Hausputz und Tanz in allen Sälen
Wenn im Herbst die Ernte eingefahren war und die Bauern die erste Bilanz des Jahres zogen, lockte allerorten die Herbstkirmes mit ihren Verkaufsständen und Fahrgeschäften. Bei den fahrenden Händlern …
konnte man sich vor dem anstehenden Winter noch einmal mit Hausrat, Textilien und Vorräten versorgen. Dabei fiel für die Kinder und Jugendlichen auch mal ein Groschen für eine Karussellfahrt oder eine Runde mit der Schiffschaukel ab. Auch Stände mit Süßwaren und Spielzeug boten bei der Kirmes ein Sortiment, wie man es zu früheren Zeiten auf dem Lande sonst nicht kannte.
Die Termine in den einzelnen Dörfern waren sorgsam abgestimmt, damit man auch die Kirmes in den Nachbarorten nicht verpasste. Feste Größen im Kalender waren die Frühlings- und die Herbstkirmes in Lingen, denn dort lockten auch größere Fahrgeschäfte und besondere Attraktionen, die man nicht auf jeder Dorfkirmes fand, etwa Preisboxen oder todesmutige Steilwandfahrten mit Motorrädern.
Junge Männer prüften an der Schießbude ihre Treffsicherheit und schossen Preise oder Rosen für die jungen Mädchen. Die Damen suchten an den Losbuden ihr Glück. Beim „Hau den Lukas“ zählten Kraft und Geschicklichkeit. Heiße Rhythmen und schnelle Fahrzeuge gab es im Autoscooter. Beliebt war auch eine Runde mit einer der Dorfschönheiten in der Raupe mit Verdeck. Klappte während der Fahrt das Verdeck des Wagens zu, dann konnte man mal einen Kuss riskieren. Aber nicht zu lange, denn bald öffnete sich der Sichtschutz wieder.
Alle Gasthöfe hatte an den Kirmestagen geöffnet und ab dem Nachmittag gab es Musik und Tanz in allen Sälen. Der Andrang war groß, denn nach der anstrengenden Erntesaison hatte viele Menschen den Wunsch nach Erholung und Geselligkeit. Und natürlich auch großen Durst.
Zur Kirmes kamen grundsätzlich auch die auswärtigen Verwandten zu Besuch. Und Verwandtschaft wurde früher im Emsland sehr weitläufig gesehen. Mitunter stellten sich Gäste ein, deren familiärer Zusammenhang kaum noch bekannt war – aber sie kamen halt jedes Jahr zur Kirmes ins Haus und mussten deshalb wohl dazugehören. Natürlich auch beim Essen, denn zur Kirmes wurde im Stammhaus für alle Gäste gekocht und reichlich aufgetischt. Tage vorher schon hatten die Frauen das Haus auf Vordermann gebracht. Die Fenster wurden geputzt, die Möbel abgestaubt und die Fußböden gründlich geschrubbt. Selbst die Gardinen wurden zum großen Ereignis gewaschen, denn keine Hausfrau wollte sich vor der Verwandtschaft blamieren. Das war Ehrensache.
Eine besondere Freude war die Kirmes für die Kinder, die schon lange von einer Karussellfahrt auf dem Holzpferdchen, im Feuerwehrauto oder einem Polizeiwagen geträumt hatten. Ältere suchten den Rausch der Geschwindigkeit im Kettenkarussell oder noch schnelleren Attraktionen. Die Jugendlichen hatten sich ihr Kirmesgeld beim Kartoffelsammeln mühsam verdient. Mit Kirmesgeld von den Eltern wurden sie ziemlich knapp gehalten. Manchmal halfen Oma und Opa aus. Zu vorgerückter Stunde zeigten sich aber auch die Väter und andere Gäste an der Theke zunehmend spendabel. So war oft noch eine Extrarunde drin, wenn das eigene Taschengeld schon aufgebraucht war.