Glockengeschichten

Brauchtum und Glauben, Raub und Beschlagnahme

Zu den ältesten Kunstschätzen im Emsland gehören die Kirchenglocken. In den Glockenstuben oben in den Türmen hoch über den Dächern der Dörfer und Städte sind sie von außen nicht zu sehen, aber doch unüberhörbar. Heute wollen wir einen Blick auf diese meistens verborgenen Schätze werfen.

Aus Bronze gegossene Kirchenglocken sind eine Erfindung des Mittelalters. Sie waren damals quasi ein neues Medium, denn mit ihnen konnte man zum Gottesdienst läuten, der Glockenschlag zeigte die Uhrzeit an und Alarmsignale konnte man damit auch noch geben.

Wietmarschen (1910)
Wietmarschen (1920)
Wietmarschen, hölzerner Glockenturm (um 1925)

Bei Sturm und Gewitter wurde mit den geweihten Glocken gegen die Naturgewalten angeläutet, ja sogar gegen Hunger und Pest. So vermeldet es eine lateinische Inschrift auf der Salvator-Glocke von 1529 in Wietmarschen: „Blitz, Donner und Hagel weichen mir, Hunger, Seuchen, Krieg und Gewalt fliehen vor mir.“

Die Glockengießer des Mittelalters waren häufig unterwegs, denn große Kirchenglocken wurden damals in der Regel vor Ort in einer eigens hergerichteten Glockenkuhle gegossen. Über einen solchen Glockenguss berichtet eine alte Sage aus Bramsche. Dort wurde 1441 der Guss einer neuen Glocke vorbereitet. Als die Bronze im Schmelztiegel schon glühte, war ein Burgfräulein von Gut Spiek noch rasch eine Schürze von Silberzeug in die Glockenspeise, um der Glocke einen feineren Klang zu verleihen. Der Meister legte sich noch einen Moment zur Ruhe, bevor er den Guss vollenden wollte. Doch sein Geselle konnte nicht abwarten und führte den Glockenguss alleine aus. Als der Meister erwachte, geriet er darüber in rasende Wut und erschlug im Zorn den Gesellen. An die damalige Mordstelle erinnert bis heute ein Steinkreuz an der Mundersumer Straße.

Die Glocken in Freren vor dem Abtransport im Zweiten Weltkrieg
Ankunft der neuen Glocken für die evangelische Kirche in Freren 1948
Ankunft der neuen Glocken für die evangelische Kirche in Freren (1948)

Eine andere Glockengeschichte ist aus dem Nachbardorf Lünne überliefert. Dort plünderten einst englische Soldaten in niederländischen Diensten und nahmen dabei auch zwei Glocken aus dem Kirchturm mit, um daraus Geschütze gießen zu lassen. Doch schon in Bramsche waren sie müde von dem Transport der schweren Fracht und legten eine Pause ein. Die kleinere Glocke stellten sie umgekehrt auf den Boden und forderten die Bevölkerung auf, so viele Eier herbeizuschaffen, bis die Glocke gefüllt sei. Aus Bramsche, Hüvede, Sommeringen und den übrigen Bauerschaften wurde die Eier körbeweise gebracht. Als die Glocke damit bis an den Rand gefüllt war, nahmen die Soldaten die Eier und zogen weiter. Die Glocke ließen sie zurück. Die Bramscher hängten sie in ihren Kirchturm und erzählten den Lünnern hievor nichts. So waren sie für eine Fuhre Eier an eine wertvolle Glocke gekommen. Tatsächlich berichten die Chroniken, das englische Söldner 1580 insgesamt 18 Glocken aus Kirchen in der Umgebung von Lingen raubten. Sie wurden aber gestellt und mussten die Beute wieder herausgeben.

Umzug der Glocken von der alten in die neue Kirche in Schapen (1930)

Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, ist ein sehr haltbares, aber eben auch sehr begrenztes und daher teures Material. Und außer Glocken konnte man daraus eben auch Geschütze gießen – und Granaten.

Abtransport der Glocken aus Freren im Ersten Weltkrieg (1917)
Abtransport der Glocken aus Lengerich im Ersten Weltkrieg (1917)
Abtransport der Glocken aus Emsbüren im Ersten Weltkrieg (1917)

Daher wurden im Ersten Weltkrieg unzählige Bronzeglocken für die Rüstungsindustrie beschlagnahmt und eingeschmolzen. Etwa ein Drittel des historischen Glockenbestandes ging dabei verloren. Nur besonders wertvolle Stücke waren vor der Beschlagnahme zurückgestellt.

Abtransport von Glocken aus dem Kreis Lingen im Zweiten Weltkrieg
Abtransport von Glocken aus dem Kreis Lingen im Zweiten Weltkrieg

Dieses Verfahren wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg und abermals landeten viele Kirchenglocken in den Schmelzöfen. Nur wenige Gemeinden fanden nach Kriegsende auf dem zentralen Sammelplatz, dem sogennanten „Glockenfriedhof“ in Hamburg, ihre Glocken wieder und erhielten sie zurück.

Ausbau der Glocken in Emsbüren im Zweiten Weltkrieg

Abgabe der Glocken aus Emsbüren im Zweiten Weltkrieg
Segnung der neuen Glocken in Emsbüren 1949
Die neuen Glocken werden in den Turm gezogen (Emsbüren 1949)
Alle ziehen mit (Emsbüren 1949)

Die neuen Glocken werden in den Turm gebracht (Emsbüren 1949)

Die älteste erhaltene Glocke im südlichen Emsland stammt aus dem Jahr 1441 und hängt in der Kirche in Bramsche, die älteste Glocke in der Reformierten Kirche in Lingen datiert in das Jahr 1457. Auch in Elbergen und Schepsdorf hängen noch Glocken aus der Zeit vor 1500.

Glocke für die katholische Kirche in Freren von 1748

Interessant war die Inschrift einer Glocke in Beesten, die leider beim Brand der Kirche 1897 zerstört wurde: „Als man schrieb 1555 ließ mich das Kirchspiel Beesten gießen. Das war als Gott zum Lobe und Ehren wir den Kaiser hatten zum Herren“. Denn 1555 hatten die Habsburger den Grafen von Tecklenburg in Lingen abgesetzt und der Kaiser übernahm selber die Regierung in der kleinen Grafschaft im Emsland.