Hans Lühn entwarf die Villa an der Wilhelmstraße
1923 entwarf der bekannte Lingener Architekt Hans Lühn (1886-1932), ein Sohn des Bauunternehmers Lühn, für die Stadtverwaltung eine Bürgermeister-Dienstvilla an der Wilhelmstraße, die mit ihrer schlichten, aber wirkungsvollen Gestaltung bis heute beeindruckt. Sie wird nach einer umfangreichen Sanierung heute als Kulturvilla neu eröffnet.
Der Lingener Architekt Hans Lühn (1886-1932) zählt sicherlich zu den herausragenden Baumeistern der Ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Emsland. Seine hohe gestalterische Qualität zeigt auch sein Entwurf für die Villa an der Wilhelmstraße. Der einfache, quergelagerte Baukörper unter einem steilen Walmdach wird nur durch wenige Fensterachsen akzentuiert. Monumental wirkt die zurückspringende Mittelpartie mit einem wappen-bekrönten Portal, das durch zwei eingestellte Säulen eingerahmt ist. Diese Anlageform folgt dem Vorbild der Villa Prof. Friederich Ostendorfs in Karlsruhe.
Ostendorf hatte 1911 den letzten freien Bauplatz in einem teuren Wohnviertel in Karlsruhe erworben, das mit opulenten Villen im malerischen Stil des Historismus und des Jugendstils bebaut war. Hier errichtete der bekannte Architekturprofessor 1912 einen schlichten, streng gegliederten Putzbau, der gleichsam ein Credo seiner neuen Architekturauffassung bildete. Alles hatte seine Ordnung: der geschlossene Baukörper mit zwei Etagen, das streng symmetrische Dach, das mittig liegende Portal.
Es wurde betont durch zwei monumentale Säulen, die Ostendorf in eine große Nische einstellte. Dieser neoklassizistische Bau mit seiner Rückkehr zu Ordnung und Maß sowie der Formensprache „um 1800“ hatte großen Einfluss auf die Architektur der Jahre um den Ersten Weltkrieg und wurde von deren Baumeistern immer wieder kopiert, so auch von Hans Lühn in Lingen.
Die Rückseite der Bürgermeistervilla mit dem vorspringenden Gartenzimmer hatte Lühn ursprünglich viel aufwendiger geplant. Anstelle des Balkons war dort im Obergeschoss zur Gartenseite ein weiteres Wohnzimmer vorgesehen, dessen schmale Fenster durch kleine Säulen und Pfeiler gegliedert werden sollten. Darüber war ein türmchenartiger Dachausbau geplant, der aus der Dachfläche herausragen sollte. Zum Park hin wirkte diese Gartenfront äußerst repräsentativ, doch musste bei der Ausführung aus Kostengründen darauf verzichtet werden.
1925 war die Villa fertiggestellt. Der erste Bewohner des Hauses, Bürgermeister Hermann Gilles, hatte nicht lange Freude an seinem neuen Wohnsicht. Nachdem die Nationalsozialisten ihn 1933 abgesetzt hatten, musste er auch seine Dienstwohnung räumen. Später zog hier der berüchtigte NSDAP-Kreisleiter und Lingener Bürgermeister Erich Plesse ein.
1945 bezogen zunächst britische Besatzungstruppen das Gebäude und später hatten hier verschiedene städtische Ämter und Behörden ihren Sitz. Seit Ende der 60er-Jahre diente die Villa dann als Sitz der Musikschule.
Mit dem Neubau der Musikschule Anfang der 90er-Jahre wurde auch die frühere Bürgermeistervilla renoviert und erhielt einen weißen Farbanstrich, der dem alten Gebäude neuen Glanz verlieh. Doch mit der Zeit waren die durch den Baugrund verursachten statischen Schäden unübersehbar.
Daher fand in den Jahren 2023 und 2024 eine grundlegende Sanierung des Gebäudes statt. Dabei wurden die Räume im Erdgeschoss Ausstellungsräume eingerichtet und das Obergeschoss zu Büros für den Fachdienst Kultur ausgebaut. Gleichzeitig wurde das gesamte Gebäude barrierefrei erschlossen. Folgerichtig erhielt die frühere Bürgermeistervilla und Musikschule nun den Namen Kulturvilla.