Preußischer König regelte vor 300 Jahren das Erbrecht neu

Aufhebung des „Edikts über die Erbfolge der Katholiken“ in der Grafschaft Lingen

Der Hof Bramschulte in Schapen sollte 1712 an einen reformierten Bauern übergeben werden, blieb dann aber bei der katholischen Familie Bramschulte (hier im Bild die spätere Pächterfamilie Risau)

Große Freude herrscht 1720 in der Grafschaft Lingen. Der preußische König, der seit 1702 als Erbe der Oranier das Land regiert, hat 1717 den Katholiken …

König Friedrich Wilhelm von Preußen änderte 1720 das Erbrecht für die Katholiken in der Grafschaft Lingen

die Ausübung des katholischen Gottesdienstes wieder gestattet, den die Oranier 1674 verboten hatten. Doch eine andere Verordnung der Oranier hängt weiterhin wie ein Damoklesschwert über der katholischen Landbevölkerung: Das Edikt über die Erbfolge der katholischen Bauern.

Hat eine katholische Bauernfamilie keinen männlichen Erben in direkter Linie, also keinen Bauernsohn, so fällt der Hof beim Tod des alten Bauern automatisch an den Landesherrn zurück, denn katholische Töchter und Verwandte gelten als nicht erbberechtigt. Der Landesherr muss den Hof sodann mit einem Bauern reformierter Konfession neu besetzen. So wollten die Oranier den Bevölkerungsanteil der Reformierten stärken und auch unter preußischer Herrschaft achten die evangelischen Prediger peinlich auf die Einhaltung dieses Gesetzes, das von den Katholischen als großes Unrecht empfunden wird.

Die betroffenen Familien versuchen, das Gesetz zu umgehen, indem sie Brüder, Neffen oder Schwiegersöhne des Bauern als Nachfolger einsetzen. Nicht immer geht es dabei mit rechten Dingen zu und auch preußische Beamte sind manchmal bestechlich. Jedenfalls greifen sie nicht mehr so hart durch wie ihre Vorgänger in der Oranierzeit und handeln nicht so, wie die reformierten Prediger es gerne hätten.

Der Hof Bramschulte (später Gribbe) auf dem Bramhof in Schapen, um 1950

Auf dem Hof Bramschulte in Schapen fehlt in der Zeit um 1700 ein männlicher Erbe. Eine der Töchter des Hofes, Tekla Bramschulte, heiratet 1708 den Bauernsohn Johann Wersborg aus Ibbenbüren. Er soll den Hof vom Schwiegervater übernehmen und hat daher bei der Heirat den Hofnamen Bramschulte angenommen. Irgendwie gelingt es, ihn bei der Regierung in Lingen als Nachfolger genehmigen zu lassen. 1712 fällt das jedoch der reformierten Geistlichkeit auf, die entsprechend der oranischen Verordnung lieber einen evangelischen Bauern auf den Hof einsetzen möchte. Sie wirft der Familie Bramschulte arglistige Täuschung und der Lingener Regierung Nichtbeachtung des Gesetzes vor. So wird der Fall allmählich heikel und schließlich bis nach Berlin weitergeleitet. Doch durch den Tod König Friedrichs des Ersten 1713 kann auch dort zunächst nichts entschieden werden. Erst unter dem neuen Regenten fällt der königliche Beschluss, dass der Hof „den katholischen Seitenverwandten zu belassen sei“, weil es der vorige König nun einmal so bewilligt habe und die Sache nicht mehr zu ändern sei. Künftig sollen jedoch in derartigen Fällen die Hofstellen mit Reformierten besetzt werden.

Das Edikt gegen die katholischen Erben wurde am 2. April 1720 erneuert und modifiziert

Eine andere Möglichkeit, das Gesetz zu umgeben, ist der Übertritt eines der Verwandten zur reformierten Kirche, der dann das Erbe antritt. Doch kaum hat er den Hof übernommen, wird seine Ehefrau wieder katholisch und erzieht die Kinder im katholischen Glauben. Diese Fälle mehren sich in preußischer Zeit – der Glaubenswandel der Hoferben hat offenbar System. Anfang April 1720 greift die Regierung durch. Wer wieder katholisch wird, muss auch den Hof wieder hergeben.

Es folgt ein Tauziehen um alte Rechte, die Auslegung von Paragraphen und am Ende auch die Erwägung praktischer Erfordernisse seitens des Gesetzgebers. Denn die neu eingesetzten reformierten Bauern, die zumeist aus Schale oder der Grafschaft Tecklenburg stammen, erweisen sich nicht immer als Idealbesetzung und haben als „Hofbesetzer“ unter der erdrückenden katholischen Bevölkerungsmehrheit auch keinen leichten Stand.

Am 20. Mai 1720 hebt König Friedrich Wilhelm von Preußen das Edikt gegen die katholischen Erben auf

Im Mai 1720 hebt König Friedrich Wilhelm von Preußen das Gesetz über den Ausschluss der katholischen Erben auf, da es „hart und wieder die christliche Liebe lauffe“. Die Katholiken jubeln.

Am 20. Mai 1720 (hier fälschlich 1721 angegeben) wurde das Gesetz gegen die katholischen Erben aufgehoben

Aber zu früh, denn immer wieder versuchen die reformierten Prediger und Beamten vor Ort, das alte Recht weiter anzuwenden. Möglich ist dies, wenn keine Verwandten eines katholischen Bauern als Nachfolger in Frage kommen oder wenn der Hof nicht dem König, sondern der reformierten Kirche oder einem reformierten Besitzer untersteht. Und solche Höfe gibt es in der Grafschaft Lingen seit der Oranierzeit eine ganze Reihe. Solange dort immer ein Sohn die Nachfolge des Vaters antreten kann, haben die katholischen Hofinhaber mit dem Erbrecht keine Schwierigkeiten, aber wehe, wenn kein Stammhalter vorhanden ist.

Auf den Hof Reulmann in Messingen wurde ein reformierter Bauer aus Schale eingesetzt, der aber nach einem nächtlichen Überfall den Hof fluchtartig verließ

Der Hof Reulmann in Messingen untersteht im 18. Jahrhundert einem reformierten Beamten, dem Kriegsrat Mauve zu Lingen. Der Bauer Reulmann hat zwar einen Sohn, aber dieser stirbt schon in jugendlichem Alter. Daher hat Reulmann einen seiner Schwiegersöhne, den Schmied Gerdes aus Thuine, als Nachfolger auf seinen Hof geholt. Mauve lehnt dies jedoch ab und setzt stattdessen nach dem Tod des alten Bauern Reulmann einen Reformierten mit Namen Feldhinken aus Schale als Nachfolger ein. Dieser bezieht mit zwei Geschwistern den Hof in Messingen.

Nun gibt es ein Problem: Gerdes Frau Christina, geborene Reulmann, liegt gerade mit Zwillingen im Wochenbett und kann daher den elterlichen Hof nicht sofort verlassen. Katholische Vorbesitzer und reformierte Neubesitzer müssen sich Haus und Herd teilen.

Inschrift mit den Namen Roelman (= Reulmann) und Dall auf dem Torbogen des Hauses Reulmann in Messingen

Da passiert etwas Unerwartetes. Zu nächtlicher Stunde dringen mehrere maskierte Männer, bewaffnet mit Messern und Pistolen, in das Haus ein. Sie fragen nach dem Bauern und als Gerdes sich als solcher zu erkennen gibt, schlagen sie auf ihn ein. Die reformierten Hausbewohner werden ebenfalls verprügelt und mit Erschießung bedroht. Sie flüchten sofort in ihren Heimatort Schale und erklären, dass sie für ganz Messingen nicht wieder auf den Reulmann-Hof zurückkehren werden.

Nun steht der Schmied Gerdes in Verdacht, die Bande absichtlich in das Haus geholt zu haben, um die unliebsamen Mitbewohner loszuwerden. Er muss mit seiner Frau den Hof verlassen. Die gerichtliche Untersuchung verläuft jedoch ergebnislos, weil alle Männer aus der Verwandtschaft ein Alibi vorweisen können. Schließlich erhält ein anderer Schwiegersohn Reulmanns, der Bauernsohn Schoo aus Suttrup, den Hof übertragen, wofür er allerdings die stattliche Summe von 500 Reichstalern Auffahrtgeld an Mauve bezahlen muss.

Dieser Vorfall ereignete sich vor 250 Jahren und noch lange wurde in den abendlichen Herdfeuerrunden darüber gesprochen. Bernhard Anton Goldschmidt hat die Erzählung noch selber gehört und sie 1850 in seiner Geschichte der Grafschaft Lingen aufgeschrieben. Es war der letzte bekannte Versuch, anstelle eines katholischen Erben einen Reformierten auf eine Hofstelle einzusetzen.