Flurnamen im Emsland

Der „Darmer Esch“ auf einer Karte des Jahres 1776. Landesarchiv Niedersachsen, Abteilung Osnabrück, K 33 Nr. 101 h.
Lingen hat mehrere Straßen mit Esch: Achteresch, Am Galgenesch, Am Laxtener Esch, Am Wulwer Esch, Darmer Esch, Egbers Esch, Eschstraße, Groten Esch, Heuesch, Holthauser Esch, Koninger Esch, Langer Esch, Lögerings Esch, Ostereschstraße, Sandesch, Südeschstraße oder Westenesch. Aber was ist das eigentlich: ein Esch? Hat der Begriff vielleicht etwas mit dem ähnlich klingenden Baumnamen Esche zu tun, der im Straßennamen Ebereschenweg vorkommt?
Weit gefehlt: Esch ist eine Flurbezeichnung, die in den östlichen Niederlanden und im Nordwesten Deutschlands häufig auftritt. In der Geologie bezeichnet der Terminus „Plaggenesch“ eine spezielle Bodenform, die durch menschliche Tätigkeit – die sogenannte Plaggendüngung – entstanden ist. Unter Plaggendüngung versteht man das Aufbringen von Gras- und Heidesoden auf das Ackerland zur Düngung. Das war zu Zeiten, als es noch keinen Kunstdünger gab – also bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Plaggen wurden dabei meistens zuvor als Stallstreu verwendet, wobei sie mit dem Dung der Tiere angereichert wurden. Diese Plaggenesch-Böden sind gekennzeichnet durch eine Aufhöhung der Geländeoberfläche und die Entstehung tiefgründig humoser Horizonte. Alle Böden, die diese Merkmale aufweisen, werden als Plaggenesche bezeichnet.
Weitere Verwendungen des Begriffs
Neben diesem geologischen Fachbegriff existiert aber noch die historische und gegenwärtige Flurbezeichnung Esch. Das Vorkommen dieses Flurnamens ist auf die östlichen Niederlande und den nordwestdeutschen Raum begrenzt. Für das Münsterland lässt sich die Bezeichnung Esch in Siedlungsnamen bereits im 9. Jahrhundert nachweisen (Ternsche bei Lüdinghausen: Ternetsca; Langenesch bei Olfen: Langonethsca), für das Emsland mit Bramsche (Bremesge) auch schon um das Jahr 1000.
Erstmals fassbar wird der Begriff Esch in der gotischen Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila († 383 n. Chr.) in der Form atisk (Akkusativ Singular) und bezeichnet hier einfach das ‚Ackerfeld‘. Im Altniederdeutschen ist das Wort zufällig nicht belegt. Doch kann man durch das althochdeutsche Wort ezzisc (Saat) und die münsterländischen Siedlungsnamen des 9. Jahrhunderts (s.o.) die altniederdeutsche Form *etisk rekonstruieren. Im Mittelniederdeutschen kommt das Wort als êsch oder esch ‚Saatland‘ vor. Die ursprüngliche Herkunft des Wortes ist unsicher. Vermutlich gehört es zu einer indogermanischen Wurzel *ed– ‚essen‘, die auch in altisländisch aeti ‚Essbares‘, vorliegt. Aufschlussreich ist, dass der Begriff im Altenglischen, der „Schwestersprache“ des Altniederdeutschen, nicht vorkommt (hier entspricht eteland). Das lässt vermuten, dass es Eschfluren noch nicht gab, als England im 5. Jahrhundert n. Chr. von Nordwestdeutschland aus besiedelt wurde. Somit könnten die Eschfluren vielleicht erst entstanden sein, als die Bewegungen der Völkerwanderungszeit (Mitte 4. bis Ende 6. Jahrhundert n. Chr.) vorüber waren.
Der sprachliche Befund an sich lässt also auf keine besondere Wirtschaftsform (Plaggendüngung) schließen. Die Flurbezeichnung Esch ist somit inhaltlich nicht unbedingt identisch mit dem Fachbegriff Plaggenesch und kann auch Flächen bezeichnen, die nicht den speziellen geologischen Bodentyp aufweisen.

Eschlandschaft in Lingen-Biene. Emslandmuseum Lingen.
Definition
Der Osnabrücker Jurist Johann Ägidius Klöntrup (1755–1830) beschreibt im ersten Band seines dreibändigen Werkes mit dem Titel „Alphabetisches Handbuch der besonderen Rechte und Gewohnheiten des Hochstifts Osnabrück mit Rücksicht auf die benachbarten westfälischen Provinzen“ aus dem Jahr 1798 die Eschfluren und ihre Bewirtschaftung näher – zu einer Zeit also, als die Eschfluren noch in der herkömmlichen Weise genutzt und bewirtschaftet wurden. Zunächst definiert Klöntrup den Esch als „ein zum Ackerbau bestimmtes Feld, das mehrere zusammen bauen [bebauen].“ Den Esch macht hier also nicht ein spezielles Düngungsverfahren aus, sondern die gemeinschaftliche Nutzung der an dieser Flur Berechtigten.
Nutzung des Eschs
Die einzelnen Parzellen der beteiligten Eschnutzer waren nicht durch kleine Wälle („Aufwürfe“) oder Zäune gegeneinander abgegrenzt, sondern lediglich durch „Furchen“ und vereinzelt gesetzte Markierungssteine. Die „Genossen eines Esches“, wie Klöntrup die beteiligten Nutzer nennt, seien oftmals eine eigene genossenschaftliche Organisationsform, eine „Innung“. Alle Mitglieder derselben hatten das Recht, nach der Ernte ihr Vieh auf den Esch zu treiben und auf den Stoppeln und Ernteresten zu weiden. Aus diesem Grund durften die Parzellen des Eschs nicht eingefriedet werden, was die Gemeinschaftsweide und damit die Rechte des einzelnen Mitberechtigten hätten stören können.
Ausnahme
Eine Ausnahme war im Fürstbistum Osnabrück allerdings erlaubt. Im Iburger Gödingsspruch vom 15 Mai 1674 wurde zugestanden, dass ein am Esch beteiligter Nutzer seine Parzelle für vier Jahre einhegen durfte, nur musste gewährleistet sein, dass diese zeitlich befristete Einfassung vom Ackerland des Nachbarn so weit entfernt war, dass der Nachbar nicht am Pflügen seines Ackers behindert wurde.
Neben der fehlenden strikten Trennung der einzelnen Ackerparzellen mittels Einfriedungen unterschied sich der Esch von den übrigen Ackerflächen, den sogenannten Kämpen (Lehnwort aus lateinisch campus ‚gehegtes Feld‘), zudem durch seinen größeren Umfang und die gemeinschaftliche Besitzstruktur, da ein Kamp in der Regel eine kleinere Fläche aufwies und nur einen Besitzer hatte.
In einigen Fällen kam es vor, dass der Eigentümer einer Eschparzelle nicht Mitglied der Eschgenossenschaft war. In diesem Fall hatte dieser zwar das Recht, sein Vieh nach der Ernte auf seiner Parzelle weiden zu lassen, hatte aber dafür zu sorgen, dass es nicht auf die übrigen Teile des Eschs übergriff. Er musste es also durch einen Hirten hüten lassen.

Kornschneiden auf einer vermutlich alten Eschparzelle an der Eschstraße (Familie Musekamp). Emslandmuseum Lingen.
Flurzwang
Die gemeinschaftliche Nutzung des Eschs sah ebenfalls vor, dass kein Beteiligter seine Ackerstücke vor Bartholomäus (24. August) umpflügen durfte, da dieses Vorgehen ebenfalls die gemeinschaftliche Stoppelweide beeinträchtigt hätte, weil durch das Pflügen ein Teil potentieller Weidefläche entfiel. Bei Zuwiderhandlung musste eine Entschädigung an die anderen Nutzungsberechtigten gezahlt werden. Das Verfassungsorgan der Eschgemeinschaft war die Bauersprache („Bursprake“), die Zusammenkunft der Eschberechtigten, in der über die Land- und Gewannenwege, die Stoppelweide und Pflugart, die Einfriedung sowie andere Belange die Eschflur betreffend beraten wurde. Den Vorsitz dieser Bauersprache führte oftmals der Holzgraf, der Vorsitzende des Holzgerichtes (Hölting).
Erläuterung der Zeichen
* = keine in der schriftlichen Überlieferung belegte, sondern nach den Regeln des Lautwandels aus nah verwandten Sprachen und Sprachstufen erschlossene Wortform.
ê = langer Vokal e † = gestorben