Helga Hanauer

Niederländerin – Lingenerin – Schwimmerin

Helga Hanauer (1940-1976)

Hin und wieder entdecken wir in privaten Fotoalben aus der Nachkriegszeit Fotos von Helga Hanauer und manche Zeitzeugen können sich noch gut an sie erinnern. Grund genug, einmal über diese besondere Lingener Persönlichkeit zu berichten.

Die Brüder Gustav und Bernhard Hanauer um 1935 vor ihrem Elternhaus in der Schlachterstraße in Lingen

Helga war die Tochter des Lingener Kaufmanns Gustav Hanauer (1904-1972). Wegen seines jüdischen Glaubens flüchtete Hanauer 1938 in die Niederlande. Dort heiratete er im Jahr darauf die Niederländerin Theres Groenheim und gründete eine Familie. 1940 kam die Tochter Helga, 1942 die Tochter Carla und Anfang 1945 die Tochter Mieke zur Welt.

Mittlerweile hatte die Deutsche Wehrmacht im Mai 1940 die Niederlande besetzt und die Deutschen begannen auch dort mit der Verfolgung und Ermordung der Juden. Die Familie Hanauer konnte mit Hilfe des niederländischen Widerstandes untertauchen. Die Töchter kamen unter falscher Identität in ein Kinderheim, das von Ordensschwestern geführt wurde, und die Eltern versteckten sich auf einem Bauernhof. Die beiden letzten Kriegsjahre verbrachten sie versteckt in einer Erdhöhle.

Anfang Februar 1945, die Alliierten standen schon am Niederrhein, brachte Theresa Hanauer die Tochter Mieke zur Welt. Im Versteck war das unmöglich und so brachte der Widerstand sie mit gefälschten Papieren in ein Krankenhaus. Die deutsche Besatzung befand sich angesichts der herannahenden Front schon in Auflösung, aber die Gefahr, entdeckt und ermordet zu werden, war noch nicht gebannt.

Ende März 1945 befreiten die alliierten Truppen die Niederlande von der deutschen Besatzung und der Familie Hanauer drohte keine Gefahr mehr. Eltern und Töchter hatten überlebt. Die Familie zog nach Enschede und dort kamen noch weitere Kinder, die Söhne Hermann und Eduard, zur Welt.

Gustav Hanauer auf seinem Motorrad (am Kanaldreieck in Bevergern)

1950 kehrte Gustav Hanauer nach Lingen zurück, um den Betrieb seiner Altmaterialhandlung wieder aufzunehmen. Die Töchter Helga und Carla folgten ihm und führten den Haushalt. An den Wochenenden und in den Ferien kam auch der Rest der Familie häufig zu Besuch nach Lingen. Hanauer wohnten zunächst in einer Baracke an der Lindenstraße und zogen dann an die Lengericher Straße in Laxten, wo Helga später ein Textilgeschäft führte.

Im Freibad in Bokeloh (v.l.: Helga Hanauer, Birgit Strickrodt, Axel Wagner, Carla Hanauer und Wilfried Schiffer)
Fahrt des Lingener Schwimmclubs Blau-weiß zu einem Wettkampf (v.l.:Werner Henschke, Herr Retschnik, Helga Hanauer, Karl-Heinz Börner und Birgit Strickrodt)

Schon als Jugendliche war Helga Hanauer eine talentierte Sportlerin. Für den Lingener Schwimmverein Blau-Weiß errang sie bei Wettkämpfen zahlreiche Siege und Auszeichnungen. Als „Schwimmass“ war sie weithin bekannt.

LT-Bericht vom 2. September 1959 über Helga Hanauers Erfolg bei einem Schwimmwettkampf

Helga Hanauer war ja in einem niederländischen Kinderheim und dann in Enschede aufgewachsen. Ihre Muttersprache war Niederländisch. Damalige Freundinnen erinnern sich daran, dass sie deutsch mit einem niederländischen Akzent sprach. Sie hatte einen großen Freundeskreis und war eine lebenslustige junge Frau.

Carla Hanauer (rechts) bei einem Literaturkreis

Ihre Schwester Carla zog Ende der 60er-Jahre zu Verwandten in die USA. 1972 starb der Vater Gustav Hanauer. Helga wohnte nun alleine an der Lengericher Straße. Sie schloss sich einem Literaturkreis junger Frauen an und schrieb auch eigene lyrische Texte, von den denen viele überliefert sind. Darin nimmt sie Bezug auf das Schicksal der Juden in der NS-Zeit und das Verschweigen über die Verbrechen und Verstrickungen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Beim Stadtjubiläum 1975 kritisierte sie in zwei eindrücklichen Leserbriefen die damals erschienene Stadtgeschichte, in der die Geschichte und das Schicksal der jüdischen Familien in Lingen nur ganz am Rande thematisiert wurde. Ein Skandal!

Ein Jahr später starb Helga Hanauer im Alter von erst 36 Jahren in ihrer Wohnung in Lingen-Laxten. Sie liegt auf dem jüdischen Friedhof in Lingen begraben.