Pleiten, Pech und Pannen

Katastrophenfotos aus Lingen

Wenige Minuten nach dem Wirbelsturm am 1. Juni 1927 füllte sich der Marktplatz mit Helfern und Schaulustigen

Mit der Photographie entstand im 19. Jahrhunder ein neues Beweismittel, mit dem man auch Unglücksfälle wie Einstürze, Bauschäden und Unfälle

Beim Neubau einer zweiten Spur der Eisenbahnbrücke in Hanekenfähr kam es 1913 zu einem verhängnisvollen Unglückfall

ebenso preiswert wie umfassend dokumentieren konnte. In Lingen entstanden solche Aufnahmen beispielweise beim Einsturz des Mühlenbachdükers im August 1895 oder beim Einsturz der neuen Eisenbrücke in Hanekenfähr im Dezember 1913.

Im August 1895 stürzte der Düker unter dem damals neu erbauten Dortmund-Ems-Kanal ein

Weil die Tageszeitungen in der damaligen Zeit aus drucktechnischen Gründen noch keine Bilder abdrucken konnten, landeten diese Fotos meistens als Beweismittel in den Archiven oder wurden als Ansichtskarten gedruckt.

Die änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, als der Siegeszug der Illustrierten seinen Höhepunkt erreichte. Neben Porträts von Filmstars und gekrönten Häuptern, Bildreportagen aus aller Welt und Modefotografien hatte dabei auch die Katastrophenfotografie bald einen hohen Stellenwert.

Das konnten die Lingener am eigenen Beispiel erfahren, als am 1. Juni 1927 ein plötzlicher Wirbelsturm die Stadt heimsuchte. Aus heiterem Himmel zog eine gewaltige Windhose, von den Niederlanden über die Grafschaft Bentheim kommend, über Schepsdorf und das Lingener Stadtzentrum hinweg in Richtung Oldenburg.

Die Baumreihen an der Lindenstraße wurden verwüstet und innerhalb weniger Minuten zerstörte der Sturm zahlreiche Gebäude in der Innenstadt. Abertausende von Dachziegeln wirbelten durch die Luft und prasselten auf die Straßen und Gärten nieder. Zahlreiche Dächer wurden abgedeckt und ganze Dachstühle angehoben, etwa am Alten Rathaus und der Posthalterei am Markt. Durch herabstürzende Trümmerteile eines Nachbarhauses wurde das Eckhaus zur Gymnasialstraße schwer beschädigte. Einige kleine Wohnhäuser am Wall und auf dem Böhmerhof waren total zerstört und konnten nicht wieder aufgebaut werden.

Kaum hatten sich die Lingener aus ihren eilige aufgesuchten Unterschlüpfen wieder ins Freie gewagt, da erschienen schon bald die ersten Fotoreporter auf dem Marktplatz. Telegrafie und Funk sowie flotte Automobile hatten es möglich gemacht, dass die Journalisten fast schneller eintrafen als die Rettungskräfte. Schon am Tag darauf berichteten Zeitungen in ganz Deutschland in Text und Bild über die Wirbelsturmkatastrophe in Lingen. In den folgenden Wochen brachten dann mehrere Illustrierte umfangreiche Bildreportagen über das Naturunglück im Emsland. Berühmt wurde damals ein Foto vom Kreuz auf dem Böhmerhof. Wie durch ein Wunder war es inmitten schwerster Verwüstungen völlig unbeschädigt geblieben.

Die Lingen waren zunächst entsetzt, doch dann machten sie aus der Not eine Tugend. Die Stadt ließ die spektakulärsten Fotos vom Wirbelsturm als Ansichtskarten drucken und bot diese, mit einem kleinen Aufschlag zur Unterstützung der Opfer, zum Verkauf an. Mithilfe der vielen Bildreportagen gelangt es außerdem, trotz der schwierigen Zeitumstände staatliche Mittel für die am stärksten betroffenen Familien locker zu machen.

Einige der eindrucksvollsten Fotografien stammten übrigen von einem örtlichen Fotografen, Gustav Klimmer, der sich 1922 an der Lookenstraße in Lingen niedergelassen hatte. Das Fotostudio Klimmer wurde in den nächsten Jahrzehnten zum Profifotografen in Lingen schlechthin.

An den Wirbelsturm erinnert bis heute die Sturmstraße in Lingen, eine kleine Gasse in der Nähe des neuen Rathauses. Dort wurden 1927 mehrere Häuser total zerstört und man nutzte die Gelegenheit zur Schaffung einer Verbindung zwischen der Elisabethstraße und dem Wall.