Viel Arbeit über Weihnachten 1857

5. Dezember 2020

Vor 160 Jahren hahm die Lingener Eisenhütte ihren Betrieb auf

Vor 161 Jahren gibt es auch über die Weihnachtstage in der neu gebauten Lingener Eisenhütte „Hermanni, Jüngst & Co“ viel zu tun. Denn am 31. Dezember 1857 soll hier

Eiserne Erinnerungsplatte an den ersten Guss in der Lingener Eisenhütte am 31. Dezember 1857
(Emslandmuseum Lingen, Inv. Nr. 5890)

der erste Eisenguss ausgeführt werden. An diesem Tag sprühen dann tatsächlich die Funken und zum ersten mal ergießt sich die glühende Eisenmasse in die vorbereiteten Gussform.

Dabei entsteht auch eine eiserne Erinnerungstafel mit einer Gedenkinschrift an den ersten Guss, die das Emslandmuseum als bedeutendes Exponat zur Lingener Industriegeschichte jetzt aus Privatbesitz in Rheine erhielt. Die Inschrift auf der Vorderseite zeigt das Datum des ersten Eisengusses sowie die Namen der Werksbesitzer Hermann und Jüngst. Auf der Rückseite haben sich die damaligen Gießer W. Basson, E. Grahn, G. Schier und J. Graf verewigt, die am Silvestertag jenes Jahres den ersten Eisenguss in der damaligen Lingener Eisenhütte durchführten.

Die dekorative Tafel aus Gusseisen mit verzierter Rahmung zeigt auch das Firmenzeichen der vor genau 160 Jahren gegründeten Lingener Eisenhütte: Einen Hammer und einen Schlegel mit dem Motto „Glück auf“. Die Firma war bereits am 5. Mai 1857 mit einem Stammkapital von 50.000 Talern gegründet worden. Doch schon 1863 schieden die beiden Firmengründer Friedrich Peter Hermanni und Wilhelm Jüngst aus der Gesellschaft aus. An ihre Stelle traten der Hüttendirektor Rudolf Windhoff aus Rheine und der Fabrikant Heinrich Deeters aus Lingen. Die Firma nannte sich fortan „Eisengießerei und Maschinenfabrik von Windhoff, Deeters & Co“.

Ansicht der Lingener Eisenhütte um 1860, farbige Lithographie (Steindruck) (Emslandmuseum Lingen, Inv.Nr. 5502)

Die Bezeichnung Eisenhütte ist aus heutiger Sicht irreführend, denn Erze wurden in Lingen niemals verhüttet. Es handelte sich um einen reinen Gießereibetrieb. Die Rohware stammte aus der Alexishütte in Wietmarschen, wo Raseneisensteine zu Eisen verhüttet wurden, aber auch aus England, Belgien und Westfalen. Daraus produzierte die Lingener Hütte neben Landmaschinen und Maschinenteilen auch Haushaltsartikel wie Öfen oder Tabakschneidemaschinen, später sogar Brückenkonstruktionen. 1864 fanden dort 87 Personen Arbeit, sechs Jahre später waren es 140 und 1877 sogar rund 300 Beschäftigte.

Die Eisenplakette vom ersten Guss der Hütte am letzten Tag des Jahres 1857 war wohl ein Geschenk für Geschäftspartner und Freunde. Das Exponat im Emslandmuseum ist das einzige bekannte Exemplar und damit für die Lingener Stadtgeschichte von besonderen Wert.

Der Firmengründer Hermanni stammte aus Unna und gehörte zu den Mitbegründern der Alexishütte in Wietmarschen, wo er Funktion des Betriebsvorstehers übernahm. Einige Jahre später gründete er mit seinem Geschäftspartner Jüngst eine eigene Eisenhütte in Lingen. Nach dem Ausscheiden aus dieser Firma betrieb er eine Ziegelei. Wilhelm Jüngst, der Sohn eines Reformierten Pfarrers in Lingen, versuchte sich nach dem Verkauf seiner Geschäftsanteile an der Lingener Eisengießerei noch in verschiedenen anderen Sparten als Industriepionier im Emsland. Alle seine Unternehmungen blieben jedoch letztlich erfolglos und er wanderte schließlich in die USA aus.

In der Lingener Eisenhütte hergestellte Wasserpumpe für die Oldenburgische Staatseisenbahn

Über die vier auf der Plakette genannten Gießer liegen nur wenige Informationen vor. G. Schier wird später als Schmied in Lingen erwähnt, zu Grahn und Graf gibt es keinerlei Hinweise. Der an erster Stelle aufgeführte W. Basson war vermutlich der Werkmeister der Lingener Eisenhütte. Er scheint das Emsland schon bald verlassen zu haben. 1864 war Wilhelm Basson Maschinenmeister bei der Rheinischen Eisenbahn in Köln und später Obermaschinenmeister in Ratibor, einem Zentrum der Eisenindustrie in Oberschlesien. Später stieg er zum Eisenbahn-Ingenieur und Maschinenmeister auf. Mehrfach publizierte er in Fachzeitschriften neue Erfindungen zum Lokomotivbau und veröffentliche nach dem deutsch-österreichischen Krieg von 1866 das Buch „Die Eisenbahn im Krieg“. 1870 wurde er Direktor einer Lokomotivfabrik in Russland.

Die Lingener Eisenhütte ging 1878 in Konkurs. Aus dem erst kurz zuvor erneuerten Verwaltungsgebäude des Gießereibetriebes wurde die sogenannte „Hüttenplatzschule“. Das markante Bauwerk diente im Laufe der Zeit verschiedenen Zwecken und bildet heute die Zweigstelle der VHS An der Kokenmühle.