Amtshilfe im „Kleinen Amsterdam“ in Neuenhaus

Altes Bürgerhaus in Neuenhaus wird Gedenkort „Günter Frank Haus“

Das „kleine Amsterdam“ in Neuenhaus (Foto 2006)

Als wir vor 30 Jahren die Ladeneinrichtung des alten Geschäftshauses Satink in der Altstadt von Neuenhaus übernahmen, fiel unser Blick auch auf das Nachbarhaus Kirchstraße 8, in dem damals noch das Ehepaar Hinken wohnte und eine kleine Schusterwerkstatt betrieb.

Das „Kleine Amsterdam“ in den 50er-Jahren

Das verwinkelte Haus mit dem eigentümlich geformten Dach steht an einer markanten Stelle zwischen der reformierten Kirche und dem Stadtgraben, der hier gleichzeitig als Mühlenteich für die benachbarte frühere Mühle Vosshaar diente. Aus der Sicht vom Ölwall her war das ein romantisches Bild, aber…

Die Kirchestraße mit dem Eckhaus Hinken und der Mühle Vosshaar (um 1950)

Die Mühle Vosshaar war einst der größte Gewerbebetrieb in der Innenstadt von Neuenhaus. Die einzige Zufahrt führte über die enge Kirchstraße und mit dem Aufkommen der LKW wurde diese Zufahrt zu einem neuralgischen Punkt. Und in Fokus stand dabei vor allem das Haus Hinken direkt auf der Straßenecke. Heute ist davon nichts mehr zu sehen, denn nach dem Abbruch der Mühle entstand dort eine weitläufige Grünanlage.

Das romantische Bild mit dem aufgestauten Wasserlauf, dem malerischen Fachwerkhaus und der Kirche im Hintergrund ist auf einer alten Ansichtskarte mit „Kleines Amsterdam“ betitelt. Doch das ist nicht der Grund, warum dieses Haus unter Denkmalschutz steht.

Tatsächlich ist das frühere Haus Hinken eines der ältesten Fachwerkhäuser in Neuenhaus. Sein Ständerwerk stammt sicherlich noch aus dem 17. Jahrhundert, es war aber durch zahlreiche An- und Umbauten äußerlich wie innerlich nur noch an wenigen Stellen sichtbar.

Die Südseite mit dem alten Fachwerkgiebel (2006)

Nach langjährigem Leerstand und zunächst schleichendem, dann aber immer rascheren baulichen Verfall wurde das Haus schließlich zu einem Schandfleck für die Kirchstraße. Doch jetzt plant der „Förderverein Günter Frank Haus e.V.“ die Sanierung des Hauses zu einem Gedenk-, Dokumentations- und Lernort sowie einem Ort der Begegnung. Ein hoher Anspruch für ein so kleines Gebäude.

Altes Giebelfachwerk auf der Südseite (2006)

Im Herbst 2022 begannen die umfangreichen Sanierungsarbeiten, und im Vorfeld wurde das Haus im Inneren bereits teilweise entkernt. Dabei kamen das historische Ständerwerk und die alten Balkenlagen sowie weitere Bauspuren aus mehreren Jahrhunderten zum Vorschein. Grund genug für Christa Pfeifer, die Vorsitzende des Fördervereins, das alte Bauwerk durch das Emslandmuseum genauer begutachten zu lassen.

Nach der Entfernung der abgehängten Decken aus dem 19. Und 20. Jahrhundert war das alte Fachwerk wieder sichtbar. Es zeigt die typische Konstruktion der alten Grafschafter Fachwerkhäuser mit durchgezapften Ankerbalken und einem Kniestock oder Drempel im Dachraum. Fünf Ständerpaare mit Kopfbändern in Längs- und Querrichtung umfasst das Gebäude. Erkennbar ist noch, dass das Haus ursprünglich vorkragende Brettergiebel besaß, wie sie an manchen sehr alten Häusern in Neuenhaus heute noch zu sehen sind.

Vorhanden ist in großen Teilen noch der originale Deckenbelag aus breiten Eichenbrettern. Im früheren Küchenbereich an der Straßenecke zeigen die Bohlen eine starke Verräucherung, die zweifellos von einem offenen Herdfeuer herrührt. Neben der Küche befand sich an der Seite zum Stadtgraben eine Kammer, die später durch einen Anbau zu einer unterkellerten Upkammer erweitert wurde.

Decke im früheren Dielenbereich

Der übrige Raum des Hauses bestand ursprünglich wohl aus einem Dielenbereich, von dem vermutlich weitere Räume und vielleicht auch Stallungen abgetrennt waren.

Erhalten sind noch einige alte Innentüren. Sie stammen aus unterschiedlichen Zeiten und zeigen damit, dass die Räume des Hauses im Laufe der Zeit immer wieder umgebaut wurden.

Die ursprünglich sehr engen Wohnräume des Hauses wurden zwei Mal in Richtung Stadtgraben erweitert. Der erste Anbau erfolgte noch in Fachwerkbauweise.

Die zweite Erweiterung stand im Zusammenhang mit einem durchgreifenden Umbau des Hauses, bei dem die alten Fachwerkwände größtenteils durch Backsteinmauern mit hohen Fenstern ersetzt wurden.

Dabei wurde auch die Dachkontur des Hauses stark verändert, den an die Stelle der hölzernen Steilgiebel traten jetzt Giebelwalme, die mit Hohlziegeln eingedeckt wurden. Durch die verschiedenen Anbauten erhielt das Haus einen sehr verwinkelten Grundriss und eine uneinheitliche Dachkontur. So entstand der malerische Gesamteindruck.

Gewagte Statik – abgesägtes Ständerwerk!

Die zahlreichen Umbauten waren mit vielen Eingriffen in die Statik des Ständerwerkes verbunden. Immer wieder wurden Ständer abgesägt oder ganz entfernt, Balken angesägt und Stützwände beseitigt. Statische Schäden konnten a auf die Dauer nicht ausbleiben, denn auch die jüngeren Stützwände aus Backstein waren nur schwach fundamentiert.

Die erneuerte Straßenfront zur Kirchstraße mit der zurückgesetzten Hausecke

Im 20. Jahrhundert wurden die straßenseitigen Außenwände abermals in Backsteinmauerwerk erneuert. Dabei kamen nun Industrieziegel zur Verwendung.

Die steile Treppe ins Obergeschoss

Ein teil des Dachgeschosses wurde zu Wohnräumen ausgebaut.Bei dieser Gelegenheit erneuerte man gleichzeitig mehrere Sparrenpaare an der Nordseite des Hauses. Die Straßenseite und die Straßenecke wurden raffiniert zurückgesetzt, um den großen Lastwagen die Zufahrt zur Mühle Vosshaar zu erleichtern.

Die Nordseite mit dem größtenteils erneuerten Giebel

Die Umnutzung als Gedenkort bietet jetzt nicht nur eine Lösung, das Gebäude zu sichern und langfristig zu erhalten, sondern auch die Möglichkeit, die wechselvolle Baugeschichte umfassend zu dokumentieren.

Mit Dank an Christa Pfeifer und Matthias Bolmer.

Historisches Foto: Heimatfreunde Neuenhaus

Alle anderen Fotos: Dr. Andreas Eiynck, Lingen (Ems)

Eine umfangreiche Fotodokumentation des Bauwerks befindet sich im Medienarchiv des Emslandmuseums Lingen.