Aus der Geschichte des Fahrrades im Emsland
Vor etwa 130 Jahren erreichte eine neue technische Erfindung das Emsland: das Fahrrad. Es war anfangs noch kein preiswertes Verkehrsmittel für alle, sondern eher ein Sportgerät
für die besser betuchten. Im bürgerlichen Kreisen der emsländischen Kleinstädte entstanden bald entsprechende Radfahrvereine unter dem Motto „All Heil“, der erste 1891 in Lingen, weitere 1894 in Papenburg und Freren. Als Dachverwand wirkte der „Bund Deutscher Fahrradsport – All Heil“. Die Vereine organisierten Ausflugsfahren sowie gesellige Veranstaltungen für ihre Mitglieder, mitunter aber auch Fahrradrennen und Geschicklichkeitsprüfungen.
Alltagstauglich waren die sogenannten Hochräder mit hohen Vorderrädern auf den emsländischen Straßen der damaligen Zeit noch nicht. Die großen Räder federten die Schlaglöcher zwar etwas ab, führten aber auch zu gefährlichen Stürzen. Erst die Fahrräder mit einem sogenannten Rautenrahmen und zwei gleichgroßen Rädern verhalfen dem Fahrrad als Verkehrsmittel zum Durchbruch. Gummireifen, zunächst aus Vollgummi und bald schon mit luftgefüllten Schläuchen, brachten deutlich verbesserte Fahreigenschaften. Aber Gummibereifung war teuer und weil im Ersten Weltkrieg kein Kautschuk für die Reifenproduktion zur Verfügung stand, kehrte man notgedrungen noch einmal zu Holzbereifung und Spiralfedern zurück.
In den 20er-Jahren entwickelte sich das Fahrrad auch auf dem Lande zum Massenverkehrsmittel. Mit Korb und Anhänger nutzte man es als preiswertes Transportmittel. Sprichwörtlich wurde das „Milchkannenfahrrad“ in der Landwirtschaft. Reifenpannen waren angesichts der schlechten Straßen und Wege an der Tagesordnung und mussten selber behoben werden. Ersatzteile wie Speichen oder Ketten waren bei den örtlichen Eisenwarengeschäften und Dorfschmieden erhältlich, die häufig auch Fahrradreparaturen durchführten und mit Fahrrädern handelten.
Ein bekanntes Fahrradhaus in Lingen war die Firma Rosemeyer, die später auch Motorräder und Autos in ihr Programm aufnahm. Zur Werbung und zur Kundenbindung nutzten die Fahrradhändler damals Klingelknöpfe mit ihren Firmenemblem, zumeist aus dem eigenen Namen und der bevorzugten Fahrradmarke. Im Zentrum erscheint oft ein vierblättriges Kleeblatt als Glücksbringer gegen Dornen, Schlaglöcher, freilaufende Hunde und unvorsichtige Autofahrer.
Unternehmungslustige Fahrradliebhaber unternahmen regelrechte Fernfahrten, von denen dann auf den Dörfern noch lange berichtet wurde. Beliebte Ziele waren etwa die rheinischen Metropolen Düsseldorf und Köln, die man bei guter Kondition in zwei Tagen erreichen konnte.
Untertanen, die mit eigenen Fahrzeugen flott durch die Lande fuhren, waren der Obrigkeit im Kaiserreich ein Dorn im Auge. Sie mussten der Kontrolle der staatlichen Ordnungshüter unterworfen werden. Undenkbar, das auf einer Straße im Königreich Preußen ein Radfahrer ohne einen entsprechenden Radfahrausweis unterwegs sein konnte. Bei den häufigen Fahrradkontrollen überprüfte die Polizei dann gleich auch Fahrradglocke, Bremshebel und Fahrradlampe auf ihre Funktionsfähigkeit. Als Rücklicht reiche lange Zeit noch ein reflektierender Rückstrahler. Verboten war auch das Mitführen einer weiteren Person auf dem Gepäckträger, soweit hierfür nicht besondere technische Vorrichtungen getroffen waren.
Eine Hosenklammer, die das gefährliche Einklemmen der Hosenbeine in die Fahrradkette verhindern sollte, war zwar nicht vorgeschrieben, aber in jedem Fall praktisch. Denn Kettenkästen hatten die frühen Fahrräder noch nicht. Sie waren ein typisches Merkmal des „Holländer Fahrrades“, aber das war für die meisten Emsländer damals noch unerschwinglich.