Emsländische Bräuche zu Neujahr und Dreikönigstag
Im westlichen Niedersachsen, also auch im Emsland, herrschte früher der Brauch, am 31. Dezember und am 5. Januar die Wepelraut und Tunschere auszubringen. Ursprünglich wurde die Wepelraut nur am 31. Dezember, dem Wepelrautabend, die Tunschere aber am 6. Januar, dem Tunscherenabend, ausgebracht.
Bei diesem Brauch handelte es sich um einen Glückwunsch zum neuen Jahr, den man Verwandten, Freunden und Nachbarn überbrachte. In der Dunkelheit stellte man sie vor das Haus oder vor ein Fenster und rief dabei laut „Tunschere“, in Lingen auch gerne die Worte „wäp, wäp“. Letzter Ausruf geht auf den Namen Wepelraut zurück. Nun galt es, so schnell wie möglich zu entkommen und dabei unerkannt zu bleiben. Dieser Brauch wurde besonders von Jugendlichen ausgeübt, die so versuchten, bei ihren Liebsten einen guten Eindruck zu hinterlassen. Sie zeigten damit, dass ihnen das Werben um diese Person ernst gemeint war. Gerne ließen sie sich dann einfangen, um von der Familie mit Tee, Glühwein und Neujahrskuchen bewirtet zu werden.
Die Wepelraut bestand aus einem Wachholder-, Hülsen- oder Fichtenzweig, vereinzelt auch aus einem Kohlstrunk. Sie wurde verziert mit Schleifen aus buntem Glanzpapier oder mit Glaskugeln, mit Neujahrskuchen und Äpfeln.
Tunscheren
Von Tunscheren gab es mehrere Arten. Eine wurde aus geweißten Weidenstäben gefertigt, von denen mit einem scharfen Messer Fasern abgezogen wurden, die sich krüllen. Sechs bis zehn dieser gekrüllten Weidenstäbe wurden in ein kleines Brettchen gesteckt und bildeten ein rundes Gestell aus Holzwolle, das verziert wurde wie eine Wepelraut. Auf die Mitte der Tunschere heftet man meistens eine Glückwunschkarte oder einen selbstverfassten Brief. Eine andere Art der Tunschere war die Bogentunschere. Der Fuß der Tunschere bestand aus einem mit buntem Papier überzogenen Holzbrett, einem hellen, verzierten Topf oder einer ausgehöhlten Steckrübe, in die ein Gesicht gemalt wurde, das durch eine Kerze erhellt wurde. Über den Fuß wurden parallel oder kreuzweise Bogen gezogen aus gekrüllten Weidenzweigen. Ein Weidenstab mit lang herabhängenden Locken ziert die Mitte der Tunschere. Das niederdeutsche Tätigkeitswort krüllen ‚kräuseln, in Locken oder Falten legen‘ ist übrigens verwandt mit englisch curl ‚Locke‘ (mit R-Sprung) und geht letztlich auf indogermanisch *gêur– ‚biegen, krümmen, wölben‘ zurück.
Begrifflichkeiten
Der Begriff Wepelraut ist entweder eine Zusammensetzung aus niederdeutsch rode, dialektal raut ‚ Schößling, Spross, abgeschnittener Zweig, Gerte, Rute, Stock‘ und dem Erstglied wepel, das zu weppen ‚wippen‘ gehört. Danach heißt auch die Hagebutte wêpdorn, wêpenbôm. Oder Wepelraut meint direkt die ‚Rute der Wildrose‘. Vielleicht wurde die Wepelraut am Anfang wirklich nur aus den Zweigen der wilden Rose angefertigt. Die ältere Volkskunde wollte in der Benennung einen Hinweis darauf erkennen, das die Wepelraut zur Vorhersage der Zukunft diente und sie als ‚Würfelrute‘ übersetzen. Dies ist allerdings ziemlich weit hergeholt und einer früheren Forschungsmeinung geschuldet, die die Entstehung vieler Sitten und Bräuche ohne zwingende Gründe bereits in germanische Zeit verlegen wollte.
Ähnlich ist es auch der Deutung der Tunschere ergangen. Der Begriff sei als Gabe der „tom- oder tamscheringen lüde“, der homines solivagos, die angeblich auch Tunschare genannt worden seien, zu verstehen. Menschen dieses besonderen mittelalterlichen Standes hätten dem Hof, dem sie zugehörten, am Silvesterabend einen Kranz ins Haus gebracht als Zeichen der Achtung und Unterwürfigkeit. Dieser Kranz soll nach ihrer Bezeichnung den Namen Tunschere erhalten haben. Diese Idee entspringt aber ebenfalls nur der lautlichen Ähnlichkeit beider Begriffe. Vielmehr ist der Ausdruck auf niederdeutsch tun ‚Zaun‘ als eine Einfriedigung aus Weiden oder sonstigem Gesträuch und scheren ‚schneiden, scheren, abschneiden‘ aufzufassen. Tunschere dürfte also etwa bedeuten: ‚aus einer Weidenhecke geschnitten‘ oder ‚gescherter Weidenstock‘. So gibt es denn auch das Tätigkeitswort tünen (wörtlich‘ zäunen‘), das für das Flechten von Körben oder Wannen gebraucht wird. Hier stand also der Herstellungsprozess Pate für die Bezeichnung.