Zur Geschichte des „Seminargebäudes“ am Universitätsplatz
Neben seinem „großen Bruder“, dem „Professorenhaus“, wirkt das Gebäude der Kunstschule vergleichsweise unscheinbar. Dabei ist es noch 5 Jahre älter, …
nicht aus Fachwerk, sondern aus Sandstein und Backstein erbaut, und es war der wirkliche Sitz von Lateinschule und Universität Lingen, während sich im Professorenhaus nur die Wohnungen für die Lehrer und Schüler der Lateinschule befanden. Vielleicht liegt die unscheinbare Architektur auch daran, das es sich vermultich um das am häufigsten umgebaute öffentliche Gebäude in Lingen handelt, dessen Funktion im Laufe seiner gut 300 Jahre alten Geschichte ständig wechselte. Doch der Reihe nach.
Zu Zeiten der Festung Lingen entstanden auf dem Gelände des heutigen Universitätsplatzes Barackenunterkünfte für die italienischen Söldner, die im spanisch-niederländischen Krieg in Diensten der katholischen Habsburger in Lingen stationiert waren. Für die Soldaten wurde Anfang des 17. Jahrhunderts ein eigenes Gotteshaus errichtet, die sogenannte „Italienische Kirche“.
In ihrem Türmchen hing eine kleine Bronzeglocke, die sich heute im Emslandmuseum befindet. Ihre Herkunft belegt die eingegossene Inschrift: MARCELLUS DE IUDICE TRIBUNUS LEGGIONIS PEDITUM ITALORUM FIERI FECIT 1616 (Marcellus der Judice, Kommandeur der italienischen Fußtruppen, ließ mich 1616 herstellen).
Später wurde die Kirche abgebrochen und ab 1678 entstand an ihrer Stelle ein Neubau für die „Lateinische Schule“, die am 22. Januar 1680 eröffnet wurde. Auf dem bekannten Kupferstich Romeyn de Hooghes mit der Ansicht der Lingener Hochschule vom Ende des 17. Jahrhunderts erkennt man rechts im Bild das anderthalbgeschossige Steingebäude. Zwei Portale führen in das hohe Erdgeschoss. Die großen Fenster sind aus Standstein mit Kreuzpfosten ausgeführt. Das niedrige Obergeschoss weist nur kleine Fensterluken auf. In der Mitte der Fassade befindet sich zum Platz hin eine große, dekorativ umrahmte Schrifttafel mit einer Widmung auf die Lateinschule. Das Dach ist, dem Barockstil entsprechend, als Walmdach ausgeführt, über dem sich ein Dachreiter mit einer Wetterfahne und der bereits zitierten Glocke gefindet.
In diesem Gebäude befanden sich die Unterrichtsräume der Lateinschule und der Bibliotheksraum für die umfangreichen Bücherbestände der Hohen Schule, die 1697 parallel zur Lateinschule eingerichtet wurde.
Eine Lingener Stadtansicht von 1775 zeigt das Gebäude noch mit Walmdach und Dachreiter, auf der Darstellung eingerahmt von der Lutherischen Kreuzkirche und dem Professorenhaus.
1820 wurden die Lateinschule und die Hohe Schule aufgelöst und das Gebäude diente fortan als Schulgebäude für das neu gegründete Lingener Gymnasium. Damit waren umfangreiche Umbauten verbunden. Das Gesamte Gebäude wurde zu zwei gleich hohen Geschossen mit Klassenräumen durchgebaut, Portale und Fenster wurden dementsprechend verändert. Die Umbauspuren überdeckte man mit einem flächendeckenden Verputz mit Quaderstruktur. Anstelle des Walmdachs entstand ein Satteldach mit einem großen Giebelausbau in Richtung Schulplatz. Oben auf diesem Giebel saß ein kleines Türmchen für die Schulglocke, die aus dem früheren Dachreiter hierhin umgehängt wurde.
Nach dem Neubau des Gymnasiums Georgianum auf dem heutigen Krankenhausgelände diente die frühere Lateinschule als Schulgebäude für die Lutherische Schule. Aus dieser Zeit stammte vermutlich eine Schrifttafel über dem Eingang mit dem Wortlaut: Lasset die Kindlein zu mir kommen, denn solchen ist das Reich Gottes“.
Diese Inschrift erregte zeitweise ein gewisse Heiterkeit, als nach dem Umzug der Evangelischen Schule in einen Neubau an die Poststraße das Lingener Finanzamt hier seinen Sitz hatte.
Später folgten andere Behörden, darunter das Staatliche Gesundheitsamt und anschließend die Ämter für Soziales, Jugend und Sport der Lingener Stadtverwaltung. Nach einem Umbau in den Jahren 1995/1996 zog hier die „Mal- und Kreativschule“ des Lingener Kunstvereins ein.
Während der Umbauarbeiten 1995 wurde der gesamte Verputz der Außenwände abgeschlagen und anschließend erneuert. Während dieser kurzen Zeit kamen viele Spuren des Gebäudes von 1680 kurzzeitig wieder zum Vorschein, darunter das ursprüngliche Baumaterial Backstein und Sandstein, Reste der Steinkreuzfenster und sogar die schmiedeeisernen Maueranker mit der Jahreszahl 1680, die leider gleich wieder unter einer dicken Schicht Thermoputz verschwanden. Die Nische für den Inschriftstein von 1680 zeichnete sich noch deutlich ab, die Steintafel selber war aber leider nicht mehr vorhanden. Die Bauspuren wurden vom Emslandmuseum in einer Fotoserie dokumentiert, die hier 25 Jahre später zum ersten Mal gezeigt wird:
Leider wurden bei den beiden Sanierungen 1995 und 2020 durch den Gebäudeeigentümer und die Denkmalbehörden die Gelegenheiten nicht genutzt, das Innere des Gebäudes hinsichtlich historischer Befunde zu untersuchen und dies zu dokumentieren. Solche Befunde sind in einem repräsentativen Gebäude aus der Barockzeit jedoch in jedem Falle zu erwarten.
Literaturhinweis: Andreas Eiynck, 300 Jahre „Alte Universität Lingen“ im Spiegel alter Ansichten. In: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 44, 1998, S. 9-23.