Die „kleinen Leute“ auf dem Lande
Etwa die Hälfte der Landbevölkerung im Emsland waren früher sogenannte Heuerleute. Sie hatten keinen Besitz und lebten von ihrer Hände Arbeit auf den Höfen der Bauern. Für die meisten bedeutete das: lebenslange Armut. Das Leben der Heuerleute wird hier in authentischen Fotos vorgestellt.
Im altüberlieferten Erbrecht Nordwestdeutschlands galt früher der eiserne Grundsatz, dass ein Bauernhof immer ungeteilt an eines der Kinder, in der Regel an den ältesten Sohn, vererbt werden musste. Die übrigen Bauernkinder erhielten eine Abfindung und mussten sehen, wo sie blieben.
Einige baten den Hoferben, ihnen ein kleines Haus zu bauen und etwas Land zu verpachten, damit sie im Dorf bleiben und ihre Familie aus einer kleinen Landwirtschaft versorgen konnten.
So entstanden die sogenannten Heuerstellen am Rande der Höfe und Bauerschaften, denn heuern bedeutet pachten und die Heuerleute waren die besitzlosen Landarbeiter, die Haus und Grund pachten mussten.
Bernd Robben aus Gleesen hat in einem Buch die Lebensverhältnisse der Heuerleute eindrucksvoll beschrieben. Weil ihre kleine Landwirtschaft nur für den Eigenbedarf reichte, konnten sie damit kein Einkommen erzielen und mussten die Pacht daher mit einer festgelegten Anzahl von Einsatztagen beim Bauern abarbeiten. Damit hatten sie aber noch keine Einkünfte erzielt. Manche Heuerleute übten daher ein einfaches Handwerk aus und arbeiteten etwa als Holzschuhmacher, Leinenweber oder Bauarbeiter.
Andere zogen jeden Sommer ein paar Wochen oder sogar mehrere Monate zur Saisonarbeit in die Niederlande. Zu Fuß natürlich. Dort arbeiteten sie als Grasmäher oder Torfstecher im Akkord, um so den Lebensunterhalt für ihre Familien in der Heimat zu verdienen.
Die eigene Landwirtschaft musste während dieser Zeit von der Heuerlingsfrau und den heranwachsenden Kindern übernommen werden.
Die Heuerhäuser waren meistens sehr einfach gebaut. Eine Trennwand zwischen Stall und Küche gab es bis in die Zeit um 1900 bei den Heuerleuten nur selten.
Zwar ähnelte die Aufteilung der Häuser mit Stalldiele, Küche und Kammerfach dem Grundriss der großen Bauernhäuser, doch waren die Raumverhältnisse in den viel kleineren Heuerhäusern äußerst beengt. Und dabei lebten hier ebenso kinderreihe Familien wie auf den Bauernhöfen.
Die Anzahl der Heuerleute wuchs von Generation zu Generation, während die Zahl der Bauernhöfe gleich blieb. Damit stieg der Anteil der Heuerleute an der Landbevölkerung stetig an und in vielen Gemeinden bildeten sie im 19. Jahrhundert mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Aber über ihnen hing das Schicksal der Armut. Kein Bauernsohn heiratete eine Heuerlingstochter und keine Bauerntochter eine Heuerling, denn das galt als nicht standesgemäß. So lief durch die Dörfer eine unsichtbare Grenze zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen.
Bei manchen Bauern war es für die Heuerleute kaum auszuhalten. Hier wechselten die Bewohner der Heuerstellen häufig.
Bei anderen blieben die Heuerleute über Generationen beim gleichen Hof und hatten manchmal ein fast schon verwandtschaftliches Verhältnis zu ihren Verpächtern.
Im 20. Jahrhundert sahen viele Heuerlingsfamilien im ärmlichen Leben auf dem Lande keine Zukunft mehr. Sie zogen in die Städte oder wanderten nach Amerika aus, um dort eine eigene Farm zu gründen und so in den Bauernstand aufzusteigen.
Seit der Währungsreform 1948 und mit der Umsetzung des Emslandplans ab 1950 konnten die Heuerleute in Handwerk und Industrie mehr verdienen als mit ihrer kleinen Landwirtschaft Viele zogen als Industriearbeiter nach Lingen, andere errichteten sich eine Nebenerwerbsstelle auf dem Lande und pendelten zu den neuen Industriebetrieben. Die alten Pachtverhältnisse Arbeit gegen Haus und Land wurden aufgelöst und die Schicht der Heuerleute verschwand.