„Aff von‘ Hoff“ – nur mal eben weg!

Individualverkehr auf dem Lande begann mit dem Motorrad

Damen am Lenker nur für den Fotografen – die Beifahrerinnen des Motorradclubs Lingen 1930

In den Zeiten vor der Erfindung des Automobils war der Aktionsradius für Menschen auf dem Lande sehr begrenzt. Zu Fuß konnte man sonntags

Ausflugsfahrt nach Osnabrück 1930

nach dem obligatorischen Gottesdienst höchstens eines der umliegenden Nachbardörfer erreichen. Und auch das nur in der hellen Jahreszeit, denn man musste ja abends auch noch über unbeleuchtete Straßen und Wege zurück. Beliebte Ziele für Jung und Alt waren Kirmes und Schützenfeste, die gerne mit Verwandtenbesuchen verbunden wurden. Bei den zugehörigen Tanzveranstaltungen ging es nicht immer ohne Blessuren ab. Montags standen einige mit einem blauen Auge auf und manchmal fehlten auch ein paar Zähne.

Mit einem Fahrrad wurden die Reisemöglichkeiten schon wesentlich verbessert. Die Städte lockten mit sonntäglichen Tanzveranstaltungen. Theatervorführungen oder Kinos wurden jetzt beliebte Ausflugsziele – freilich nur für Radfahrer. Beifahrer nahmen auf dem Gepäckträger und auf der Stange Platz, aber dann musste der Fahrer schon tüchtig treten. Glück hatten die jungen Leute in Orten mit einem Bahnhof oder zumindest einer Bahnstation in erreichbarer Nähe. Städte wie Rheine und Lingen, Freren und Bentheim oder gar Münster und Osnabrück lockten sonntags mit vielen Angeboten zum Besuch – wenn man sich die Fahrkarte denn leisten konnte. Linienbusse fuhren auf Lande nur selten und sonntags schon gar nicht.

Den Durchbruch für den Individualverkehr brachte in der 20er-Jahren das Motorrad. Es war schnell und preiswert. Und wer sich etwas damit auskannte, konnte es auch noch selber reparieren. Der Typ des „Schraubers“ entstand und der Duft von ein paar Tropfen Motoröl auf dem Jackett steigerte die Attraktivität der Herren bei Tanzveranstaltungen mehr als jede vergessene Hosenklammer am Hosenbein. Nun hieß es nach Feierabend und sonntags „aff von’n Hoff“ und man hatte erstmals die Möglichkeit, dem Dorf, der Verwandtschaft oder der Nachbarschaft zumindest für ein paar Stunden zu entfliehen und Neues zu entdecken – damals ein ganz neues Lebensgefühl.

Kreisbaumeister Flender bei einer Inspektionsfahrt, um 1935

Besonders die noch unverheirateten jungen Männer, die schon eigenes Einkommen hatten, erfüllten sich den Traum von einem Moped oder einem Motorrad. Es entstanden Motorsportclubs und Motorradcliquen, die gemeinsame Ausflugsfahrten und Sportveranstaltungen wie Rennen und Geschicklichkeitsfahrten organisierten.

Möglich wurde jetzt auch eine Stipvisite im Nachbarland Holland. Allerdings musste gleich an der Grenze auch für Fahrräder und Motorräder eine Benutzungsgebühr für die Straßen und Wege des Königreichs der Niederlande sowie eine Zweiradsteuer entrichtet werden. Dafür waren Kaffee und der Tabak dort billiger.

Der bekannteste Motorradfahrer in Lingen in der damaligen Zeit war Bernd Rosemeyer. Schon als Jugendlicher fiel er durch eine besonders sportliche Fahrweise und tollkühne Kunststücke auf seinem Motorrad auf. Die Welt der Speichenräder und Motoren hatte er in der elterlichen Werkstatt in der Nähe des Bahnhofs von Kindheit an kennengelernt. Ende der 20er Jahre trat er als Kunstfahrer bei Motorsportveranstaltungen auf und fuhr seit 1930 Motorradrennen für NSU und DKW. Rosemeyers Karriere als Autorennfahrer begann bekanntlich erst im Jahre 1934 und endete schon Anfang 1938 mit einem tödlichen Unfall bei einem Rekordversuch mit einem Rennwagen.

Bernd Rosemeyer (1909-1938) als Jugendlicher mit seinem Motorrad, um 1925