. Das kam aber sehr selten vor. Die „beste Stube“ wurde so selten genutzt, daß man sie besser als Schlafkammer eingerichtet hätte. Die Möbel darin waren zwar etwas kostbarer und auch der Ofen war kunstvoll gemacht worden: Er hatte über dem Feuerraum einen zierlichen Aufbau mit einer Tür und dahinter konnte man eine Kaffee- oder Teekanne zum Warmhalten abstellen. Der Ofen wurde jedes Jahr mit Silberbronze angestrichen, doch angezündet, um die Stube zu erwärmen, wurde er sehr selten.
Rechts neben dem Herd war die Tür zur „Upkamer“. Gleich hinter der Tür begann die vier- oder fünfstufige Treppe zur Upkamer, auf der zwei Betten für je zwei Personen standen und wo ich auch mehrere Jahre geschlafen habe. Wir Kinder mußten abends immer nach dem Essen ins Bett, doch oft habe ich auf der untersten Stufe der Treppe gesessen und heimlich zugehört, wenn wir tagsüber gedroschen hatten und Holterhues Clem oder sonst ein Veteran des Ersten Weltkriegs, wie etwa der alte Willi Ubrig, Hilfe geleistet hatten beim Dreschen und nach dem Abendessen hinter dem Herd auf der Bank saßen und ihre Geschichten erzählten.
Gleich neben der Tür zur Upkamer war die Tür zum Keller, der wegen des hohen Grundwasserstandes höchstens 60 Zentimeter tief war. Zum Frostschutz war seine Außenmauer deutlich dicker als die übrigen Mauern und zum Schutz vor Diebstahl hatte sie nur ein kleines Fenster.
Abschließend war ganz rechts im Wohnbereich noch eine Schlafkammer mit einer breiten Butze, in der zwei Personen schlafen konnten. Für das Elternschlafzimmer und das Kinderzimmer hatte man ein Stück von der Diele abgetrennt. Ersteres war auch mit einem Ofen beheizbar. Das Ofenrohr hierfür war sehr lang und schwierig zu reinigen.
Quellen:
Georg Völlering: Ich war auch Meßdiener – und andere Erinnerungen eines emsländischen Bauernjungen. Messingen 2001.
Georg Völlering: Von der Bukowina ins Emsland und weitere Erzählungen. Messingen 2004.
Für die Genehmigung zum Abdruck der Texte und Fotos danken für der Familie Völlering in Messingen.