Als das Gas noch aus der Kaiserstraße kam

Einmal im Monat kassierte der Gasmann bei der Ablesung direkt ab

Werbeanzeige der Stadtwerke Lingen von 1927

1860 erhielten die Unternehmer Langschmidt und Jüngst von der Stadt Lingen die Konzession für den Bau und Betrieb eines Gaswerks. Damit begann für die städtische Infrastruktur ein neuer Abschnitt, den wir in der heutigen Bilderserie vorstellen.

Die Stadtwerke an der Kaiserstraße, um 1960

Die Eröffnung der Eisenbahnstrecke von Hannover über Rheine nach Emden machte es möglich, Steinkohle aus den Zechen in Ibbenbüren preiswert nach Lingen zu befördern. Daraus konnte man durch Destillation vor Ort Koks und Gas erzeugen, das dann durch ein Rohrleitungssystem in die Haushalte und Gewerbebetriebe geleitet wurde. Damit verbunden war auch die Einrichtung einer Straßenbeleuchtung mit Gaslaternen.

Die Gasfabrik von Langschmidt, um 1880

Das Lingener Gaswerk entstand an der Kaiserstraße direkt neben dem heutigen Wasserturm. Dort konnte die Steinkohle von den Eisenbahnwaggons aus quer über die damals noch wenige befahrene Straße auf das Werksgelände verladen werden.

Aus Kohle wurden Stadtgas und Koks erzeugt (um 1940)

In speziellen Ofenkammern wurde die Kohle destilliert und dabei entgast. Das so gewonnene Gas nannte man Stadtgas oder Leuchtgas – im Gegensatz zu dem heute üblichen Erdgas, das wesentlich energiereicher ist.

Gasbeleuchtung in einem Privathaushalt, um 1890

Die Haushalte nutzen dieses Gas hauptsächlich zur Beleuchtung (ein Elektrizitätsnetz gab es damals in Lingen noch nicht) und zum Kochen. Gasheizungen waren seinerzeit noch unbekannt und Gasöfen selten. Ein beliebtes Brennmaterial war dagegen der Koks aus dem Gaswerk, denn Koks brennt sauberer und heißer als Kohle.

Der Gasometer von 1906

Nach mehrfacher Verlängerung des Konzessionsvertrages erwarb die Stadt Lingen 1906 das Gaswerk. Aus dem neuen Kommunalbetrieb, den heutigen Stadtwerken Lingen, erwarteten die Ratsherren Überschüsse für die klamme Stadtkasse. Die Stadt investierte zunächst aber einmal tüchtig in ihren neuen Betrieb. 1906 entstand als Sammelbehälter für das Gas ein neuer Gasometer.

Bau des Wasserwerkes 1909

Neben dem Gaswerk wurden bis 1909 eine Wasseraufbereitung und der Wasserturm errichtet. Beim Bau des Wasserleitungsnetzes erweiterte man dann gleichzeitig das Gasnetz. Einmal monatlich erschien in jedem Haushalt der Gasableser und kassierte den Rechnungsbetrag gleich in bar ab. Erst 1969 wurde auf Jahresabrechnung mit Abschlagszahlungen umgestellt.

Eine Gaslaterne an der Alten Posthalterei

Beim Gaswerk beschäftigt war auch der „Laternen-Anzünder“. Er musste mit Hilfe einer langen Stange die öffentlichen Gaslaternen in der Stadt anzünden, auslöschen und reinigen.

Die Betriebsanlagen von Gast- und Wasserwerk, 1954

Die technische Einrichtung des Gaswerks wurde mehrfach erneuert und erweitert. 1963 stellten die Stadtwerke die Gasproduktion von der Steinkohlendestillation auf eine Benzin-Spaltanlage um. Der erhoffte wirtschaftliche Nutzen stellte sich aber nicht ein und es traten auch technische Schwierigkeiten auf. Außerdem entfiel der Erlös aus dem Koksverkauf.

Die Stadtwerke an der Kaiserstraße, um 1970

Daher stellten die Stadtwerke die Gasversorgung 1966 auf Erdgas um. Das war damals sehr preiswert und so entschieden sich immer mehr Haushalte für eine Gasheizung. Das Gasleitungsnetz wurde ständig erweitert. Das Erdgas stammte damals zu einem beträchtlichen Anteil aus den Gasfeldern im Emsland und der Grafschaft.

Die Gaserzeugungsanlagen an der Kaiserstraße wurden nicht mehr benötigt und abgebrochen. Zunächst blieb der alte Betriebsstandort aber noch Sitz der Stadtwerke Lingen. Heute befinden sich an der Stelle des früheren Gaswerks die Parkplätze und die Studentenwohnheime des Campus Lingen.