Novemberszene aus dem Brevarium Grimani (15. Jahrhundert)

Zum Lau

Was bedeutet der Straßenname?

Im Lingener Ortsteil Baccum gibt es eine Straße namens „Zum Lau“. Doch woher kommt eigentlich dieser ungewöhnliche Name? Gab es dort früher vielleicht einst etwas kostenfrei, was man umgangssprachlich als lau benennt? „Wenn lau, dann jau“, das ist das Credo der sogenannten „Lauschepper“, die immer darauf bedacht sind, etwas gratis abzuschöpfen. Oder hängt der Name mit dem Ausdruck lau ‚mild, mäßig warm‘ zusammen? Bestand hier also ursprünglich ein recht angenehmer Ort, an dem es weder zu kalt noch zu warm war?

Kultort?

Der Flurnamenforscher erkennt allerdings etwas anderes: Die Form Lau ist eine Variante zum Flurwort Loh. Das o wird im Niederdeutschen regional teilweise als au artikuliert. Zu vergleichen ist etwa Brot, das auch als Braut erscheint, oder Dod ‚Tod‘, der auch als ‚Daut‘ gesprochen wird. Was meint aber dieses Loh oder Lau? Mittelniederdeutsch , lôh bedeutet ‚Busch‘ oder ‚Wald‘. „Zum Lau“ meint also eigentlich nichts anderes als ‚Zum Wald‘.

Da dieses Wort sprachgeschichtlich aber eng mit lateinisch lucus ‚Hain, Wald‘ verwandt ist – indogermanisch k/c wird zu germanisch h (Germanische Lautverschiebung) – und dieser lateinische Begriff in antiken Schriften oft für die „Heiligen Haine“, also religiöse Kultstätten, verwendet wurde, vermutete man im 19. und 20. Jahrhundert, dass die Orts- und Flurnamen auf -lo(h) ebenfalls auf germanische Kultstätten hindeuteten. Im 19. Jahrhundert standen nämlich die Germanen als vermeintliche „Vorfahren der Deutschen“ hoch im Kurs. Deshalb setzte man alles daran, die Germanen als eigene Hochkultur auszuweisen. Zu einer Hochkultur gehört aber auch eine ausgebaute Religion mit einer funktional differenzierten Götterwelt. Somit befassten sich die damaligen Historiker intensiv mit der germanischen Religion und Mythologie. Doch wie so oft, wenn man ein bestimmtes Interesse vehement verfolgt, schossen die Forscher über das Ziel hinaus. Allerorten meinte man, germanische Kultplätze ausfindig machen zu können. Spuren dieser „heiligen Stätten“ sollten sich in zahllosen Ortsnamen erhalten haben – so die Vorstellung – und eben auch in den Loh-Namen. Allerdings überstrapazierten viele Altertumsforscher bei der bemühten Suche ihre Belege und Funde. In der Heimatliteratur und in nicht-wissenschaftlichen Werken ist diese Ansicht allerdings zum Teil bis heute anzutreffen.

Hude- und Niederwald

Dabei sprechen die Belege für die frühere Bedeutung des Wortes -lo(h) eine ganz andere Sprache: lo(h) ist ein Gebüsch, ein Gehölz, das zur Waldweide des Viehs oder zur Niederwaldwirtschaft genutzt wurde. Bei der Niederwaldwirtschaft handelt es sich um eine forstliche Betriebsart, bei der die Laubholz-bestände alle paar Jahre dicht am Boden kahlgeschlagen werden; der neue Bestand entsteht dann durch Stockausschlag. Das so gewonnene Holz diente als Brennholz und zur Fertigung von Körben, Zäunen, Wänden (vgl. den Ursprung des Wortes Wand, das zum Tätigkeitswort winden zu stellen ist) und Geräten, aber auch der Beschaffung von Gerbstoffen zur Lederbearbeitung aus der gerbsäurehaltigen Rinde durch das Schälen der Laubbäume. Niederwaldfähige Bäume, also solche, die zum Stockausschlag fähig sind, sind die Esche, Buche, Birke, Hasel, Eibe, Erle, Linde, Nuss, Ulme, Weide und die Espe.