„lieber unsere Häuser abbrechen als unsere Kapelle“
Einen seltenen runden Geburtstag gibt es in diesem Jahr in der Lingener Bauerschaft Estringen zu feiern. Die dortige Kapelle wird in diesen Tagen sage und schreibe …
500 Jahre alt! Das Baujahr 1520 ist durch eine Inschrift über einem früheren Seitenportal dokumentiert. Der gotische Baustil des Gotteshauses und weitere Hinweise bestätigen diese Datierung.
Zwei Damen aus dem Holländischen sollen der Sage nach die Kapelle gestiftet und erbaut haben. Geweiht wurde die sie dem Heiligen Antonius Abbas, einem altchristlichen Einsiedler. Er war als Patron für Bauerschaftskapellen im Mittelalter sehr beliebt und erfreute sich als populärer Heiliger unter dem Namen Tönnes großer Verehrung, zumal er als Schutzpatron der Schweine und des Viehs galt.
Um diese Zeit wurden im Raum Lingen gleichzeitig mehrere Kirchenbauten errichtet. Von einer religiösen Krise angesichts der aufkeimenden Reformation konnte hier offenbar keine Rede sein. Unterstützung erhielt das Bauprojekt in Estringen durch die Grafen von Tecklenburg, deren Wappen an einem der Pfeiler der Kapelle angebracht ist. Auch religiöse Symbole und die Hausmarken weiterer Stifter sind hier zu finden. Das aus sorgfältig behauenen Sandsteinblöcken errichtete Gebäude zeigt gotische Bauformen mit spitzbogigen Maßwerkfenstern, Strebepfeilern und Gewölben.
Die gut fundierte Kapellenstiftung wurde bei der Lingener Reformation durch Graf Konrad von Tecklenburg (den „dullen Cord“) eingezogen, später aber zurückerstattet und in holländischer Zeit ein Teil der reformierten Geistlichen Güterkasse. Da einige Bauern in Estringen und Rottum zum Calvinismus übertraten, wurde die Kapelle nun von Katholiken wie Reformierten gleichermaßen genutzt.
Regelmäßig Gottesdienste fanden hier nicht mehr statt, wohl aber katholische Messfeiern an den vier Hochfesten sowie die Leichenpredigten bei reformierten Begräbnissen. Im 18. Jahrhundert gab es ständigen Reparaturbedarf und in der Zeit um 1800 empfahl die Bauverwaltung, das Gebäude abzubrechen, zumal man das Sandsteinmaterial an anderer Stelle sehr gut verwenden könne. Die Einwohner von Estringen protestierten jedoch hiergegen und erklärten, „daß sie es lieber sehen würden, wenn man ihre Häuser als die Kapelle abbräche“.
1824 wurde die Kapelle dann zu einer Bauerschaftsschule umgebaut. Vom Kapellenraum trennte man ein Klassenzimmer ab, das übrige Gebäude stand leer. In der Zeit um 1900 entstand der Gedanke, das Bauwerk wieder als Gotteshaus herzurichten. Zunächst wurde 1921 eine neue Schule gebaut und 1922 dann die Kapelle restauriert. Die Arbeiten leitete der damals noch junge Lingener Architekt Hans Lühn, der insbesondere mit der Sicherung der gemauerten Gewölbe seine liebe Last hatte.
Kirchliche Einrichtungsstücke waren damals nicht mehr vorhanden und so beschaffte man einen barocken Hochaltar, der früher in der Kirche in Elbergen gestanden hatte. Aus der Kirche in Groß Hesepe erwarben die Estringer die vier großen Figuren der Evangelisten. Noch aus der Bauzeit der Kapelle vor 500 Jahren stammte eine wertvolle gotische Schnitzarbeit: eine Darstellung des Heiligen Joachim, dem Ehemann der Heiligen Anna. In die gleiche Zeit datiert auch ein eindrucksvolles Kruzifix in der Sakristei. Das Kruzifix in der Sakristei ist eine Arbeit aus dem 18. Jahrhundert.
1966 erhielt die Kapelle auf der Westseite einen Anbau mit einer Orgelempore und einem Gruppenraum im Untergeschoss. Betreut wird das Gotteshaus mit großem Engagement von der kleinen Kapellengemeinde Estringen, die kirchlich zur Pfarrgemeinde St. Bonifatius in der Pfarreiengemeinschaft Lingen-Süd gehört.