Machurius, huh, huuuh

Nachtführung mit dem Ferienpass

Lingen bei Nacht

Die Begegnung mit dem Lingener Poltergeist Machurius war auch in diesem Jahr wieder der Höhepunkt bei den vier „Nachtführungen durch die Innenstadt“, die das Emslandmuseum …

In den Bäumen lauert der „Klatterjann“

im Rahmen des Lingener Ferienpass angeboten hatte. Bei einem spätabendlichen Rundgang lernen die Kinder dabei auf unterhaltsame Weise Sagen, Geschichten und Szenen aus Lingens bewegter Historie kennen. Beim „Klatterjann“ unter den Bäumen am Universitätsplatz oder bei Katze und Eule am Haus Hellmann – die jungen Teilnehmer sind stets mit voller Begeisterung dabei – und die Eltern meistens auch.

Der Machuriusbogen am Pulverturm bildet den idealen Schauplatz für das Erzählen der Sage vom Machurius – einer Geschichte voller Gewalt und Grausamkeiten, die aber bislang soweit bekannt noch keine bleibenden Schäden an Kinderseelen ausgelöst hat. Eine Viertelstunde später entdecken dann die Kinder auf einem spärlich beleuchteten Platz am Parkhügel das Denkmal der gruseligen Sagengestalt mit dem durchlöcherten Eimer. In frevlerischer Tat hat ein Witzbold die Augen des grimmigen Unholdes mit schwarzer Farbe retuschiert, so dass sein Blick noch unheimlicher erscheint. In diesem Moment donnert aus der Dunkelheit vom Parkhügel herab ein unbekannter Gegenstand auf das Straßenpflaster. Alles erschaudert. Rasch stellen die Kinder fest: es ist ein durchlöcherter Eimer. – Doch gehört er auch zu Machurius? Bei ihren weiteren Recherchen entdecken sie auf der Unterseite des Eimers einen Barcode. Und der stammt gewiss nicht von einem Geist, sondern von einem örtlichen Gartenmarkt. Da haben sie ja noch einmal Glück gehabt.

Die nächtliche Entdeckungsreise kann fortgesetzt werden.

Der Lingener Poltergeist Machurius

Und für alle, die die Geschichte von Machurius noch nicht kennen, haben wir sie hier noch einmal aufgeschrieben:

Machurius von Lingen

Als die erste Morgenröte des Evangeliums über die öden Gegenden der Mittelems aufging, hauste in der Gegend, wo jetzt die Stadt Lingen liegt, ein grausamer Häuptling, welchen die Sage Machurius oder Michorius nennt. Lange hatten seine Nachbarn seine Untaten geduldig ertragen. Endlich aber wurde es ihnen zu viel, und sie verbündeten sich gegen ihn. Zur Nachtzeit überrumpelten sie mit einer Schar leibeigener Knechte die Burg, erschlugen alle Bewohner, die sich ihnen widersetzten und steckten alles in Brand. Die Ausgänge der Burg wurden besetzt, damit Machurius nicht entwischen konnte. Aber man wartete vergeblich; er wurde nirgends gesehen.

Als die Burg in Schutt und Asche zusammenstürzte, hielt man ihn für verbrannt. Die Sieger teilten die Beute und seine Besitzungen unter sich auf, aber keiner wurde seines Besitzes froh.

Kaum war ein halbes Jahr verflossen, so hörte man bald hier, bald dort von neuen Gräueltaten, ganz so, wie sie Machurius vordem bei Nachtzeiten ausgeführt hatte. Und es dauerte nicht lange, da hieß es, dass Machurius wieder sein Unwesen auf seinen früheren Besitzungen treibe. Diese Macht aber hatte ihm der Teufel zugestanden.

Als er in jener für ihn so verhängnisvollen Nacht sich, vor Wut und Schmerz heulend, in das Innere seiner Burg zurückgezogen hatte und sein Ende herannahen fühlte, da standen ihm auf einmal zwei wundersame Wesen zur Seite: zu seiner Rechten eine liebliche Erscheinung in langem, weißem Gewande, die ihm Ruhe und Frieden in der anderen Welt verhieß, wenn er von Herzen bereue; zur Linken aber eine hagere, hämisch grinsende Gestalt, die ihm Rache an seinen Feinden versprach, wenn er sechs Monate des Jahres sein Eigen sein wolle. „Gibst du mir Gelegenheit zur Rache“, schrie Machurius, „so bin ich dein Eigen, und wärest du der Fürst der Finsternis! Tunke nur die Feder in meine Wunde! Ich muss den Vertrag wohl mit Blut unterschreiben.“ „Erraten“, sprach die Gestalt, „doch aus der Wunde darf kein Blut zur Unterschrift genommen werden, weil – doch, was braucht’s der Erklärung – ritze nur mit dieser Nadel deine linke Seite und unterzeichne das Papier!“ So geschah es, und seufzend verschwand die Gestalt zur Rechten, während der Fürst der Hölle den Sterbenden hohnlachend anblickte und, als der Odem entflohen war, ihn mit seinen Krallen erfasste und durch die Lüfte entführte. So war Machurius denn verflucht, sechs Monate des Jahres dem Teufel zu eigen zu sein, während er die anderen sechs Monate als neckender Geist seiner Rache und Bosheit auf Erden leben konnte. Bald mied jedes menschliche Wesen das Gebiet, wo er geherrscht hatte; aber mancher Wanderer, der zufällig durch diese Gegend kam, musste des Geistes Tücke erfahren.

Jahrhunderte verflossen, und öde und verlassen blieb die Gegend, wo der Geist des Machurius hauste. Als das Gebiet an der Ems aber später Eigentum der mächtigen Grafen von Tecklenburg geworden war, da fasste einer der Söhne des regierenden Grafen den Entschluss, sich hier eine Burg zu bauen. Er war aus Palästina zurückgekehrt und sehnte sich nach einem eigenen Herd. Der Prior eines nahen Klosters warnte ihn und gebrauchte dabei den Ausdruck, die Gegend stehe in einer „lingua mala“, sie sei verschrien wegen der Tücke des dort hausenden Geistes. Allein dieses konnte ihn von seinem Vorhaben nicht abbringen. Er sprach: „Ich habe böse Geister in Palästina gebändigt“ und nannte die Burg Lingua mala, woraus allmählich „Lingen“ wurde.

Kaum aber war die Burg fertig, als der Geist sein altes Wesen trieb. Da sich infolgedessen nur wenige Anbauer einfanden, sah sich der Graf schließlich genötigt, Verbrechern und anderem Gesindel hier eine Freistätte zu eröffnen, um Bewohner für die im Schutze der Burg gelegene Stadt zu erhalten. Je mehr Leute aber in der Folge hinzukamen, um so mehr hörte man von den bösen Streichen des Gastes. Da gelobte der Graf, den Geist zu bannen. Dazu fanden sich in kurzer Zeit mehrere bereit, und nachdem nun die frommen Mönche die Stiftungsurkunde, vom Grafen unterschrieben und besiegelt, in Händen hatten, wurde der Tag bestimmt, an welchem der Geist des Machurius gebannt werden sollte.

Am Morgen des erwählten Tages wurde eine feierliche Messe gelesen. Alle Gläubigen der Umgegend vereinigten ihre Gebete mit denen des Priesters, damit das Werk gelingen möge. Dann gingen zwei Mönche von der Regel des heiligen Benediktus zu der Stelle, wo der Geist am liebsten hauste. Sie umzogen den Ort mit einem Kreis heiliger Kreuzeszeichen, riefen den Geist dreimal bei Namen, murmelten die geheimnisvollen Bannworte und zwangen ihn, in einem bereitstehenden Wagen zwischen ihnen Platz zu nehmen. Dann fuhren sie mit ihm zum Lookentor hinaus.

Machurius nach einer Skizze von Friedel Kunst

Der Geist gebärdete sich furchtbar im Wagen und übte noch unterwegs seine Tücke am Fuhrmann aus. Denn trotz der Warnung der frommen Väter, sich nicht umzusehen, er möge im Wagen hören, was er wolle, konnte dieser der Versuchung nicht widerstehen. Kaum sah er sich um, da saß ihm der Kopf verkehrt auf dem Rumpf.

Indes fuhr der Wagen zur Ems. Während er in dem Fährschiff übergesetzt wurde, versuchte der Geist noch einmal seine Macht mit Hilfe des Bösen und drückte so schwer auf das Schiff, dass es jeden Augenblick zu sinken drohte. Jedoch kamen sie glücklich am jenseitigen Ufer an und setzten ihre Reise fort bis tief in den Lohneschen Sand. Hier wurde der Geist aus dem Wagen entlassen und ihm die Freiheit erteilt, sich Lingen jährlich einen Hahnenschritt zu nähern. Außerdem gab man ihm einen durchlöcherten Eimer, mit der Weisung, wenn er ihn mit Wasser gefüllt zur Stadt brächte, so dürfe er dableiben. Jeden aber, der nicht an ihn glaubte und der ihm im Lohneschen Sande entgegenkomme, dürfe er seine alte Tücke fühlen lassen.

Mehrere Jahrhunderte sind seitdem verronnen, und der Sage nach hat sich der Geist des Machurius der Stadt Lingen schon bedeutend genähert. Viele Wanderer, die nächtlicher weise durch jene unwirtlichen Sandwüsten reisen mussten, haben ihn mit dem durchlöcherten Eimer im Wasser plätschern gehört. Und nicht wenige haben in früheren Jahren, als noch keine Landstraße durch die öde Gegend führte, ihren Unglauben an Machurius damit büßen müssen, dass sie auf der Flucht vor ihm ermüdet über Wurzeln und Sträucher fielen und sich zuletzt in dem Labyrinth der vielen Sandhügel verirrten.