Katze, Verächtlichkeit oder Pflanze?

Woher der Name Kattenbeck(e) kommt

Katzen bei der Jagd auf Vögel und Mäuse (2. Viertel 13. Jahrhundert). Bodleian Library MS. Bodl. 764 (University of Oxford).

In einer Urkunde aus dem Jahr 1506, die dem Archiv des Klosters Bentlage entstammt, werden zahlreiche Flur- und Hofnamen genannt, die zwischen Lingen und Lengerich auf der Wallage gelegen haben. Solche Örtlichkeitsbezeichnungen können einen spannenden Einblick in die Vergangenheit geben. Eine von ihnen ist Kattenbecke.

Dem Wortlaut der Urkunde nach könnte mit diesem Namen schon eine Hofstätte benannt sein. In der „Beschrivinge“, dem landesherrlichen Güterverzeichnis aus dem Jahr 1555 (mit Nachträgen bis 1592) kommt der Name allerdings nicht vor. Erst im Contributions-Blaffert von 1688 erscheint unter Lengerich ein „Katten Jean im Holtze“, der dem Landesherrn eigen war.

Dem Hofstättenname liegt aber ein älterer Flurname zuvor, der ein Gewässer benannte, wie das Grundwort -becke zeigt. Es gehört zu altniederdeutsch -beki, -biki, mittelniederdeutsch beke, bike ‚Bach‘. In den „Marienfelder Glossen“, einem um 1200 entstandenen Wörterverzeichnis aus dem Kloster Marienfeld bei Harsewinkel (Kreis Gütersloh), in dem erläuterungsbedürftige Begriffe erklärt werden, findet sich die Gleichung „bike riuus“ [lies: rivus]. Lateinisch rivus heißt ‚Bach, Strom, Wasserrinne, Kanal‘.

Katze und Kater in Flurnamen

Doch was steckt im ersten Bestandteil des ursprünglichen Bachnamens? Was meint Katten-? Zum einen kann hier natürlich das niederdeutsche Wort für die Katze, also Katte, enthalten sein. Kattenbecke wäre dann ein ‚Katzenbach‘. In Gewässernamen sind Tierbezeichnungen recht häufig anzutreffen. Zu nennen sind beispielsweise Hinsbeck bei Essen (10./11. Jahrhundert: „Hengistbeki“, zu mittelniederdeutsch hengist ‚Hengst‘), zahlreiche Hasenbäche, Hanebach bei Dassel, die Foßbeek (zu niederdeutsch Voss ‚Fuchs‘), zahlreiche Falken- und Habichtsbäche (Havixbeck) usw. Die Katze und ihr männliches Gegenstück, der Kater, kommen ebenfalls in Örtlichkeitsnamen häufig vor: Kattenvenne (1312: „Kattenvenne“; bei Lienen, Kreis Steinfurt), das Katzenbruch bei Altenessen (1416 „Kattenbrouck“ ‚Katzensumpf‘, zu mittelniederdeutsch brôk ‚Sumpf‘[142]), Kattenstroth bei Gütersloh (1198 „Catinstrot“ ‚Katzensumpf‘, zu mittelniederdeutsch strôd ‚Sumpf, Moor‘), im Münsterland „Kattenbom“ (Warendorf, Ende 14 Jh.) „Katteswege“ (Warendorf, Ende 14 Jh.), „Kattenpol“ (Reken, 1412), „Cattenhornon“ (Katenhorn bei Rheine, Ende 12. Jh.), „Kattenbracke (Harsewinkel, 1504, 1634) oder „de lutteke Kattenkamp“ (bei Senden?, 1499/1500). Der ‚Kater‘ (altniederdeutsch *kâtar, mittelniederdeutsch kâter) findet sich in „Katerenkamp“ (Wellbergen, 1286)[153], „Caterbeke“ (Katrop, Soest, 1202), „Katerenberge“ (Essen, ca. 1220)[155], „Catirinberge“ (Wuppertal-Katernberg, um 1150), „Caterenbergae“ (südliches Münsterland, Mitte 12. Jh.). Außerdem nennt das „Register der Willkommschatzung von 1498 bis 1499 im Fürstbistum Münster“ zahlreiche Örtlichkeitsnamen, die mit katte oder kater gebildet wurden: Schulte to/van Katerenberge (Seppenrade), Katerhille (Welbergen), Katerkamp (Welbergen), Kattenbrake (Harsewinkel), Kattenbusch (Lippborg), Kattenkamp (Ochtrup; s.o.), Kattenpoell (Roxel/Albachten). Später lassen sich noch Hofnamen finden, denen ältere Flurnamen zuvor liegen: 1669 Kattenbeck (Emsdetten-Westum), 1678 Kattenbaum (Füchtorf-Rippelbaum), 1659 Kattenbrede (Milte-Hörster).

Daneben gibt es auch in Niedersachsen zahlreiche Flurnamen, die mit dem Bestandteil Katt(en)- gebildet wurden (Auswahl): Neben einem Ziegen-Sieck und einem Rossieken erscheint auch ein Kattensieken. In einem Kattenflath (1829/30) sollen – nach Aussage der Anwohner – unerwünschte Kätzchen ersäuft worden sein. Hinzu gesellt sich ein weiterer Flurort Kattensieken (1692 Auff d. Kattensiken, 1768 Katten Sieck, 1845/47 Im Kattensiecken). Für Westflandern gibt es fünf Toponyme Kattebeek, vier Kattebroek, vier Kattegat, zwei Kattegracht, drei Kattenmersch, 21 Katteput, Kattepit (zu pit, put ‚Wasserbrunnen, [Wasser-]loch‘) und zwei Katteberg. Für den Kreis Rotenburg (Wümme) werden genannt: Kattensteert (1587 bey den Kattenstert; zu mittelniederdeutsch stêrt ‚Schwanz‘) und Kattrepel (zu mittelniederdeutsch rêpel ‚schmaler Streifen‘). Nach einer Karte von 1823 handele es sich um eine schmale Gasse. Dazu gehören ferner Kattenstraten und sowie die Begriffe mittelniederdeutsch kattegat ‚enge Wasserdurchfahrt‘ und mittelniederdeutsch kattenpat ‚Schleichpfad‘.

Metaphorische Verwendung für Minderwertigkeit und Kleinheit

Die Katze als teuflisches Tier. Jean Tinctor, Traité du crime de vauderie, enluminé par le maître de Marguerite d’York pour Louis de Bruges (vers 1470-1480). Paris, Bibliothèque nationale de France, Manuscrits, Français 961.

Nun kann man sicherlich zu Recht einwenden, dass Katzen, auch Wildkatzen, Luchse etc., nicht in Feuchtgebieten oder in/an Gewässern leben. Wildkatzen und Luchse bevorzugen trockene, lichte Waldgebiete, speziell Buchen und Eichenwälder mit altem Baumbestand als Lebensraum. Wenn also in den zahlreichen Örtlichkeitsnamen – vor allem bei denen, die auf Wasser, Bäche oder Sumpf verweisen – nicht das Tier ‚Katze‘ selbst gemeint ist, so könnte man eine metaphorische Verwendung des Wortes in Betracht ziehen. Wir verwenden heute noch die Bezeichnungen Hund und Katze im Sinne von ‚unbedeutend, klein, geringwertig, schlecht, falsch‘. Die Geringschätzung des Tieres Katze, die dann auch auf die Bezeichnung für dasselbe übertragen wurde und somit in metaphorischer Verwendung benutzt werden konnte, ist seiner Dämonisierung im Christentum geschuldet. Die Katzen wurden von der mittelalterlichen Kirche als „Vorboten alles Unchristlichen, des Satanischen, des Bösen schlechthin“ geächtet. So warf man etwa die Wörter Katze und Ketzer in einen „etymologischen“ Topf. Berthold von Regensburg stilisierte die Katzen zu „Söhnen des Teufels“, weil sie wie diese in der Finsternis sehen könnten. Der Ursprung der Vorstellung von der (schwarzen) Katze als tierisches Attribut der Hexen dürfte ebenfalls in dieser Verdammung durch die Kirche zu suchen sein. Diese kirchliche Brandmarkung der Katze als böses bzw. schlechtes und geringwertiges Tier fand dann auch Eingang in die vormoderne Gedankenwelt der Menschen, die sich heute noch anhand zahlreicher Sprichwörter und Wortbildungen ablesen lässt: Noch im Neuhochdeutschen finden sich die zusammengesetzten Begriffe Katzenglas, Katzengold, Katzensilber, Katzentisch und Katzenmusik, die alle die negative Konnotation des Minderwertigen, Schlechten aufweisen. Doch auch im Mittelniederdeutschen gab es bereits diese Verwendungsweise des Wortes katte ‚Katze‘: katvisch ‚Bezeichnung für minderwertige, kleine Fischarten‘, kattenwass ‚Daumenharz, Harz der Kirschbäume‘ (auch Katzengummi, Katzenglimmer, Katzenklar, Katzengold, Kattengold), katrepel (1387) ‚Katzenschwanz‘ [?]; Bezeichnung für abgelegene, schmale Straßen und Örtlichkeiten‘, katte holden ‚gefangen sitzen, sich in Geduld üben‘, wörtlich eigentlich ‚Katze tragen‘, Kattengeld ‚minderwertiges Zahlungsmittel‘ (1370), kattenpat ‚Katzenweg, Schleichweg‘, kattenridder ‚derjenige, der im Kampf mit Katzen zum Ritter wird; derjenige, der zur Schau mit Tieren kämpft, Gaukler‘, kattenstede, kattenstie ‚Katzenstelle, Bank bei dem Herd in Bauernhäusern‘ (diese Bank wurde den abgehenden, auf das Altenteil ziehenden Bauern zugewiesen. Daraus entwickelte hinsichtlich des Abgangs auf das Altenteil der Ausspruch, dass die Alten in die kattenstie gewiesen werden), kattenstert ‚Katzenschwanz‘ (Zitat: he hindert mi nicht einen kattenstert ‚er hindert mich nicht im Geringsten‘).

Katten– als Pflanzenbezeichnung

Wollgräser, die im Osnabrücker Land als Vennkatten bezeichnet wurden. Johann Georg Sturm, Deutschlands Flora in Abbildungen (1796).

Neben den Tieren selbst bzw. der metaphorischen Verwendung der Tierbezeichnung könnten die Örtlichkeitsnamen mit dem Element Katt(en)- bzw. Hund(e)- auch auf nach den Tieren benannte Pflanzen zurückgehen. Das Mittelniederdeutsche bietet eine Reihe solcher Pflanzenbezeichnungen: kattendruve ‚Katzentraube, Mauerpfeffer‘, kattenkervel ‚Erdrauch / fumiterra‘, kattenklawe ‚Möhre‘, kattenklôt ‚Spindelbaum, Pfaffenhütchen‘, kattenkrût ‚Katzenminze‘, kattenstert ‚Schachtelhalm‘ oder kattenrocken ‚Schachtelhalm‘.

Zum einen dürfte auch hier die Minderwertigkeit der Pflanze (kattendruve, kattenkervel etc.), zum anderen der Vergleich mit Körperteilen der Katze (kattenklawe, kattenklot, kattenstert) die ausschlaggebenden Faktoren für die Motivation der Pflanzennamen gewesen sein. Z. B. ist die ‚Katzentraube‘ eben keine „richtige“ Traube, sondern erinnert aufgrund ihrer Form oder anderer Eigenschaften an die als „echt“ angesehene Frucht. Dieser Minderwertigkeit wird durch das Bestimmungswort katze-/katte– Ausdruck verliehen. Der Schachtelhalm wird wegen seiner Form und seines Aussehens mit dem Schwanz einer Katze verglichen, wodurch sich seine Bezeichnung als kattenstert erklärt.

Außerdem wird das Wort katze zur Benennung von Pflanzen auch als Simplex verwendet: Mit Katze wird der ‚Breitwegerich‘ (Plantago maior), der ‚Schlangen- oder Wiesenknöterich‘ (Polygonum bistorta L.), das ‚Torf- oder Bleichmoos‘ (Sphagnum), als Griese Katze das ‚Gewöhnliche Katzenpfötchen‘ (Antennaria dioica) und als Schwarze Katze der ‚Große Wiesenkopf‘ (Sanguisorba officinalis) bezeichnet.[243] Dazu stellen sich ebenfalls die ‚Wollgräser‘ (Eriophorum), ‚Filzkräuter‘ (Filago) und ‚Ruhrkräuter‘ (Gnaphalium), der ‚Hasenklee‘ (Trifolium avense), die ‚Rohrkolben‘ (Typha) und die ‚Fetthennen‘ (Sedum), auch ‚Mauerpfeffer‘ genannt (s.o.). Als katte wurde im niederdeutschen Raum auch die ‚Weide‘ (Salix) bezeichnet (z.B. Püsskatte in Bassum bei Hannover).

Neben der Ähnlichkeit zwischen Pflanze und Tier in äußerlichen Merkmalen (Form, Farbe, Geruch, Fellbeschaffenheit) kann als Motiv für die Benennung eines Gewächses nach dem Tier auch ausschlaggebend gewesen sein, dass die Pflanze von bestimmten Tieren öfter oder gern gefressen wird, dass sie zum Vergiften bzw. Vertreiben von Schädlingen benutzt wurde oder dass sie in den Lebensräumen (Biotopen) bestimmter Tierarten verstärkt anzutreffen war. Zudem konnte auch das gleiche jahreszeitliche Auftreten von Tier und Pflanze benennend wirken oder Pflanzen erhielten ihren Namen, weil sie als Würzkräuter für die Zubereitung von verschiedenen Tieren Verwendung fanden. Für die Katze kommt vor allem der Vergleich mit dem weichen und dichten Fell bzw. mit den schmalen Gliedmaßen in Betracht.

Da unter den aufgezählten Pflanzen, die als Katze/Katte bezeichnet wurden, sich auch einige Sumpf- und Moorpflanzen befinden, ist die Vermutung naheliegend, dass die Kattenbecke ursprünglich nach der dort zahlreich anzutreffenden Pflanze benannt wurde. Vor allem die Weidenarten die Weidenarten ‚Asch-Weide‘ (Salix cinerea subsp. cinerea), ‚Bruch-Weide‘ (Salix fragilis) und ‚Kriech-Weide‘ (Salix repens agg.) sowie die Wollgräser (Eriophorum) bieten sich hier an.

Bestätigung erfährt diese Vermutung zudem dadurch, dass die ‚Wollgräser‘ (Eriophorum) im Osnabrücker Land in einigen Orten als Vennkatten bezeichnet werden.

Ergebnis

Der ursprüngliche Gewässername Kattenbecke geht zurück auf die Bestandteile altniederdeutsch *katta, mittelniederdeutsch katte ‚Katze‘ in der Mehrzahl und altniederdeutsch beki, biki, mittelniederdeutsch beke, bike ‚Bach‘. Es handelte sich also im wörtlichen Sinn um einen ‚Katzenbach‘. Für die Motivation eines solchen Flurnamens lassen sich mehrere Beweggründe finden:

1) Das Vorhandensein des Tieres an diesem Ort selbst (Katze, Wildkatze, Luchs etc.).

2) Die metaphorische Verwendung der Tierbezeichnung Katze / Katte zur Kennzeichnung des Flurortes als ‚unbedeutend, klein, geringwertig, schlecht, falsch‘. In diesem Fall wäre der Name als ‚der schlechte, geringwertige Bach‘ zu erklären.

3) Das Vorhandensein einer Pflanzenart, die im übertragenen Sinn nach dem Tier Katze benannt worden war. In diesem Fall handelte es sich also einen Bach, an dem eine Pflanze namens Katte in verstärktem Maße zu finden war.