Ein Spaziergang durch die Geschichte der Gastronomie in Lengerich
Wo dem Herrgott eine Kirche gebaut wird, da baut der Teufel eine Kneipe. Dieses alte Sprichwort gilt auch im Kirchdorf Lengerich, das den Mittelpunkt eines großen Kirchspiels bildet. Im historischen Ortskern standen hier direkt
gegenüber der Kirche am Markt gleich mehrere alte Gasthäuser direkt nebeneinander. Michael Merscher vom Heimatverein Lengerich und Andreas Eiynck vom Emslandmuseum haben zur dortige Kneipenszene recherchiert.
Der Gasthof Erdmann war wohl das älteste Haus am Platz, denn an seiner Stelle stand schon im 17. Jahrhundert die Gaststätte Vollbier, deren Inhaber seinem Namen hoffentlich alle Ehre machte. Später betrieb die Familie Druiken-Völker das Lokal, bis sich im späten 19. Jahrhundert ein Wirt Erdmann einheiratete. Aus dem Dorfgasthof wurde das Hotel Erdmann. Im neu aufgestockten Oberschoss entstand ein geräumiger Saal. Legendär in der ganzen Region waren die dortigen „Madeira-Bälle“, zu denen nur Damen und Herren in eleganter Kleidung Zugang hatten und bei denen sogar Sekt auf der Getränkekarte stand. Im Zweiten Weltkrieg waren in diesem Saal die Bestände des Staatsarchivs ausgelagert und überstanden so die Luftangriffe auf Osnabrück.
Das unmittelbar benachbarte Gasthaus Völker diente seit 1846 gleichzeitig als Poststation und wurde ebenfalls zu einem Hotel ausgebaut. Durch Einheiratet änderte sich der Name von Völker zu Weilerschwist, Wesselmann und schließlich Dröge. Ein Wirtshausschild aus der napoleonischen Zeit beweist, dass auch dieses Gasthaus auf mehr als 200 Jahre Geschichte zurückblicken kann. Beliebt waren hier in der Zeit um die Jahrhundertwende die hölzerne Kegelbahn und der Biergarten. Weithin bekannt waren beide Hotels für ihre gemütlichen Gaststuben mit offenem Herdfeuer, gediegenen alten Eichenmöbeln und historischem Zierrat. Auch Wanddekorationen mit holländischen Wandfliesen waren in den Thekenräumen zu finden.
Völker-Dröge gegenüber stand im 19. Jahrhundert der Gasthof Wintermann, in dem 1884 auch die Volksbank Lengerich gegründet wurde. In einem Nebengebäude betrieb Wintermann eine kleine Tabak- und Zigarrenproduktion, was sicherlich auch den Thekengästen zu Gute kam. Im dortigen Saal fanden viele Feste statt und dort probte regelmäßig der Kirchenchor. Später übernahm die Familie Augustin das Lokal, das bis 1993 bestand.
Im Nachbarhaus Gerdes an der Kirchstraße befand sich ursprünglich eine Bäckerei, später ein Kaufmannsgeschäft mit Ausschank. Eine aus heutiger Sicht zumindest bemerkenswerte Ladenkombination fand sich zwei Häuser weiter an der Kirchstraße. Dort betrieb die Familie Kloppen-Beerlage, später Wesselmann, eine Gastwirtschaft, in der bis 1949 auch die Geschäftsstelle der Volksbank untergebracht war. 1923 brannte dieses Haus zu nächtlicher Stunde nieder, aber wichtige Geschäftsunterlagen konnten noch aus dem Kassenraum gerettet werden. Das Papiergeld war durch die galoppierende Inflation ohnehin nahezu wertlos geworden. Später befand sich hier die Gaststätte Gerdes, nach der Wirtin genannt „Hella-Bar“, mit ihrer Imbissstube. Legendär waren hier die Kartoffelpfannkuchen, die durch gebrauchtes Pommesfett ihre richtige Würze erhielten. Nachfolger von „Hella“ wurde Ricky Rickermann aus Thuine mit „Rickys Pub“. Nach der Renovierung des Gebäudes befindet sich hier heute ein Herrenausstatter.
Etwas weiter in der Kirchstraße war die Gastwirtschaft Brinker-Jansen, kombiniert mit einer Pferdehandlung und einer Schlachterei. Der frühere Inhaber Jakob Jansen beschreibt die Atmosphäre in der alten Gaststätte mit folgenden Worten: „Die Gastwirtschaft entsprach ländlichen Sitten. Das Bier musste mit Eisstangen gekühlt werden und die Schnapspumpe förderte das kostbar Nass aus dem hölzernen Schnapsfass, das im Keller stand. Die Gäste waren solide Leute aus den Gemeinden Lengerich-Dorf und -Bauerschaft und auch aus den Gemeinden Langen, Gersten, Handrup und Wettrup. Die rund um den Fachwerkbau angebrachten Halteringe dienten zum Anbinden der Pferdegespanne. Zu der Zeit fuhren die Bewohner der Dörfer noch mit dem Kutschwagen zur Kirche und zum Einkauf.“
Daneben gab es im Dorf noch eine ganze Reihe kleinerer Schenkwirtschaften, bei denen sonntags nach dem Kirchgang oder bei besonderen Anlässen die Landbevölkerung einkehrte. Dies waren z.B. Brümleve, Eugen Berlage oder Berlage-Böckmann an der Mittelstraße. Dort tauschten nach der Sonntagsmesse die Bauersfrauen Eier gegen Kaffee ein. Etwas weiter lag die Bäckerei Wahl, später von der Haar, die ebenfalls mit einem Ausschank kombiniert war.
Hinzu kamen die Gaststätten an den Einfallstraßen in das Dorf, wo die Bauern aus der Umgebung auch ihre Pferde anbinden konnten. An der Frerener Straße war dies die Gaststätte Habbert, heute Pepes Post. Aus dieser Wirtefamilie ging später das Lebensmittelgeschäft Habbert-Kruse mit einer kleinen Tageskneipe hervor. Wenn man noch Durst hatte sagte man: Wi goaht noch eben no Habberts Herm“.
Gegenüber von Habbert stand die Viehwaage, einst ein wichtiger Treffpunkt der Bauern, und dahinter war die Gaststätte Brinkmann, genannt „Rote Laterne. Hier gab es in den 60er-Jahren Tischtelefone, mit denen man Getränke bestellen, aber auch andere Tische anrufen konnte. Dies war ein Riesenspaß, denn hier konnte man telefonisch die Mädchen zum Tanzen auffordern oder anderweitige Kontakte herstellen.
Schon im 19. Jahrhundert wird die spätere Gaststätte Robbe an der Mühlenstraße erwähnt. Sie hieß von alters her Oelink, später Lampenschulte und dann Robbe. Sie war verbunden mit einer Herberge und dort konnten auch wandernde Gesellen einkehren. Aus einfachsten Anfängen entwickelte sich hier ein beliebter Treffpunkt des Dorfes. Es war das Vereinslokal der Feuerwehr und im Saal konnten bis zu 130 Personen fröhlich feiern.
Als im 18. Jahrhundert am nördlichen Rande des Dorfes eine neue katholische Kirche gebaut wurde, siedelte sich dort bald auch Geschäfte und ein Gasthof an, den die Familie Kramer betrieb und den später der Wirt Luster übernahm. Eine Manufakturwarenhandlung, ein Kolonialwarengeschäft und eine Gastwirtschaft befanden sich hier unter einem Dach, was vielen Kirchgängen und Kirchgängerinnen den Gang ins Dorf ersparte – sehr zum Leidwesen der dortigen Geschäfte. Entsprechend gut liefen die Geschäfte bei Kramer und darum heißt dieser Ortsteil im Volksmund bis heute der „dicke End“.
1821 errichteten die Eheleute Heinrich Kramer und Maria Becker einen stattlichen Neubau für diese verschiedenen Geschäftszweige. Es war damals wohl das stattlichste Bürgerhaus in Lengerich. Nach einer gelungenen Sanierung in den 90er-Jahren bildet dieses Baudenkmal heute wieder ein Schmuckstück des Dorfes.
Zu jeder Kneipe, auch in Lengerich, gehörten früher Kneipensprüche an den Wänden. So hieß es z.B. „Kredit erhalten nur Neunzigjährige, die in Begleitung ihrer Eltern kommen“. Ein anderer Sinnspruch meinte: „Ein Mädchen von der Ems, zwei Schinken vom Schwein, Die sind mir viele lieber, als ein Mädchen vom Rhein.“ Ein eher heilsamer Wirtshausvers lautete: „Es ist ein altes Wort auf Erden, Du musst bedeutend ruhiger werden“.
Ein gutes Stück Weisheit steckt auch in diesem Kneipenspruch: „Wer seine Frau hat mitgenommen, ist noch nie zu spät nach Haus gekommen.“ Na dann: Prost, da nehmen wir doch noch einen.