Vom Torwärterhaus über das Kutscherhaus zum Emslandmuseum
Die Geschichte des Lingener Emslandmuseums beginnt schon vor 1900 auf einem uralten Bauernhof in Gleesen. Dort entscheidet sich der junge Bauernsohn Gerhard Tegeder (1875-1926) für
den Beruf des Priesters. Doch schon als Jugendlicher entwickelt er zwei weitere Leidenschaften: er wird ein begeisterter Jäger und vor allem ein fanatischer Sammler. Ob bäuerliche Antiquitäten oder kirchliche Kunst, ob Vogeleier oder urgeschichtliche Funde – Tegeder sammelt alles, was ihm interessant und wertvoll erscheint.
Nach seiner theologischen Ausbildung erhält er seine erste Kaplanstelle in Lengerich – und erregt dort vor allem durch seine Jagdleidenschaft Aufsehen. So entsendet ihn der Bischof in das ferne Hamburg, wo er im städtischen Umfeld als Jäger wenig anstellen kann. Dafür sammelt Tegeder bald wieder – nun Seefahrerandenken aus aller Welt.
Schließlich übernimmt er die kleine katholische Pfarrei im Schleswig-Holsteinischen Friedrichstadt. Rasch verwandelt sich das dortige Pfarrhaus in ein Privatmuseum mit Schätzen aus aller Welt.
1926 stirbt Tegeder mit gerade mal 50 Jahren. Seine Sammlung fällt an die Verwandten auf dem elterlichen Hof. Doch was soll man dort mit den vielen Kisten voller Kunst und Kuriosa anfangen? So entscheidet sich die Familie, die Sammlung zu versteigern. Am Ende erwirbt der Landkreis Lingen die Sammlung Tegeder als Grundstock für ein Kreismuseum.
Beauftragt mit der Bearbeitung der vielen tausend Objekte wir der junge Kreisangestellte Friedrich Hilkenbach, der das Museum fast 50 Jahre leiten wird. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ein Museumsgebäude steht nicht zur Verfügung. Ein Neubau wird geplant, ist aber wegen der einsetzenden Weltwirtschaftskrise nicht mehr finanzierbar. Der Kreis bittet die Stadt um die Bereitstellung von Räumlichkeiten. Schließlich wird das frühere Torwärterhaus an der Burgstraße, das heutige Textilgeschäft Dlugay, zum ersten Domizil des neuen Kreismuseums. Als 1934 endlich die Eröffnung erfolgt, sind schon die Nationalsozialisten an der Macht. Themen wie Urgeschichte, Heimat und Volkstum haben plötzlich eine ganz andere Zielrichtung bekommen.
10 Jahre präsentiert das neue Museum Abteilungen zur Urgeschichte, Volkskunde und Stadtgeschichte. Dann muss das Gebäude geräumt werden, um dort Notwohnungen für Ausgebombte einzurichten. Friedrich Hilkenbach verpackt die Museumsbestände in über 20 Holzkisten und lässt sie auf dem Dachboden der Hindenburgschule (heute Overbergschule) einlagern. Dort befindet sich damals ein Lazarett und er glaubt die Bestände unter dem Schutz des Roten Kreuzes einigermaßen sicher.
Beim Durchzug der Front gerät die Schule unter Beschuss. Die Kisten werden geplündert und die meisten Keramikstücke sinnlos zerschlagen – von der vorgeschichtlichen Urne bis zur Delfter Vase. Jahrelang klebt der Museumsleiter später die meisten Stücke wieder zusammen.
Erst zwölf Jahre später kann das Museum 1957 im früheren Kutscherhaus des Palais Danckelmann wieder eröffnet werden. Im Mittelpunkt steht hier die große Bauernküche mit den bäuerlichen Antiquitäten aus der Sammlung Tegeder. Die neuen Räume erscheinen mehr als großzügig, doch es wird auch fleißig gesammelt.
Die wertvolle Kollektion des Lingener Bahnhofswirtes und Kunsthändlers Carl Johannsen (1872-1959) kommt in den 1950er-Jahren hinzu und bildet den Grundstock für eine neue Abteilung zur kirchlichen Kunst. Viele weitere Exponate werden hinzuerworben. 1960 wird das Dachgeschoss ausgebaut und dennoch herrscht bald wieder drangvolle Enge.
1976 stirbt der langjährige Museumsleiter Hilkenbach während eines Kuraufenthaltes. Sein Nachfolger wird der Heimatforscher Walter Tenfelde, der die Sammlung neu bearbeitet und inventarisiert. Der Museumsleiter ist nicht nur als Heimatforscher, sondern auch als Antiquitätenkenner weithin bekannt. So kann die Sammlung um viele wertvolle Exponate erweitert werden.
Walter Tenfelde leitet das Haus bis 1985, dann übernimmt Bernhard Fuhrmann die ehrenamtliche Leitung des Museums. In seiner Amtszeit wird die museumspädagogische Arbeitverstärkt. Die umfangreiche Fliesensammlung des Museums wird erst neu sortiert und 1988 auch neu ausgestellt.
Mittlerweile ist der Kreis Lingen im Landkreis Emsland aufgegangen, der auch die Trägerschaft des Museums übernimmt. Im Rahmen eines neuen Museumskonzeptes gründen der Landkreis, die Stadt Lingen und 19 Heimatvereine aus dem früheren Landkreis Lingen den Verein Emslandmuseum Lingen. Ab 1988 ist Dr. Andreas Eiynck hauptamtlicher Museumsleiter und plant den Umbau der früheren Landeszentralbank zu einem Ausstellungsgebäude, das 1994 eröffnet wird.
Wieder glaubt man, die Raumprobleme seien auf lange Zeiten gelöst. Doch das neue Museum wird ein voller Erfolg, nicht nur mit den vielen Ausstellungen, sondern bald auch mit der Museumspädagogik und im Veranstaltungsbereich.
An der Spitze des Museumsvereins stehen Persönlichkeiten wie Hermann Bröring (1991-1996), Alexander Herbermann aus Emsbüren (1996-2013) und seit 2013 Willi Brundiers aus Schapen. Alle drei sind als Kommunalpolitiker und als entschiedener Vertreter einer aktiven Kulturarbeit im ländlichen Raum bekannt.
Das Emslandmuseum entwickelt sich bald zu einem Zentrum der Heimatarbeit und zu einem Publikumsmagneten, insbesondere auch im Veranstaltungsbereich. Dafür ist das Haus nicht vorbereitet. 25 Jahre in drangvoller Enge und unter ständiger Improvisation gehen ins Land. Immer wieder werden die Grenzen von Brandschutz und Veranstaltungsverordnung ausgetestet. Dann endlich wird ein großzügiger Erweiterungsbau geplant, der in diesen Tagen seine Tore öffnet.