Wunderwerk der Technik ging vor 125 Jahren in Betrieb
Vor zweihundert Jahren begann der Bau eines ersten Ems-Kanals parallel zur Ems von Hanekenfähr bis Meppen, der unmittelbar an Lingen vorbeiführte. Hier nutzte man den
tief gelegenen Flusslauf der alten Ems und legte unweit des Bögen-Viertels einen Hafen mit einem Lagerhaus an. Die Lindenstraße überquerte den damaligen Kanal mit einer Zugbrücke, denn die Kanalschiffe, es waren vorzugsweise hölzerne Emspünten, hatten damals noch einen hohen Mast für ein Segel. Wenn ein solches Schiff passieren wollte, wurde die Brücke hochgeklappt und der Straßenverkehr musste warten.
1892 begann der Ausbau des alten Kanals zum Dortmund-Ems-Kanal, der größtenteils das alte Kanalbett nutzte, aber viel breiter und tiefer war, weil er für erheblich größere Schiffe geplant war. Deshalb wählte man bei Lingen einen etwas veränderten Verlauf, so dass hier beiderseits der Lindenstraße eine Insel zwischen dem alten und dem neuen Kanal entstand.
Die Lindenstraße überquerte den neuen Kanal mit einer Drehbrücke. Näherte sich ein Schiff, dann wurde die Brücke auf einer Mittelachse um neunzig Grad gedreht, so dass die Schiffe an ihr vorbeifahren konnten. Sie galt als kühnes technisches Bauwerk und wurde in vielen Büchern und Fachzeitschriften abgebildet.
Vorteil dieser Bauweise war die ebenerdige Überfahrt, so dass die Fuhrwerke keine Brückenrampe herausfahren mussten. Der Nachteil waren die Wartezeiten für den Straßenverkehr, besonders wenn lange Schleppzüge mit einem Dampfschlepper und mehreren Lastkähnen die Brücke passierten. Dann mussten man lange warten, bevor sich die Schranken vor der Brücke wieder hoben.
Im August 1896 war die Drehbrücke nach mehrjähriger Bauzeit fertig. Die erste Überfahrt unternahm der Lingener Gastwirt Heinrich Schievink mit seinem Flaschenbierwagen. Viel Freude an der Drehbrücke hatten die Lingener Kinder, denn sie nutzten die Brückenschwenkungen für eine kostenlose Karussellfahrt über das Wasser. Direkt neben der Drehbrücke stand direkt am Kanal das „Wasserhäuschen“, der Sitz der Kanalverwaltung in Lingen. Dahinter befand sich der Bauhof mit den Booten des Baubezirks, darunter auch das Dienstboot des Leiters.
Dem wachsenden Schwerlastverkehr der 20er-Jahre war die Konstruktion der Drehbrücke nicht mehr gewachsen und spätestens mit dem Bau der Lingener Kaserne musste eine neue Brücke her.
Am 22. Januar 1936 unternahm Heinrich Schievink, der erste Benutzer der Brücke, die letzte Fahrt über die Drehbrücke, an deren Stelle nun die neue Kanalbrücke entstand. Mit der Romantik der Lindenallee war es dahin und direkt vor den Häusern standen die hohen Brückenrampen.
Gebaut wurde 1936 eine schwere Stahlbrücke, die auch für Panzer tauglich war. Hierfür benötigte man jedoch auf beiden Seiten der Brücke jeweils vier Meter hohe Zufahrtsrampen. Daher musste fast 200 schöne alte Alleebäume an der Lindenstraße abgeholzt werden.
Die neue Kanalbrücke stand keine zehn Jahre, denn sie wurde bei den Kämpfen um Lingen Anfang April 1945 von der deutschen Wehrmacht in die Luft gesprengt.
Doch schon wenige Tage später errichteten die Engländer dort eine Pontonbrücke. Über sie rollten die Panzer und der Nachschub der Alliierten von Nordhorn und Schepsdorf aus durch die Lingener Innenstadt.
In den 50er-Jahren wurde dann eine neue Kanalbrücke errichtet. Dabei wurden die Rampen erhöht und die Straße erheblich verbreitert. Mehrere Häuser links und rechts der Lindenstraße mussten weichen. Von der romantischen Lindenallee von Lingen nach Schepsdorf blieben nur einzelne Bäume zwischen dem Kanal und der Ems.