Roggenmoor und Stoppelhahn

Alte Erntebräuche im Emsland

Erntedank-Dekoration in der Reformierten Kirche in Lingen (2022)

Mit der Technisierung der Landwirtschaft und dem Aufkommen der Mähmaschinen gerieten viele traditionelle Erntebräuche rasch in Vergessenheit. An ihre Stelle traten im 20. Jahrhundert die organisierten Erntedankfeste in Kirche und Dorfgemeinschaft. Sie halten die Erinnerung an die bäuerlichen Wurzeln und die große Bedeutung der Landwirtschaft auch in einer technisierten Welt in Erinnerung.

Erntedank-Dekoration

Besonders die Getreideernte als traditioneller Höhepunkt des landwirtschaftlichen Jahres war mit vielen alten Bräuchen verbunden. So lange das Korn noch von Hand mit der Sense gemäht wurde standen im Mittelpunkt des Erntebrauchtums die letzte Garbe auf dem Acker und das letzte Fuder Getreide, das auf den Hof eingefahren wurde.

Vor dem Schnitt der letzten Garbe schaute man scherzhaft nach, ob darin vielleicht noch ein Hase, ein Hahn oder ein Bock verborgen sei und mähte den Rest zu einer unförmigen dicken Garbe zusammen. Dieser so genannte „Stoppelhahn“ wurde vielerorts geschmückt und nach der Einfahrt der Ernte an einer besonderen Stelle im Hause aufgestellt. Dazu riefen die Arbeiter: „Harut, harut, ick jage di!“ (Heraus, heraus, ich jage dich). Eng verbunden mit solchen Erntebräuchen war die Vorstellung von der sagenhaften „Roggenmoor“ (auch „Roggenmuhme“), einem bösen Geist, der sich in den wogenden Kornfeldern verbarg und die Kinder in das hohe Getreide lockte. Dort verloren die Kleinen rasch die Orientierung und irrten hilflos umher – die „Roggenmoor“ hatte sie entführt! Doch spätestens bei der Ernte musste dieser Geist von Schnitt zu Schnitt flüchten und wurde schließlich in die letzte Garbe gebannt.

Für die Erntezeit braute man auf großen Bauernhöfen das „Erntebier“, ein dunkles, kräftiges Bier, das an den heißen und anstrengenden Erntetagen gerne getrunken wurde.

Nach der Einbringung der Ernte bedankte sich der Hausherr mit einem Geldgeschenk oder einem Umtrunk bei seinen Arbeitern und Helfern. Außerdem konnten sich alle Beteiligten auf eine besondere Abschlussmahlzeit freuen. An einem der darauffolgenden Sonntage vertranken die Erntehelfer dann beim „Stoppeltrunk“ das vom Bauern spendiert „Kranzbier“.