Ein Flussübergang im Wandel
Jahrhundertelang muss man die Ems bei Lingen mit einem schwankenden Fährboot überqueren, denn eine Brücke gab es hier erst seit 1824. Heute erinnert nur noch der Name Schepsdorf
an den einstigen Fährkahn. Konnte das Boot wegen Hochwasser oder Eisgang nicht verkehren, dann füllten sich rasch die Gasträume im Lingener Fährhaus sowie in den Wirtshäusern in Schepsdorf und in der Innenstadt. Oft mussten die Reisenden dann tagelang warten, bis sie ihre Route jenseits des Flusses fortsetzen konnten.
In den 1820er-Jahren entschloss sich die Regierung des Königreichs Hannover, im Zuge des Straßenausbaus von Lingen nach Nordhorn und von dort weiter in die Niederlande, die Fähre durch eine feste Brücke zu ersetzen. Der Ausdruck fest war dabei allerdings relativ, denn die neue Brücke war aus Holz gebaut und stand auf hölzernen Pfeilern im Flussbett.
Schräg in den Fluss gebaute hölzerne Eisabweiser sollten verhindern, dass im Winter treibende Eisschollen die Brückenpfeiler beschädigten. Bei jedem starken Hochwasser musste man damit rechnen, dass die eng gestellten Holzpfeiler weggedrückt würden.
Die Fahrbahn war mit Holzbohlen belegt, die sich unter der Last der Pferdefuhrwerke bogen. Zur Finanzierung des Bauwerks war ein Brückengeld zu entrichten. Die Höhe der Gebühr war gestaffelt nach Anzahl der Personen und Größe der Fahrzeuge.
Mit dem zunehmenden Autoverkehr wurden die Transportfahrzeuge immer schwerer und damit die Belastung für die Brücke immer größer. Daher war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Neubau mit einer Stahlkonstruktion erforderlich. Das kühne Bauwerk entstand als Gitterkonstruktion mit hohen Seitenaufbauten rund ruhte auf Fundamenten aus Sandstein.
1906 wurde das Wunderwerk der Technik eröffnet. Auch schwere LKW und Busse konnten die neue Brücke problemlos befahren. Reisende aus Richtung Niederlande begrüßte die Brücke mit einem Niedersachsenross, das als Wappenschild hoch oben an einem Querträger angebracht war. Daher nannte man sie im Volksmund auch Niedersachsenbrücke.
Diese Brücke wurde Anfang April 1945, als sich von Holland her die alliierten Truppen der Stadt näherten, von den deutschen Verteidigern in die Luft gesprengt, um den Vormarsch des Feindes an der Ems zu stoppen. Die Engländer hatten allerdings eine große Ziehharmonika-Brücke, eine sogenannte Bailey-Bridge, im Gepäck, so dass schon nach wenigen Tagen ihre Panzer und Fahrzeuge über die Lindenstraße nach Lingen einfahren konnten.
Nach dieser gewaltsamen Zerstörung mussten die Lingener zehn Jahre lang warten, bis eine neue Verbindung nach Schepsdorf fertiggestellt war. Im Dezember 1955 rollte als erstes Fahrzeug, ein Bus der Firma Meyering, über die neue Fahrbahn.
Vorausgesagt wurde dem neuen Brückenbauwerk aus Stahlbeton mit über 70 Meter Länge damals eine Haltbarkeit von etwa 100 Jahren. Doch niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt die sprunghafte Zunahme des Frachtverkehrs mit immer mehr größeren und schwereren Fahrzeugen in den kommenden Jahrzehnten. Bereits Anfang der 80er-Jahre musste die Brücke erstmals repariert und 1993 umfassend saniert werden. Dabei wurde sie auch optisch wesentlich verschönert. Bei einer Überprüfung zeigten sich dann 25 Jahre später erneut große Schäden, die derzeit einen kompletten Neubau der Brück notwendig machen. Die Bauarbeiten begannen 2020 und unterdessen läuft der Verkehr nach Schepsdorf über eine provisorische Baubrücke, während direkt nebenan das neue Bauwerk entsteht.