Was ist ein Schläif?

Die Entwicklungsgeschichte von Wörtern ist ein interessantes Stück Kulturgeschichte.

Schläife – verschiedene Arten. Emslandmuseum Lingen.

Wenn in früheren Zeiten Suppen oder Eintöpfe auf den Tisch kamen, griff die emsländische Hausfrau zum Servieren nicht zur Suppenkelle oder zum Schöpflöffel, nein, sie griff zum Schläif oder Schleif. Dies war die übliche Bezeichnung für die Suppenkelle oder den Schöpflöffel im gesamten niederdeutschen Sprachraum. Doch woher kommt dieser urige plattdeutsche Begriff eigentlich?

Die Spur führt nach Island

Zur Beantwortung dieser Frage ist es aufschlussreich, dass ein Wort sleif ebenfalls in der isländischen Sprache vorkommt. Eine (!) sleif ist auch auf der über 2000 km von Norddeutschland entfernten, nordatlantischen Insel ein ‚Küchenlöffel, Rührlöffel, Holzlöffel‘. Island wurde im 9. Jahrhundert n. Chr. von aus Skandinavien stammenden Wikingern besiedelt. Diese müssen somit auch den Ausdruck für den Löffel mitgebracht haben, denn sowohl im Dänischen als auch im Schwedischen und Norwegischen heißt der hölzerne Rührlöffel ähnlich: Dänisch slev, sløv, schwedisch slev, norwegisch sleiv. Es zeigt sich also, dass hier ein altes Wort vorliegt, dessen Ursprung mindestens in den germanischen Sprachen des 9. Jahrhunderts n. Chr. zu suchen ist.

Schöpfkellen auf einem Buchtitel Mitte des 16. Jahrhunderts. Emslandmuseum Lingen.

Wortherkunft

In Norddeutschland, wo das Wort Schläif ‚Kochlöffel, Suppenkelle‘ wie gesagt ebenfalls anzutreffen ist, sprachen die Menschen zu dieser Zeit (9. Jahrhundert) Altniederdeutsch. Für diese Sprache ist allerdings zufällig kein Wort überliefert, das zu niederdeutsch Schläif, mittelniederdeutsch schlêf, slêf, sleif (Schiller-Lübben IV, S. 235) passenden will. Doch gibt es in der wesentlich besser überlieferten altenglischen Sprache das starke Tätigkeitswort slîfan ‚spalten, spleißen‘. Das Altenglische ist sehr eng mit dem Altniederdeutschen verwandt, quasi dessen Schwestersprache. Das kommt daher, weil Menschen aus dem niederdeutschen Sprachraum, also dem heutigen Nordwestdeutschland, Britannien im 5. Jahrhundert n. Chr. besiedelt und natürlich auch ihrer Sprache mitgenommen haben. Altenglisch slîfan lebt im gegenwärtigen englischen Verb to slive ‚aufteilen‘ weiter und lässt sich sehr gut zu niederdeutsch Schläif stellen. Es muss also auch im Altniederdeutschen ein starkes Verb *slîfan gegeben haben. Niederdeutsch Schläif, mittelniederdeutsch schlêf, slêf, sleif steht im Ablaut zu *slîfan (1. Ablautreihe: *slîfan, *slêf, *gislifan, entspricht: spleißen, spliss, gesplissen). Das Wort Schläif ist also aus der Vergangenheitsform des Verbs slîfan gebildet worden. Der Schläif ist somit von seiner Wortherkunft her etwas ‚Gespaltenes, Gesplissenes‘ bzw. ein ‚Abspliss‘ oder ‚Spalt‘.

Kuchemaistrey, Nürnberg ca. 1490. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.

Ergebnis

Die sprachliche Analyse hat somit gezeigt, dass sich im Wort Schleif die ursprüngliche Herstellungsweise erhalten hat. Der Schleif wurde früher aus Holz gefertigt und zwar aus Spaltholz, das zunächst vom Stammstück abgeschlagen werden musste. Aus dem so gewonnenen Spalt wurde dann der Löffel geschnitzt, ebenfalls durch das Abspalten von Spänen und Splittern mit einem Messer.

Eine vergleichbare Bedeutungsentwicklung zeigt das englische Wort spoon ‚Löffel‘, das natürlich auf das gemeingermanische Wort für (Holz-)Span, also ursprünglich ebenfalls auf den Vorgang des Schnitzens des Löffels aus Holz zurückgeht. Ebenso lässt sich das isländische Wort skeið, das ebenfalls den ‚Löffel‘ bezeichnet, wohl auf germanisch *skiÞ ‚spalten‘ zurückführen.

Der Schleif war also anfänglich ein aus Holz geschnitzter Löffel und dieser ursprüngliche Herstellungsprozess hat sich in seiner Bezeichnung erhalten. Symbolisch wurde der Schäif zum Zeichen des Regiments über den Haushalt. Wenn die Schwiegermutter „den Sleif afgiewen“ musste, wurde die junge Braut in einem Hochzeitsritual um oder an das Herdfeuer geführt und dort feierlich der Kochlöffel überreicht als Zeichen, dass die alte Bäuerin die Herrschaft in der Küche nun abgibt. Kam es späterhin zu Konflikten sagte man wohl: „Se woll ’n Schleew noch nich uut de Hand gewwen“, sie wollte die Herrschaft über die Küche noch nicht abgeben. Oder: „Sai hiät ’n Slāiw in de Hant behollen“ – Sie hat das Regiment in der Küche behalten. Wegen seiner Größe und schmalen, langen Gestalt verglich man den Schöpflöffel auch mit großen, hoch aufgeschossenen, schlaksigen Jungen: „Släif van’n Jungen“. Da Jungs sich nicht immer gut benehmen, wurden damit schließlich auch einfältige, flegelhafte, ungezogene Jungen benannt: „Du aolle Schlaif!“