Die Hülskrabbe im Brauchtum
Spazierengehen ist „dank“ Corona derzeit wieder in – und eine gute Gelegenheit, hier und da mal in djie Sträucher zu schauen. Dort wächst
an vielen Stellen die Hülskrabbe, hochdeutsch Ilex, Baum des Jahres 2021 und seit 1935 unter Naturschutz – wir haben an anderer stelle darüber berichtet. [Link]
Die Hülskrabbe ist aber nicht nur ein Naturdenkmal, sondern spielt auch im Brauchtum und besonders in der jahreszeitlichen Dekoraktion eine wichtige Rolle. Das liegt nicht nur an seinen roten Beeren. Die sind bekanntlich giftig – jedenfalls für Menschen, nicht für Vögel. Aber das ist ja keine Besonderheit, denn die Natur bietet dem Menschen eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich zu vergiften.
Kränze und Girlanden wurden traditionelle nicht aus Tannenzweigen gewunden, sondern aus Ilexblättern aufgefädelt. Blatt für Blatt, Meter für Meter – und immer schön vorsichtig. Denn das piekst, weil Ilexblätter spitze Dornen tragen. Jedenfalls im unteren Bereich, wo sich der Baum vor Verbiss durch Tiere schützen muss. Ganz schön clever, der Ilex.
Gefährlich sind die Stacheln nicht, nur lästig. Dafür nadeln Ilexblätter nicht und sie bleiben länger frisch und glänzend.
In der vorösterlichen Zeit wurden früher viele Hof- und Wegekreuze mit Ilexgirlanden geschmückt. Die Stacheln erinnerten an die Dornenkrone und das Leiden Jesu in der Passionszeit. Die immergrünen Blätter aber waren das Symbol für die Auferstehung und das Ewige Leben.
Zu kirchlichen Festen und Feiern wurden tagelang Ilexzweige geschnitten und ihre Blätter aufgefädelt. Zeit dafür hatte man offenbar genug.
Ein unerschöpfliches Reservoir für die seit 1935 unter Naturschutz stehende Pflanze bildeten neben den wenigen Eichen- und Buchenwäldern der Region die die früher so zahlreichen Wallhecken und vor allem die Hörste oder Harsten. Das waren in den Zeit vor der Flurbereinigung keine Bülten (= Hügel) im sumpfigen Bruchlände, die mit einzelnen hohen Bäumen und einem dichten Strauchwerk aus Ilex bewachsen waren.
Besonders beliebt bei auswärtigen Gärtnern waren die Harsten im abgelegenen Wettruper Bruch, wo der „Hülsedamm“ an die dort einst weit verbreiteten Hülskrabben erinnert. Auch nach der Unterschutzstellung 1935 musste man hier mit aufmerksamen Zuschauern nicht rechnen und so wurden hier Jahr für Jahr die grünen Zweige mit den roten Beeten Körbeweise geerntet. In den Gärtnereien in den Städten verarbeiteten geschickte Hände sie dann zu Adventsgestecken oder anderen Dekorationen.
Wir wissen heute viel über Naturschutz und Pflanzen, über Heilkräuter und ihre angebliche mystische Bedeutung. Zur kulturwissenschaftlichen Dimension der Dekoration aus Pflanzen wurde hingegen wenig geforscht. So schrieb Franz Kolbrand, Autor des Buches „Europa windet den Kranz“, in seinem Vorwort 1952: „Der Grün- und Blumenschmuck ist Stiefkind nicht nur der Kunst- und Kulturgeschichte, sondern auch der Kulturpflege. Er wird als Nebensache betrachtet und nicht so ernst genommen, obwohl doch aus dem Gestalten mit Grün und Blumen sich in der Abstraktion charakteristische Merkmale entwickelt haben“.
An diesem Forschungsdesiderat hat sich in den letzte 70 Jahren nichts geändert.
Eine besondere Dekoration aus Ilex gibt es derzeit an der kleinen Kapelle in Bückelte bei Haselünne zu bewundern. Eine lange Girlande aus Ilexblätter (bitte nicht weitersagen!) umrahmt das Portal. Damit das ganze bei Sturmwind nicht aus den Fugen gerät, sind entsprechende regionaltypische Gegengewichte angebracht. Der Inhalt war leider schon verdunstet.
Literaturhinweis:
Franz Kolbrand: Europa windet den Kranz. Blumenstellen und Blumenbinden als Teil europäischer Kulturprägung. 1952, zahlreiche Neuauflagen, zuletzt Freising 2003.