Lingen vor 200 Jahren

Kreisstadt im Königreich Hannover

Gesetzessammlung für das Königreich Hannover aus der Bibliothek des Emslandmuseums

1820 hat sich das Königreich Hannover seit fünf Jahren im Emsland etabliert. Das aus Kurhannover hervorgegangene Königreich konnte auf dem Wiener Kongress 1815 als weitere Gebiete

Die „Amtsvogtei“ in Emsbüren wurde nach dem Gesetz von 1820 errichtet

das Emsland und die Grafschaft Bentheim, das Osnabrücker Land und Ostfriesland hinzugewinnen. Nun galt es, den neuen Staat mit entsprechenden Gesetzen und Verordnungen zu organisieren.

Die „Sammlung der Gesetze und Verordnungen des Königsreichs Hannover“ für das Jahr 1820 im Lingener Museum berichtet, was sich vor genau 200 Jahren für die emsländischen Neuhannoveraner alles änderte.

Das staatspolitisch sicherlich zentrale Ereignis jenes Jahres war der Tod des Königs Georg III. Er regierte seit 1760 Großbritannien und Irland sowie seit 1815 auch das Königreich Hannover. Denn für beide Länder galt seit dem 18. Jahrhundert die Personalunion des welfischen Königshauses. Ob der greise Monarch sich dessen überhaupt bewusst war, ist ungewiss, denn der lebte damals schon seit einigen Jahren im Zustand geistiger Umnachtung. Am 9. Februar 1820 informierte das Königreich per Gesetz das Ableben des alten und den Dienstantritt des neuen Königs, Georg IV., der das Land wie sein Vater von London aus regierte.

König Georg IV. von Großbritannien, Irland und Hannover

Wichtig für das ferne Königshaus war nicht zuletzt das Steueraufkommen der hannoverischen Untertanen. Hierfür wurden Anfang 1820 neue Steuerbehörden eingerichtet. Lingen erhielt den Sitz einer „Haupt-Rezeptur“, ein Finanzamt, von dem auch die damals noch sehr einträgliche Salzsteuer eingezogen wurde. Freren wurde ebenfalls Sitz einer Hauptrezeptur, welche auch die Zolleinnahmen an der Grenze zum Königreich Preußen auf den Zollstraßen von Freren nach Schale, Recke und Westerkappeln vereinnahmte.

Zollstempel: Hannoverisches Postamt Atter (bei Osnabrück), Preußisches Nebenzollamt Wersen (bei Lotte) und Hannoverisches Postamt Schapen (auf einem Dokument im Emslandmuseum)

Grenzrezepturen, also Zollämter, gab es auch in Varenrode für die Straße in das preußische Rheine, in Salzbergen für die Straße Bentheim-Rheine und für den Schiffsverkehr auf der Ems, sowie in Schapen für die alte Fernstraße nach Hopsten, Ibbenbüren und Bielefeld. Kleine Steuereinnahmestellen entstanden in Bawinkel, Schepsdorf, Emsbüren, Lengerich und Thuine.

Im März 1820 wurden die zum Tode des Königs angeordneten Trauergeläute Kraft Gesetzes beendet und öffentlich Lustbarkeiten wieder erlaubt. Ebenfalls im März wurden die Preise für Arzneimittel neu festgelegt – auch damals kannte man offenbar schon die Kostendämpfung im Gesundheitswesen.

Im Mai ordnete die Regierung an, dass am 18. Juni zur Erinnerung an den Sieg in der Schlacht bei Waterloo fünf Jahr zuvor im ganzen Königreich ein feierliches Te Deum unter Glockengeläut abzusingen sei. Es wurde erwartet, dass alle Untertanen daran teilnähmen.

Im Juli sah sich die Regierung veranlasst, den Schmuggel mit ausländischen Spirituosen mit harten Strafen zu belegen und ihre Verzollung neu zu regeln. Nicht alle Grenzbewohner dürften sich an diese Verordnung gehalten haben. Bald darauf wurde auch die Verzollung inländischen Branntweins umfassen geregelt. Die vielen Paragrafen dieses Gesetzes lassen erkennen, dass die Zollbehörden die Tricks der Branntweinbrenner nur allzu gut kannten.

Für den Oktober ordnete die Regierung ein weiteres Te Deum an, diesmal in Erinnerung an die „Völkerschlacht“ bei Leipzig 1813.

Ein eigenartiges Gesetz regelte 1820 die Beerdigung jüdischer Leichen. Damals war die Furcht vor der Beerdigung von Scheintoten weit verbreitet. Weil die Juden ihre Toten rasch bestatteten, ordnete man eine Mindestfrist von 48 Stunden an. Wie viele Scheintote durch dieses Gesetz gerettet wurden, ist unbekannt.

Im Dezember 1820 gab es eine wichtige Entscheidung für den sogenannten „Kreis Emsbüren“ mit den vormals münsterländischen Kirchspielen Salzbergen, Emsbüren und Schepsdorf. Dieser Bezirk wurde zu einer hannoverischen Amtsvogtei erhoben, die von einem Amtsvogt und mehreren Untervögten verwaltet wurde. Daneben hatte jede Bauerschaft ihren eigenen Vorsteher.

Zwei Gesetze, man mag es kaum glauben, behandelten 1820 die Abschiebung von unerwünschten Ausländern. Dabei ging es zum einen um den „Transport der Vagabonden“ in das benachbarte Königreich Preußen, zum anderen um die Abschiebung von ausländischen Straftätern nach Verbüßung der Haftstrafen in ihre Heimatländer. Dabei galt es, die Kosten für die Justiz, aber auch für den Transport möglichst gering zu halten.

Von 1816 bis 1866 erschienen insgesamt 50 Gesetzessammlungen des Königreichs Hannover. Die meisten davon sind im Emslandmuseum vorhanden. Sie bilden eine umfangreiche Quelle zum Leben im Königreich Hannover, zu dem auch Lingen und das Emsland 50 Jahre lang gehörten. 1866 wurde Hannover von Preußischen Truppen besetzt und durch Annexion wurde aus dem Königreich Hannover die preußische Provinz Hannover.