In der Schlachterstraße wohnten nicht nur Schlachter
Kleine Handwerkerhäuser bestimmten bis in die 1970er-Jahre das Bild der Schlachterstraße. Schlachter, aber auch Schneider und Schuster, Schmiede und Tischler hatten hier ihren Sitz. An viele traditionsreiche Handwerkerfamilien erinnert dieser Beitrag.
Von der Bauerntanzstraße aus am Beginn der Schlachterstraße links stand früher das kleine Häuschen des Schlossers Tewes.
Später wurde dort ein Ladenlokal für das „Miederhaus“ Chastinet eingerichtet, später Neubau Juwelier Hellmann. Rechts schloss sich das Schuhwarengeschäft Lühn an. 1927 erbaute der Architekt Hans Lühn hier ein neues Wohn- und Geschäftshaus im markanten Backsteinstil der 20er-Jahre. Später wurde aus dem Schuhgeschäft ein Sporthaus und derzeit befindet sich hier ein Modegeschäft.
Dort, wo heute der schmale Durchgang zum Neuen Rathaus führt, stand einst die Schlachterei Richtering. Dann folgte die Schmiede van Lengerich, verbunden mit einem Eisenwarengeschäft und einer Landmaschinenhandlung. Die Betriebsgebäude lagen größtenteils rückwärtig an der Elisabethstraße.
Gegenüber, im heutigen „Zeughaus“ der Kivelinge, hatte bis in die 30er-Jahre die Schmiede Rentmeister ihren Sitz.
In dem alten Fachwerkhaus Nr. 12, heute bekannt als Gaststätte „Butschers“, wohnte bis zu ihrer Deportation 1942 die jüdische Familie Hanauer.
Daneben stand auf der Ecke zu dem kleinen Platz eine Gaststätte, die nacheinander von den Wirten Johannigmann, Klemann und Hutmacher betrieben wurde.
Anschließend bezog dort die „Bar Romantika“ ihre Räumlichkeiten. Die Gäste kamen, dem Vernehmen nach, vorwiegend von auswärts. Es war die erste Gaststätte in Lingen mit einer Nachtlizenz, die also nicht die Sperrstunde einhalten musste.
Die Häuser auf der rechten Straßenseite waren in diesem Bereich größtenteils Hintergebäude von Anwesen am Markt.
Jenseits der kleinen Gasse hatten der Schneider Lambers, die Näherin Räkers, der Schuster Telger und der Frisör Schubert ihre Werkstätten. Im Hause Körner mit dem alten Torbogen soll sich in der Zeit der Glaubensverfolgung ein katholisches Geheimkloster befunden haben, die sogenannte „Arche“. Anstelle des späteren Modegeschäftes Huesmann stand die Werkstatt des Küfers Leiwe, später Schlosserei Wolters.
Die gegenüberliegende Straßenseite begann mit der Bäckerei und Gastwirtschaft Vahrenhorst. Spätere Betreiberin war Liselotte Ziems und heute ist das Lokal unter dem Namen Koschinski, kurz Koschi, weithin bekannt.
Die folgenden Giebelhäuser stammten im Kern teilweise noch aus der Zeit des Stadtbrandes von 1548. Dies gilt auf jeden Fall für das Haus der Familie van Kampen, an deren Stelle heute die Gaststätte „Hexenhaus“ steht. Dieser Name stammt erst aus den 90er-Jahren, als das Haus zeitweise leer stand. Die Fensterscheiben wurden eingeworfen und irgendwann sprühte ein Witzbold in bunten Farben den Namen Hexenhaus an die Fassade. Der blieb beim Neubau erhalten.
Ein paar Häuser weiter wohnte die Familie Erdbrink ebenfalls in einem Haus von 1549, heute Maklerbüro „Geradehaus“. Vor dem Neubau wurde das alte Fachwerk untersucht und sorgsam abgetragen. Auf einem Lagerplatz wartet es noch auf den Wiederaufbau durch einen Liebhaber.
Direkt daneben stand einst ein weiteres Fachwerkhaus, in dem die Familie Maler Gelshorn und Klempner Tölsner unter einem Dach wohnten. In den 30er Jahren eröffnete Theodor Robben hier eine Schlachterei, die bald um eine Gaststätte erweitert wurde. Robben kaufte ein Nachbarhaus und errichtete dort ein geräumiges Gastzimmer. Bekannt war Robben, weil dort früher auch Pferdefleisch verkauft und serviert wurde. Später übernahm der Niederländer Jan Heckhuis diesen Handel und die Gaststätte ging an einen Barbetrieb über. Die Lage des Hauses war hierfür sehr günstig, denn es gab einen diskreten Hintereingang an der Elisabethstraße, der bisweilen auch als Fluchtweg genutzt wurde. Vor etwa 20 Jahren entstand dort der Neubau für das Tanzlokal Palacio, heute Mustis Club. Tölser zogen später in ein Nachbarhaus, ebenfalls von 1549, das derzeit restauriert wird.