Kinder drückten sich am Schaufenster die Nase platt
Die Große Straße bildete im Mittelalter die Verbindung zwischen dem Marktplatz und dem Mühlentor. Sie war, der Name besagt es, die Hauptstraße der damaligen Stadt. An die einstigen Häuser, Betriebe und Familien in dieser Straße erinnert die heutige Bilderstrecke.
Das markanteste Gebäude an dieser Straße ist sicherlich die alte Posthalterei am Markt, denn dieses Haus trägt offiziell die Adresse Große Straße 1. Die Erben des hannoverischen Postmeisters Ulrich verkauften das Postgebäude 1856 an einen Verwandten, den Buchhändler und Unternehmer Wilhelm Jüngst.
1865 erwarb die Familie Kobert das Haus und gründete hier ein Handarbeitsgeschäft, das bis in die 1970er-Jahre bestand.
Das anschließende breitgelagerte Geschäftshaus bestand ursprünglich aus zwei getrennten Giebelhäusern. In Nr. 3 hatte in der Zeit um 1900 das Geschäft von Eduard Cohen seinen Sitz und in Nr. 5 betrieb die Familie Schmedding eine Kupferschmiede.
Nach dem Ersten Weltkrieg legte der Kaufmann Roth beide Gebäude zusammen und verband sie zu einem großflächigen Ladenlokal für sein Textilgeschäft.
In den 50er-Jahren wurde auch die Fassade vereinheitlicht. Das Modegeschäft Roth war damals ein fester Begriff in der Lingener Geschäftswelt.
Später hatten hier das „Haus der Dame“ Theesen und anschließend das Schuhhaus Hilbers ihren Sitz. Im Haus Nr. 7 befand sich ebenfalls ein Textilgeschäft, das die Familie Siegmund Hanauer betrieb.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand direkt neben dem Rathaus die Bäckerei Rakers, daneben die Schlachterei Körner. Deren hoch aufragendes Giebelhaus stammt aus dem Baujahr 1560 und gehört damit zu den ältesten Häusern der Stadt. Der Schlachtermeister Johann Körner betrieb hier seit 1905 eine Rinder-, Hammel- und Schweinemetzgerei.
Daran schlossen sich die Möbeltischlerei Harmeling, die Schlosserei Theo Gelshorn und die Schlachterei Hutmacher an. Ihr Verkaufslokal war viele Jahre an die Elektrofirma Schwämmlein vermietet.
Auf der rechten Straßenseite teilte sich in Haus Nr. 9 der Uhrmacher Erdbrink das Ladenlokal mit dem Textilgeschäft Hieronymus Hanauer und Söhne. In Nr. 11 schloss sich das Kaufhaus von Markreich an. Später hatten hier das Hotel Jansen sowie das Café Bauer ihren Sitz und nach dem Neubau 1991 befand sich hier das Modegeschäft Korte von Inge Brand.
Im Haus Nr. 13 befand sich der Friseursalon Droop, verbunden mit einer Parfümerie und einer Spielwarenhandlung, an deren Schaufenster sich in der Adventszeit die Lingener Kinder die Nasen plattdrückten.
In den Nachbarhäusern schlossen sich in Nr. 15 die Bäckerei Pries und in Nr. 17 das Waffengeschäft des Büchsenmachers Schimmöller an. Heute befindet sich dort die Lingener Moschee.
In Nr. 19 wohnte der Kupferschmied und Installateur Mack. Fast schon am Ende der Straße folgte dann noch die Gaststätte Gudehus, einst ein beliebter Treffpunkt der Poahlbörger und Kivelinge.
Gegenüber im Haus Nr. 16, später Modehaus Huesmann, befand sich die bekannte Gaststätte Schmedding, vormals Hartmann.
Im heutigen Schuhhaus Albers wohnte im 19. Jahrhundert die Lehrerfamilie Hülster. Der Sohn Karl wanderte aus nach Indonesien, damals noch Niederländisch-Indien, und wurde dort Kolonialbeamter.
Er heiratete eine Einheimische und kehrte nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Tochter Dora nach Europa zurück. Dora Hülster, geboren auf der Insel Lombok im Indischen Ozean, wurde 1999 als letzte ihrer Familie in der Gruft der Familie Hülster auf dem Alten Friedhof in Lingen beigesetzt.
Auf der Ecke zur Kivelingstraße bilden zwei markante Gebäude den Abschluss der Großen Straße. Auf der linken Straßenecke zeigt das Haus Nr. 22 noch das frühere Dielentor. Hier befand sich im 19. Jahrhundert die Sattlerei Schröder. Später hatten dort das Strickwarengeschäft Feiling und das Modehaus Huesmann ihren Sitz.
Im rechten Eckhaus befand sich einst die Fisch- und Gemüsehandlung Richtering. Der Fachwerkgiebel zur Kivelingstraße wurde 1945 durch einen Panzer schwer beschädigt und 1948 wieder aufgebaut. Der Balken des neuen Fachwerkgiebels zeigt die Inschrift: „Neue Häuser, neuer Raum, mögen sich gestalten. Der Erinnerung schönster Traum hängt doch an dem Alten“.