1000 Jahre Plaggenwirtschaft in Nordwestdeutschland

Es gibt ein neues spannendes Buch auf dem regionalen Markt: In „Bauern, Plaggen, Neue Böden: 1000 Jahre Plaggenwirtschaft in Norddeutschland“ nimmt uns der Bodenwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Mueller mit auf eine spannende Reise durch die Agrargeschichte. Hier dreht sich alles um den Plaggenesch, einen ganz besonderen Ackerboden, der durch ein aufwändiges Verfahren entstanden ist, das schon im Mittelalter praktiziert wurde.

Die Bauern transportierten humusreiche Erdplaggen, mischten sie mit Tierdung und Küchenabfällen und düngten damit ihre Felder. Doch während diese Technik einst das Leben der Landwirte maßgeblich prägte, ist sie heute fast in Vergessenheit geraten.

Mueller bringt uns die faszinierende Welt der Plaggenwirtschaft zurück ins Gedächtnis – und das auf eine verständliche und anschauliche Weise. Mit vielen Bildern und historischen Dokumenten zeigt er, wie tief verwurzelt diese Tradition in der bäuerlichen Lebenswelt ist. Und das Beste? Er gibt uns auch Tipps, wo wir mehr über dieses spannende Thema erfahren können…

Also, wenn Ihr Lust auf eine unterhaltsame Zeitreise durch die Geschichte der Landwirtschaft habt, dann schnappt Euch dieses Buch! Es ist nicht nur lehrreich, sondern auch ein echter Schatz für alle, die sich für Natur, Kultur und die Geschichten „hinter“ – oder besser „unter“ unseren Feldern interessieren…

Klaus Mueller:
Bauern, Plaggen, Neue Böden:
1000 Jahre Plaggenwirtschaft in Nordwestdeutschland
Springer-Verlag GmbH 2024
ISBN-Nr.: 978-3-662-68914-1, 253 Seiten, 276 Abbildungen, 37,99 €

Rezension von Bodo Zehm:

Schon bei der ersten Durchsicht hat man das Gefühl, mit diesem Buch des Bodenwissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Mueller etwas besonders Wertvolles in der Hand zu halten, und es gibt viele gute Gründe, warum das für dieses kurz vor Weihnachten 2024 erschienene Buch gilt. Der Untertitel „1000 Jahre Plaggenwirtschaft in Norddeutschland“ deutet bereits an, dass hier ein Kernthema der deutschen Agrargeschichte behandelt wird. Es geht um den Plaggenesch, einem vor allem in Nordwestdeutschland weiträumig verbreiteten Ackerboden, der seine Entstehung, seine bodenkundlichen Merkmale und seine bis heute wahrnehmbare landschaftsprägende Bedeutung einem seit dem Mittelalter gleichbleibend praktizierten, aufwändigen Arbeitsverfahren verdankt. Dabei wurden humusreiche Erdplaggen, die von ackerbaulich ungünstigen Standorten stammen, zu Lagerplätzen im Nahbereich der bäuerlichen Siedlungen transportiert, dort mit Tierdung, Küchenabfällen, Stalleinstreu u. ä. angereichert und periodisch, im Einklang mit den landwirtschaftlichen Produktionszyklen, in großen Mengen auf die Anbauflächen verbracht – was nicht nur ein gutes Düngeverfahren für den früher hier üblichen „ewigen Roggenanbau“ war, sondern zu einem bis heute ungewöhnlichen und besonders wertvollen Bodentyp führte.

Obwohl diese Agrartechnik über viele Jahrhunderte hinweg von maßgeblicher Bedeutung für das Leben und Überleben der bäuerlichen Bevölkerung war und noch bis vor 100 Jahren den markanten Rahmen für das mühsame, tägliche Einerlei des „sich Plagens“ bildete, ist seine umfassende Bedeutung selbst im ländlichen Raum heute kaum noch bekannt. Für den Verfasser, der bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2020 27 Jahre lang an der Hochschule Osnabrück an der Fakultät Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur gelehrt hat und dort für den Bereich Allgemeine Bodenkunde und Geologie zuständig war, dürfte diese Lücke im allgemeinen kollektiven Gedächtnis ein besonderer Ansporn gewesen sein, das Thema besonders wirkungsvoll in Erinnerung zu bringen – nicht zuletzt dadurch, dass er es umfassend, gut verständlich und anschaulich darstellt. Und das ist ihm überaus gut gelungen! So entstand rund um die bodenkundlichen Aspekte herum ein herausragendes Fachbuch, bei dem es sich um nichts weniger als um ein Grundlagenwerk zur Geschichte der Landwirtschaft handelt und das darüber hinaus allein schon deswegen einzigartig ist, weil es wohl niemals zuvor jemandem gelungen war, ein bodenkundliches Thema mit einer derartigen Fülle an authentischen Einblicken in den vielgestaltigen Bereich der bäuerlichen Alltagskultur zu verbinden. Ausgangspunkt der Zusammenschau ist die Beschreibung der historischen Rahmenbedingungen und der daraus resultierenden allgemeinen Anforderungen an die landwirtschaftliche Produktion ab der Jungsteinzeit. Ausführlich werden an späterer Stelle unter den Überschriften „Neue Landschaften“ und „Neue Ordnung“ die mittelalterlichen und die frühneuzeitlichen Verhältnisse behandelt. Im Anschluss an die historische Betrachtung folgt eine Beschreibung der aktuellen Situation, dabei unter „Flächenverbrauch“ ein kritischer Blick auf die heute übliche Freiraumplanung und Bodeneingriffe, die zum Verlust großer Bereiche dieser Plaggenesche führen, sowie die Auswirkungen einer derart rigorosen Vorgehensweise auf Klima und Umwelt.

Mueller gelingt es, fachlich kompetent, eindrücklich, aber ohne Pathos, mit zahlreichen Bildern, Textdokumenten und vor allem in klaren Worten, die Geschichte, die fachspezifischen Merkmale und den Wert dieses „Kultosols“ (lat.: cultus = gepflegt, bearbeitet; solum = obere Bodenschicht) sowohl aus bodenkundlicher Sicht hervorzuheben wie auch aus emischer Perspektive wieder lebendig werden zu lassen. Die zahlreichen von ihm verwendeten historischen Text- und Bilddokumente bis hin zur Beschreibung des heutigen, mit dem Plaggenesch verbundenen soziokulturellen Erbes zeigen die tiefe Verwurzelung dieser fast in Vergessenheit geratenen Seite des Ackerbaus in der Geschichte der bäuerlichen Lebenswelt im Großraum Weser-Ems seit mehr als 1.000 Jahren. Nicht fehlen schließlich Hinweise auf öffentlich zugängliche, mit dem Thema verbundene Informationsstandorte wie z.B. dem Wallenhorster „Informationszentrum Plaggenesch“ im Osnabrücker Land, das Museumsdorf Hösseringen und einige „Bodenlernstandorte“ in Niedersachsen und im nordwestlichen Nordrhein-Westfalen. In der Antike wurde der hohen Bedeutung des Bodens Respekt gezollt, indem er gemeinsam mit Feuer, Wasser und Luft als Grundelement des Lebens gewürdigt wurde. Warum es auch in heutiger Zeit notwendig ist, eine vergleichbare Wertschätzung beizubehalten, wird im Buch von Klaus Mueller schon dann deutlich, wenn die Leser sich einen ersten Eindruck von der Komplexität und inhaltlichen Tiefe des Themas verschafft haben. Darüber hinaus bietet es einen lebendigen, unverfälschten Einblick in 1.000 Jahre Alltagsgeschichte auf dem Lande. Bleibt zu hoffen, dass viele an Natur, Kultur und Landschaftsgeschichte Interessierte von der Möglichkeit Gebrauch machen, dieses Buch zur Hand zu nehmen.