Ein alter Brauch im Emsland und im Münsterland, in der Grafschaft Bentheim und in Twente
Die Tage zwischen Weihnachten und Silvester waren in früheren Zeiten die einzigen arbeitsfreien Tage im Jahr, an denen nur dringend notwendige Tätigkeiten verrichtet wurden. Und weil…
in diese Zeit auch noch die kürzesten Tage und die längsten Nächte des Jahres fallen, vertrieb man sich die langen Winterabende mit dem Backen von Neujahrskuchen am Herdfeuer. Dort befand sich auch der einzige Ort im Haus, an dem es zu dieser Jahreszeit warm und gemütlich war.
Gebacken wurde einst mit langstieligen Kucheneisen über dem offenen Herdfeuer. Dazu benötigte man eine Menge Glut und deshalb wurde das Feuer an den Backtagen so richtig angeheizt. Und Hitze macht durstig, was der Geselligkeit beim Backen nicht abträglich war.
Für das Backen mit den langstieligen Eisen benötigte man einen festeren Teil als bei den heute üblichen elektrischen Eisen. Und weil man die Neujahrskuchen auch gerne an Nachbarn, Freunde und Verwandte verschenkte, verarbeitete man am Backtag große Mengen Teig. Ein alte Rezept lautet:
10 Pfund Mehl, 4 Pfund Zucker (in 2 Liter Wasser auflösen), 1 Pfund Butter, 1 Pfund Schmalz (flüssig), 100 Gramm Anis, 1/2 Esslöffel Sternanis, 100 Gramm Zimt, 2 Esslöffel Salz, Vanillezucker
Aus früheren Zeiten wird berichtet, dass an einem Tag auch wohl mal Teig von 30, 40 oder gar 50 Pfund Mehl verbacken wurde. Zucker und Butter kamen noch dazu.
In die Backen der Zangeneisen gravierte man früher Motive ein, vor allem Jahreszahlen, Namen und Initialen. Diese drücken sich als Muster in die Neujahrskuchen ab. Die Buchstaben waren spiegelverkehr angebracht, damit man sie auf den Kuchen auch lesebar waren. So konnte der Beschenkte erkennen, von wem er welche Kuchen bekommen hatte und vergleichen, welche am besten schmeckten.
Im katholischen Emsland und im Münsterland waren Kucheneisen mit religiösen Darstellungen beliebt. Ein häufiges Motiv auf katholischen Eisen ist das IHS-Zeichen, das Symbol der Jesuiten und der Gegenreformation. Eigentlich handelt es sich um die griechische Abkürzung für den Namen Jesu, aber populär war die Deutung: Jesus, Heiland, Seligmacher.
Auch Darstellungen der Geburt Christi, der Heiligen Drei Könige und weiterer Heiliger waren auf Kucheneisen in katholischen Gegenden beliebt. Unübersehbar ist dabei der Zusammenhang mit den katholischen Festen in der Advents- und Weihnachtszeit.
In der reformierten Grafschaften Bentheim kamen Heiligenbilder sowie bildliche Darstellungen aus der Bibel nicht einmal auf einem Kucheneisen in Frage. Hier bevorzugte man Motive aus dem bäuerlichen Leben und längere Inschriften.
Im Emsland und im Münsterland zeigen die Kucheneisen immer eine runde Form. In der Grafschaft und in den angrenzenden niederländischen Gebieten sind sie dagegen rechteckig. Wegen der andersartigen Form nennt man die dort gebackenen Kuchen auch wohl Schohsollen (= Schuhsohlen).
Mit dem Ende des offenen Herdfeuers ging der Brauch des Backens von Neujahrskuchen keinesweg unter. Zunächst backte man über dem Feuerrungsraum der Kochmaschienen und später mit elektrischen Eisen, die man auch in der kleinsten Wohnung noch bequem benutzen kann.
Der Teig hat heute jedoch eine andere Rezeptur als früher und wird flüssiger zubereitet. Ein typisches aktuelles Rezept aus dem Emsland lautet:
3/4-Liter Wasser, 400 Gramm Kandis, 1 Ei, 500 Gramm Mehl, 2 Päckchen Vanillepulver, 1 Prise Zimt, 200 Gramm Butter oder Margarine. Wasser und Kandis aufkochen und abkühlen lassen. Die übrigen Zutaten anrühren und am folgenden Tag aus dem Teig die Kuchen backen.
Längst ist aus dem alten Brauch eine beliebte Beschäftigung für die Zeit um die Jahreswende geworden. Nicht nur bei Einheimischen, sondern auch bei Zugezogenen. Denn die Neujahrskuchen, Eiserkuchen oder Hörnchen schmecken allen gleichermaßen gut. Oder haben Sie schon mal jemanden gefunden, der bei knusprigen, frischen Hörnchen widerstehen kann?
Alte und neue Rezepte für Neujahrskuchen aus dem Emsland, der Grafschaft und den Niederlanden gibt es in einem grenzüberschreitenden Rezeptbuch, das 2019 im Rahmen des EU-Projektes „Grenzkultur“ entstand. In dem Buch finden man auch viele Informationen und Bilder zu Geschichte des Neujahrskuchenbackens und der Neujahrskucheneisen.
Das Buch ist für 10,- Euro beim Emslandmuseum Lingen erhältlich. (Achtung! Derzeit geschlossen; bitte per Email: museum.lingen@t-online.de oder auch telefonisch bestellen).