Böllerverbot 1774

Warum das Salutschießen dem Alten Fritz ein Dorn im Auge war

Eine Böllerkanone aus der Sammlung des Emslandmuseums Lingen.

Auf dem alle drei Jahre zu Pfingsten in Lingen stattfindenden Kivelingsfest wird auch gern Salut geschossen, um das Königspaar zu ehren sowie die Festgesellschaft und Gäste zu unterhalten. Feierbezogenes Böllern, Knallen, Lärmen kennen wir zum Beispiel an Silvester. Über diesen Brauch gibt es heute sehr geteilte Ansichten – aus unterschiedlichen Gründen.

Kritik daran ist allerdings keine moderne Erscheinung. Denn bereits 1774 stieß das festliche Schießen sauer auf: und zwar keinem Geringeren als König Friedrich II. von Preußen (1712–1786, seit 1740 König), genannt „der Große“, der es damals per Edikt verbieten ließ – auch und gerade in Lingen, das seit 1702 faktisch zum Königreich Preußen gehörte.
Aber was hatte der „Alte Fritz“ an dieser Sitte zu bemängeln? Als Sohn des „Soldatenkönigs“ und siegreicher Feldherr müsste er dem Schießen und militärischen Gepflogenheiten doch sehr nah gestanden haben. Der Einleitung des Ediktes ist zu entnehmen, dass sich das Verbot gegen das „ungebührliche und höchstgefährliche Schiessen an den heiligen Abenden vor Weynachten, Neu-Jahr, oder andern großen Fest-Tagen, auch an solchen Fest-Tagen selbst, imgleichen bey Hochzeiten, Kindtauffen, und andern Ausrichtungen, auch sonst, so wohl bey Tage, als des Abends, und zur Nachtzeit, in denen Städten, und Dörffern“ richtete. 1774 erging allerdings nicht das erste Verbot dieser Art. Der König hatte das festliche Schießen, das anscheinend ebenso bei kirchlichen Umgängen und Prozessionen stattfand, schon zuvor untersagt. Nur hatte sich niemand daran gehalten, was den Monarchen sehr erzürnte. Damit zukünftig jeder von der königlichen Verfügung Kenntnis erhielt bzw. es „zu Jedermanns Wissenschaft kommen möge“, wie es damals hieß, sollte das Edikt jedes Jahr erneut am ersten Sonntag im Juli und am letzten Adventssonntag nach der Predigt von den Kanzeln in den Kirchen öffentlich verlesen und in den Städten und Dörfern öffentlich angeschlagen werden.

Doch was störte Friedrich an diesem Brauch, dem seine Untertanen anscheinend sehr anhingen? War er ein Spielverderber, eine Spaßbremse? Nach Ansicht des Königs bzw. seiner Regierung sei das Schießen gefährlich. Es komme dadurch zu „Unglück und Schaden“, zu Feuersbrünsten und sogar „Menschen-Mord“. Daher sollte erneut in der Grafschaft Lingen und ihren Städten und Dörfern verboten werden, dass niemand, „er sey, wer er wolle, vom Militair- oder Civil-Stande, hohen oder niedrigen Ranges, sie sein in Königlichen, oder in anderer Herren Diensten, adelichen oder bürgerlichen Herkommens, oder auch von dem Bauren-Stande“ zu solchen Anlässen schießen dürfe. Im Edikt werden die verschiedenen Arten genau aufgeführt: Untersagt wurde das Schießen mit „Büchsen, Flinten, Pistolen oder Puffers, oder so genandte Schlüssel-Büchsen, oder wie es sonst Nahmen haben kann“. Letztgenannte Schlüsselbüchse war ein improvisiertes Schreckschuss- oder Böllerschießgerät, das aus einem großen Türschlüssel als Schussgerät, einer explosiven Ladung und einer Verdämmung hergestellt wurde. Schlüsselbüchsen waren bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ein unter Jugendlichen und Erwachsenen verbreitetes Spielzeug.

Titelseite des Ediktes von 1774. Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 4118.

Nicht nur das „scharfe“ Schießen mit Geschossen, sondern auch ein Schuss ohne Projektil aus einer lediglich mit Schießpulver geladenen Waffe war strafbar. Hinzu kamen Feuerwerkskörper, Raketen und Granaten, die nicht gezündet und geworfen werden durften. 50 Reichstaler wurden als Strafe für Zivilisten angesetzt. Zur Verdeutlichung: 1770 bezog ein Handwerker, etwa ein Maurer oder Zimmermann, ein Jahresgehalt von durchschnittlich 70 Talern. Konnte man diese Strafe nicht bezahlen, sollten drei Monate Festungshaft oder Zwangsarbeit verhängt werden. Diese Ahndung galt aber nur für das Schießen, das keinerlei Folgen hatte. Kam jemand zu schaden oder entstand ein Brand, so war der Schuldige umgehend zu inhaftieren. Zur Gefängnisstrafe gesellte sich dann noch die Begleichung des Schadens hinzu. Eine empfindlichere Strafe sollte aber den Angehörigen des Militärs zukommen. Oftmals schossen zu festlichen Anlässen Soldaten, die während ihres Urlaubs in der Heimat waren. Für diese fiel die Geldstrafe aus. Sie sollten – wegen ihrer Vorbildfunktion – direkt mit Festungshaft und Zwangsarbeit belegt werden. Auch das „Gassenlaufen“ wurde als Strafe angedroht. Wir kennen es heute noch im übertragenen Sinn als „Spießrutenlaufen“. Dabei handelte es sich um eine militärische Leibesstrafe, die bis ins 19. Jahrhundert wegen mehr oder weniger schwerer Vergehen durch Kriegs- oder Standgericht über einfache Soldaten verhängt wurde. Unter Aufsicht von Offizieren bildeten die Soldaten eine etwa zwei Meter breite Gasse, die der bis zum Gürtel entblößte Verurteilte mit auf der Brust zusammengebundenen Händen mehrmals langsam bei Trommelschlag durchschreiten musste. Hierbei erhielt er von jedem Soldaten mit einer Hasel- oder Weidenrute (Spieß- oder Spitzrute) einen Schlag auf den Rücken. Um den Verurteilten am schnellen Gehen zu hindern, schritt ein Unteroffizier voraus.

Doch nicht nur der Schütze selbst hatte mit Bestrafung zu rechnen. Brachte der Hausherr, in dessen Wohnung eine freudige Zusammenkunft stattfand, oder der Veranstalter eines Festes einen Verstoß gegen das Edikt nicht zur Anzeige, machte er sich mitschuldig. Die Verfolgung dieser Straftaten wurde den Landräten und städtischen Magistraten auferlegt.
Wo man gerade dabei war, das Schießen zu regulieren, hielt man es zudem für angebracht, den sorgsamen Umgang mit den Feuerwaffen anzuordnen: „Da Seine Königliche Majestät übrigens auch häufig bemerken müssen, daß durch unbehutsamen Gebrauch des Schieß-Gewehrs, Menschen zu Schaden, und um das Leben, kommen, wozu denn die mehreste Veranlassung dadurch gegeben wird, daß das geladene Gewehr, unvorsichtiger Weise, an Orten aufbehalten wird, wo junge Leute, Weiber, Dienst-Bothen, und andere, so damit nicht um zu gehen wissen, noch die darauf liegende Gefahr kennen, solches ergreifen, und sich damit abgeben können: So befehlen Allerhöchstdieselbe [also die Majestät], daß Jedermann, der geladen Gewehr in seiner Wohnung haben will, auch für dessen sorgfältige Aufbehaltung stehen, jeder Haus-Vater hierauf selbst aufmerksam seyn, und denen Seinigen, keine Unvorsichtigkeit nachsehen soll, damit nicht, wie sonst seyn würde, die, so hierunter etwas versäumet, bey entstehendem Unglück dafür verantwortlich werden.“ Zukünftig sollte daher auch bei jedem gemeldeten Todesfall eines Menschen, der durch einen Unfall mit einer Schusswaffe verursacht worden war, geprüft werden, ob der Eigentümer der Waffe nicht seine Sorgfaltspflicht verletzt habe.

Wie der missbräuchliche Umgang mit Schusswaffen so haben auch unsere strengen gesetzlichen Bestimmungen gegen diesen eine lange Vorgeschichte und sind nicht erst jungen Ursprungs. Damit niemand versehentlich zu Schaden kommt, ist es gut und richtig, dass öffentlicher Schusswaffengebrauch bestimmten Regeln folgen muss und die Sicherheit gewährleistet ist. Das wusste schon Friedrich der Große.