Markensteine

Tagung zu historischen Markengrenzsteinen in den Niederlanden

Markengrenzstein zwischen Gees und Zwinderen

Grenzen sind heute in Europa in der Regel exakt festgelegt, verzeichnet und geregelt. Das gilt für Staats- und Verwaltungsgrenzen ebenso wie für öffentliche und private Grundstücksgrenzen. Streitigkeiten um einen Grenzverlauf sind daher vergleichsweise selten und können in der Regel durch einen Abgleich mit den Grenzverträgen oder den Grundstückskatastern eindeutig entschieden werden.

Sonnenaufgang über der Markengemeinde Gees

Das war nicht immer so. Grenzstreitigkeiten gehörten einst ebenso zum Alltag wie Grenzmarkierungen an Hausgrundstücken, Ackerparzellen, Herrschaftsterritorien, Gemeindeflächen und Markengebieten. Letzteren widmete sich Ende Oktober eine Tagung der „Stichting Drents Agrarisch Erfgoed“ im Dorf Gees in der Provinz Drenthe. Mitveranstalter war der Verband „Vereniging Drentse Boermarken“ (VDB), der 88 bis heute existierende Markengenossenschaften in Drenthe vertritt. Gemeinsam halten sie einen großen Grundstücksbesitz in der offenen Landschaft. Diese früher weit verbreitete genossenschaftliche Nutzung und Verwaltung von Kulturlandschaft ist heute nur noch in Drenthe in dieser Form und in diesem Umfang anzutreffen. Darum wurden die Drentse Boermarken 2016 in das nationale Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Niederlande aufgenommen.

Rund hundert Teilnehmer (und auch einige wenige Teilnehmerinnen) zählte die Tagung in Gees, in deren Mittelpunkt die alten Markengrenzsteine standen.

Den Auftakt machte Gerhard Post, Dozent an der Universität Twente in Enschede, mit einem Vortrag über Markensteine in der Twente, dem östlichen Teil der Provinz Overijssel. Während die Markengrenzen in Drenthe fast ausschließlich mit großen Findlingen, den sogenannten „Flinten“, markiert sind, findet man in der Twente, wie auch im angrenzenden Westfalen und Niedersachsen, häufig künstliche Grenzpfähle aus behauenem Sandstein, die oft auch Inschriften, Zeichen oder Wappen aufweisen. Die Grenzsteine in der Twente werden von verschiedenen privaten Projektgruppen verzeichnet und betreut, in besonderen Fällen auch ausgeschildert. Es gibt auch diverse Fahrradrouten entlang der alten Grenzsteine, um diese stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.

Kleine Ausstellung über die „Drentse Boermarken“

Gerko Brink, Vorsitzender der Boerenmarke Zeyen und Inhaber eines Milchviehbetriebes in diesem Ort, berichtete über die Neusetzung von Markensteinen in seiner Markengemeinde, die aus 1000 Hektar Kulturland und 200 Hektar Wald besteht. Derzeit gibt es dort noch 11 aktive Bauernhöfe. Jeder Betrieb stiftete einen großen Findling, der mit dem Hofnamen markiert und an einem der Zugangswege genau auf der Markengrenze aufgestellt wurde. Dadurch ist die Markengemeinde heute nicht nur wieder deutlich sichtbar, sondern auch im Bewusstsein der Bevölkerung wieder stärker verankert. Das stärkt nicht zuletzt das Gemeinschaftsgefühl im Dorf.

In Gees gab es einen langjährigen Streit mit dem Nachbardorf Zwinderen. Gees ist ein uraltes drenther Bauerndorf, Zwinderen hingegen eine jüngere Siedlung, die von Coevorden aus auf unbesiedeltem Gebiet angelegt wurde. Aber das von dort aus genutzte Markenland lag nach Meinung der Einwohner von Gees hauptsächlich auf ihren angestammten Markenflächen. Ein schier endloser Gerichtsprozess sprach am Ende den Einwohnern von Zwinderen einen Anteil qua Gewohnheitsrecht zu. Um weitere Streitigkeiten bei der gemeinsamen Nutzung zu vermeiden kam man überein, das Markengebiet in zwei getrennte Marken aufzuteilen. Beim Prozess und bei der Gebietsverteilung gab es zahlreiche Kuriosa. So besaßen mehrere Bauern Anteile sowohl an der Mark von Gees als auch an der Mark von Zwinderen. Sie prozessierten vor Gericht also gegen sich selber. Bei der späteren Aufteilung legte man einen Bach als Grenze fest. Aber dann bemerkte man, dass ein Teil des Zwinderen zugesprochenen Anteils von dort aus wegen eines Sumpfgebietes gar nicht zugänglich war, sondern nur von Gees aus. Die Flächen wurden daher entsprechend umverteilt. Das ist im Verlauf der Markengrenzen bis heute sichtbar geblieben.

Kleine Ausstellung über die Grenzsteine der „Drentse Boermarken“

Dr. Andreas Eiynck vom Emslandmuseum berichtete über das Grenzsteinprojekt im Südlichen Emsland, eine Erfassung aller historischen Grenzsteine, und den Rechtsbrauch der Grenzbegehungen in Form von sogenannten Schnatgängen. In Westfalen und Niedersachsen sind diese Flurumgänge in einzelnen Orten bis heute lebendig, etwa beim Schnatgang der Heger-Laischaft in Osnabrück mit dem bekannten Ausspruch „olle use“, oder beim Schnadezug in Brilon im Sauerland. Bei einem solchen Schnatgang wurden einst die Grenzpunkte und Grenzmarkierungen vor Ort aufgesucht und kontrolliert. Damit waren verschiedene Bräuche verbunden, mit denen man den neuen Teilnehmern die Grenzpunkte nachhaltig einprägen wollte: etwa durch das Stoßen des Kopfes auf den Grenzstein, eine schallende Ohrfeige an einem wichtigen Grenzpunkt als Gedächtnisstütze, das Tragen einer Person um den Grenzstein herum und nicht zuletzt das unsanfte Aufsetzen auf den harten Grenzstein, in Brilon „Stutzäsen“ genannt. Mit dem Schnatgang war in der Regel, wandern macht durstig, auch ein Trinkgelage verbunden. Unstimmigkeiten mit den Nachbarn wurden nicht selten gleich vor Ort und handfest ausgetragen. Der Obrigkeit waren solche Ausschreitungen ein Dorn im Auge und deshalb wurden Schnatgänge in Preußen nach der Einführung der Grundstückskataster im 19. Jahrhundert zunächst für überflüssig erklärt und später sogar verboten.

Viele Heimatvereine haben in den letzten Jahrzehnten die historischen Schnatgänge wieder aufleben lassen. Die Grenzbegehungen bieten heute den Anlass zu einer lokalgeschichtlichen Themenwanderung und nicht zuletzt auch zu Treffen mit den Nachbargemeinden. In Drenthe waren solche Schnatgänge offenbar nicht üblich. Die dicken Findlinge auf den Markengrenzen konnten ohnehin kaum verschoben werden. Aber dort plant man jetzt nach deutschem Vorbild an vergleichbaren Veranstaltungen.

Als letzter Referent zeigte Dr. Michiel Gerding, früherer Provinzial-Historiker der Provinz Drenthe, verschiedene Möglichkeiten zur weiteren Dokumentation, Erforschung und Betreuung der Markensteine in der Drenthe. Hierzu ist ein größeres Projekt mit dem Titel „Markestenen terug op de plek“ (Markensteine zurück an ihren Ort) geplant.

Enthüllung eines neu aufgestellten Markengrenzsteins

Den Abschluss der Tagung bildete die Enthüllung eines neue aufgestellten Markengrenzsteins auf der Grenze zwischen Gees und Zwinderen durch die Kommissarin des Königs für die Provinz Drenthe, Frau Jette Klijnsma, und den Bürgermeister von Coevorden, Renze Bergsma.

Kommissarin des Königs Jette Klijnsma und Bürgermeister Renze Bergsma

Die Teilnahme der hohen Gäste machte abschließend noch einmal deutlich, welch hohen gesellschaftlichen Stellenwert die Markengemeinden in den Dörfern der Drenthe bis heute besitzen.

Die Beschriftung an dem neu aufgestellten Markenstein

Literaturhinweis:

Michiel Gerding u. Ellen de Vries: Markegrenzen in Drenthe. Rapport Stichting Drents Plateau, Assen 2003.

Egbert Meijers: Flint, zwerver uit de oertijd. Assen 2014.