Und sie ist doch ECHT!!!

Zur Überlieferungsgeschichte der Lingen-Urkunde von 975

Lingen hat jüngst das Jubiläum der Ersterwähnung seines Namens vor 1050 Jahren gefeiert. Grundlage ist eine Urkunde aus dem Jahr 975, die heute im Diözesanarchiv in Osnabrück lagert. Doch hat Robert Koop Zweifel an der Echtheit des Dokumentes erhoben.

Eine solche Skepsis ist in heutiger Zeit nicht unbegründet vor dem Hintergrund, dass die Urkundenforschung (Diplomatik) immer wieder Fälschungen aufdeckt und damit Festgeglaubtes erschüttert.

Allerdings geht Robert Koop in seiner Kritik von falschen Voraussetzungen aus. Er behauptet nämlich, die Urkunde liege nur noch in Abschrift vor und entziehe sich damit einer Echtheitsprüfung. Hier ist Robert Koop jedoch einem Irrtum aufgesessen, der allerdings durchaus nachvollziehbar ist, wenn man nicht ganz genau mit der Überlieferungsgeschichte der Urkunde von 975 vertraut ist.

Und zwar liegt der Grund des Missverständnisses in den sogenannten Regesta Imperii. Darunter versteht man ein bereits 1829 begonnenes geschichtswissenschaftliches Großprojekt, mit dem ein chronologisch geordnetes Inventar aller urkundlichen und historiographischen Quellen der römisch-deutschen Könige von den Karolingern bis zu Maximilian I. sowie der Päpste des frühen und hohen Mittelalters erarbeitet werden soll und sollte. Dabei wird die Überlieferung als Regesten gesammelt und geordnet. Diese Regesten sind aber keine eigenständige wissenschaftlich-kritische Edition der Quellen, sondern ein Hilfsmittel, um auf solche zugreifen zu können. Mittlerweile stehen als Ergebnis des Projekts über 100 gedruckte Bände mit ca. 145.000 Regestennummern zur Verfügung, die auch über RI-online zu recherchieren sind.

Schaut man nun bei den Regesta Imperii den Eintrag der Urkunde von 975 an (https://www.regesta-imperii.de/id/0975-04-25_1_0_2_2_0_206_681), so findet sich die Angabe: „Original fehlt“. Es werden lediglich Kopien angeführt, die sich in der Bibliothek des Osnabrücker Ratsgymnasiums oder im Staatsarchiv Osnabrück (mittlerweile Niedersächsisches Landesarchiv Standort Osnabrück) befinden sollen.

Wie aber ist diese Angabe zu erklären? Dazu hilft ein Blick in die benutzten Quellen, die ebenfalls angegeben sind. Es handelt sich um Werke, in denen der Text der Urkunde abgedruckt ist. Diese reichen vom 16. bis ins 19. Jahrhundert. Das jüngste stammt aus dem Jahr 1892 (Osnabrücker Urkundenbuch Bd. 1), das zweitjüngste aus dem Jahr 1888 (Die Urkunden Ottos des II.).

Hier nun findet sich die Lösung des Rätsels. Denn das Original der Urkunde von 975 wurde erst 1899 durch Franz Jostes wieder aufgefunden. Sowohl der Bearbeiter des Osnabrücker Urkundenbuchs von 1892 als auch diejenigen der Edition der Monumenta Gemaniae historica von 1888 konnten das Original also noch gar nicht kennen, sondern wussten um die Urkunde nur als Abschrift. Das gaben sie in ihren Quellenbeschreibungen auch so an – und diese Angabe wurde – ungeprüft – noch 1950 vom Bearbeiter Hanns Leo Mikoletzky in die Regesta Imperii übernommen. Bis heute ist das nicht korrigiert worden – auch nicht in der Online-Version. Und so ist Robert Koop zu der falschen Annahme gelangt, die Urkunde von 975 liege nur in Abschrift vor.

Das Original findet sich allerdings wohlverwahrt im Diözesanarchiv in Osnabrück. Ein detailgetreues Faksimilie kann noch bis zum 31. August im Emslandmuseum in Augenschein genommen werden.

Wen das ganze Thema genauer interessiert, der sei auf folgende Literatur verwiesen:

  • Christian Hoffmann, Die hochmittelalterlichen Kaiser- und Königsurkunden des Os-nabrücker Landes im Wandel der Zeiten. Ein Beitrag zur Geschichte des Osnabrücker Archivwesens, in: Osnabrücker Mitteilungen 105 (2000), S. 11–20.
  • Thomas Vogtherr, Die Suche nach den Osnabrücker Kaiser- und Königsurkunden des Hochmittelalters um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Osnabrücker Mitteilungen 108 (2003), S. 57–67.
  • Thomas Vogtherr, Original oder Fälschung? Die Osnabrücker Kaiserurkunden des Mittelalters, in: Der Dom als Anfang. 1225 Jahre Bistum und Stadt Osnabrück, hrsg. v. Hermann Queckenstedt u. Bodo Zehm, Osnabrück 2005, S. 109–133.