Unser schönes Lingen trägt viele Titel: Größte Stadt des Emslandes, Hochschulstadt, Stadt der Kivelinge, „Energy Valley“ und noch viele mehr. Aber ist Lingen auch eine „Kaiserstadt“?
Um diese ruhmreiche Bezeichnung führen zu können, muss einmal ein deutscher Kaiser in Lingens Mauern zugegen gewesen sein. Hohe Politiker wie Bundespräsident, Kanzler, Minister waren schon da. Aber kann Lingen auch einen Monarchen im Kaiserrang zu seinen prominenten Vertretern zählen?
Im Rahmen des Jubiläums „1050 Jahre Lingen“ sind viele mittelelterliche Schriftstücke untersucht worden. Unter diesen befindet sich auch eine Urkunde aus dem Jahr 977. Das Schriftstück ist somit zwei Jahre jünger als das Dokument mit Lingens Ersterwähnung von 975. Aber auch dieses wenig jüngere Pergament wirft ein spannendes Licht auf das anfängliche geschichtliche Dunkel der Stadt.
977 beurkundete Kaiser Otto II. (*955, + 983) einen Rechtsvorgang für das Osnabrücker Nordland. Damals übertrug er auf Bitten des Osnabrücker Bischofs Liudolf einem Mann namens Herigisus dessen bisher nur zu Lehen (also als Leihgabe) besessene Güter nun als Eigentum. Diese lagen in Rüssel, Rüsford, Wehdel, Gehrde, Drehle, Hertmann, Bergfeld, Muliun (Wüstung bei Alfhausen), Lechterke, Höne, Tütingen, Ankum, Wallen, Alfhausen und Merzen. Der Text der Urkunde ist in zwei Abschriften überliefert. Die eine nennt Lingen („Linga“) als Ausstellungsort, an dem der Kaiser das Dokument unterschrieb, die andere ein „Bagia“, das von einigen Geschichtsforschern als Bingen gedeutet wird.
Daraus ergibt sich die spannende Frage: War Kaiser Otto II. also im Jahr 977 in Lingen oder in Bingen, als er die Urkunde unterzeichnete? Lange konnte man auf diese Frage keine eindeutige Antwort geben. 1899 fand man dann allerdings das Original der Urkunde wieder auf, das zuvor als verloren galt. Doch auch mit diesem glücklichen Fund konnte die Frage leider nicht beantwortet werden. Denn das alte Pergament ist gerade an der Stelle beschädigt, wo der Ausstellungsort genannt wird. Dennoch lässt sich erschließen, ob der Kaiser in Lingen war oder nicht. Denn schaut man sich die Abschrift der Urkunde an, die Bagia (Bingen) als Ausstellungsort nennt, so kann man schnell feststellen, dass diese gerade bei der Schreibung der Ortsnamen sehr unzuverlässig ist und viele Fehler aufweist. Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass das kaiserliche Schriftstück in Lingen geschrieben wurde und somit auch Kaiser Otto II. im Jahr 977 in Lingen gewesen ist. Das steht auch im Einklang mit der aktuellen historischen Forschung, die den Aufenthalt und die Rechtshandlung in Lingen allerdings wegen des Reiseweges Ottos II. ein Jahr früher annimmt. Aber ob nun 976 oder 977: Otto II. war in Lingen!
Bildunterschrift: Das Bild zeigt Kaiser Otto II. mit den Symbolen der vier Teile seines Reiches aus dem Registrum Gregorii (Buchmalerei).