VON ANDERVENNE IN DEN TOD

DAS MORDOPFER DES „KNAPP GERD“

zum Grasmähen in den Niederlanden

Die Hollandgängerei und das Heuerlingswesen sind zwei der zentralen Themen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Emslandes. Das Beispiel des Mörders „Knapp Gerd“ (Gerdhard Bernhard Kruis) und seines Mordopfers Gerhard Heinrich Langeborg gibt Einblick in die damaligen gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhänge, die im Rahmen des Gerichtsverfahrens in den Jahren 1824 und 1825 dokumentiert wurden.

Andervenne, rechts der Horneweg und der alte Hof Haarmann

Beide Männer stammten aus Andervenne und wohnten im „Hornhok“, also in etwa im Bereich des heutigen Hornewegs. „Knapp Gerd“ war dort in der dritten Generation der Heuerlingsfamilie Kruis in einer Heuerstelle des Bauern Haarmann aufgewachsen und übernahm später eine Heuerstelle in Suttrup. Langeborg, ein Bauernsohn aus Messingen, lebte dort bis zu seiner Ermordung mit Frau und Kind in einer Heuerstelle des heute verschwundenen Hofes Wilken.

Heuerhaus im Emsland

Die Heuerhäuser von Kruis und Langeborg in Andervenne sind beide nicht mehr erhalten, aber sie dürften wohl so ähnlich ausgesehen haben wie das Haus auf einem Gemälde des Lingener Landschaftsmalers Gerdhard Jansen. Die Heuerleute waren besitzlose Landarbeiter, die selber eine kleine Landwirtschaft führten. Haus und Grund hatten sie von einem Bauern gepachtet und bezahlten dafür mit Geld und Arbeitsleistung auf dem Hof des Verpächters. Ihren Lebensunterhalt konnten sie nur durch weiteren Zuerwerb sichern, etwa als Handwerker oder Tagelöhner. Doch Arbeit war knapp. Die meisten Heuerleute zogen deshalb den Sommer über zur Arbeit beim Torfstechen und Grasmähen in die Niederlande.

In diesem Heuerhaus des Bauern Weggert in Suttrup wohnte „Knapp Gerd“

Aus einer dieser armen Landarbeiterfamilien stammte auch „Knapp Gerd“ (1782-1825). Er hatte nur zwei Jahre sporadisch die Schule besucht und dann für einen Bauern die Kühe gehütet. Einen Beruf hatte er nicht erlernt, sondern diente zunächst als Kleinknecht und später als Großknecht bei einem Bauern. Ab 1804 zog er regelmäßig den Sommer über zur Arbeit nach Holland, um Geld für die Gründung einer Familie zu verdienen.

1809 heiratete er Maria Anna Hatting aus Suttrup und zog mit ihr auf eine Heuerstelle des Bauern Gosekamp in Suttrup. 1814 wechselten sie in eine Heuerstelle des Bauern Weggert im gleichen Ort. Die Familie hatte 5 Kinder. Die Frau war kränklich und die Familie geriet mit der Pacht für Haus und Grund beim Bauern immer mehr in Rückstand.

Moorsiedler in Haskerdijke (Zeichnung in Ids Wietsma)

1824 war der älteste Sohn 19 Jahre alt und begleitete seinen Vater zum ersten Mal zur Arbeit nach Holland. Sie gingen nach Haskerdijke in der Provinz Friesland. Dort hatte ein Bruder von „Knapp Gerd“ eine Siedlerstelle im Moor gegründet und zwei weitere Brüder waren ebenfalls dorthin gezogen.

Torfbaggern in Niedermoor

Vater und Sohn arbeiteten hier von Anfang Mai bis Ende Juni 1824 im Torfabbau und in der Landwirtschaft. Der Sohn kehrte dann nach Suttrup zurück. „Knapp Gerd“ aber fuhr mit einem Schiff über das Ijsselmeer nach Amsterdam und zog von dort in das Delftland, wo er schon viele Jahre bei einem Bauern in der Gemeinde Schipluiden als Korn- und Grasmäher gearbeitet hatte.

Dorfansicht von Schipluiden mit der katholischen Kirche

In Schipluiden gab es eine Reihe von katholischen Bauern und sogar eine katholische Kirche. Hier im Delftland und in der benachbarten Region Westland fanden damals viele Hollandgänger aus dem südliche Emsland eine Saisonarbeit und manche ließen sich sogar dort nieder. Eine Schwester von „Knapp Gerd“ war in Rotterdam verheiratet.

Bei der Ankunft bei seinem Bauern in Schipluiden musste „Knapp Gerd“ feststellen, dass ihm der Nachbar seines Elternhauses, Gerdhard Heinrich Langeborg, zuvor gekommen war und ihm den Arbeitsplatz weggenommen hatte. Langeborg stammte von einem großen Bauernhof in Messingen und war offenbar besser situiert als Kruis. Er war fünf Jahre jünger als „Knapp Gerd“ und hatte nur eine Tochter. Den Erlös aus der Arbeit als Grasmäher verbesserte er sich, indem er Waren für den Kaufmann Sleumer aus Freren mit nach Holland nahm, z.B. Leinen und Lederstiefel, die man dort viel teurer verkaufen konnte als im Emsland.

„Knapp Gerd“ musste sich notgedrungen einen anderen Arbeitsplatz suchen und verlor dadurch viel Zeit. Erst nach 14 Tagen fand er eine andere Arbeitsstelle, die aber schlechter bezahl war. So hatte er in dieser Saison nur wenige Verdienst. Das war tragisch, denn in der Heimat hatte er Schulden und Verbindlichkeiten.

Heimkehr der Hollandgänger

Auf dem Rückweg traf „Knapp Gerd“ auf Langeborg. Beide schlossen sich einer Gruppe von Hollandgängern aus dem Emsland an, denn gemeinsam konnte man die Gefahren der Reise, bei der jetzt die meisten viel Bargeld bei sich hatten, besser abwehren. Es kam nämlich immer wieder vor, dass Hollandgänger auf ihrer Rückreise beraubt wurden.

Gefahrvolle Rückreise mit gefülltem Geldbeutel

Mehrfach setzten sich „Knapp Gerd“ und Langeborg, die einander ja sehr gut kannten, von der Gruppe ab. Was sie zu besprechen hatte, ist unbekannt. Jedenfalls zeigten sie nach außen hin keinen Streit.

In der Nähe von „Heyls Hügel“ bei Thuine geschah die Mordtag

Vor dem letzten Abschnitt ihres gemeinsamen Weges von Baccum nach Thuine hatte sich die Gruppe aufgelöst. „Knapp Gerd“ und Langeborg waren nun unter sich. In der Nähe von „Heyls Hügel“ kurz vor Thuine setzten sie sich noch einmal zu einer Pause nieder, um eine Pfeife zu rauchen. In Thuine würden sich ihre Wege trennen. Langeborg hatte in dieser Saison gut verdient, „Knapp Gerd“ aber hatte nur wenig Geld in der Tasche.

Skizze des Schauplatzes der Mordtat (Landesarchiv Hannover)

Da schlug „Knapp Gerd“ mit einem Knüppel hinterlinks auf seinen Kameraden ein und tötete ihn durch einen weiteren Schlag mit einem Stein. Er nahm seinem Opfer das Geld ab, versteckte die Leiche und ging nach Hause.
Rasch wurde die Tat aufgedeckt und der Mörder ermittelt. Im Hause des „Knapp Gerd“ fand man das Geld, das er dem Langeborg abgenommen hatte.

Untersuchungsakte des Mordfalls

Die Mordtat und ihre Vorgeschichte wurden vom Gericht genau untersucht. Kruis war bis zu seiner Tat ein unbescholtener Mann und galt als treusorgender Familienvater. Eine lange geplante Mordabsicht wurde ihm nicht unterstellt, aber da er den Erschlagenen beraubt hatte, war die Todesstrafe unabwendbar. Auf Raubmord stand der Tot durch Rädern, eine grausame Art der Hinrichtung, die als unehrenhaft galt. Dies wollte man Kruis und seinen Angehörigen offenbar ersparen und plädierte auf Totschlag und anschließenden Raub. Darauf stand der Tod durch das Schwert.

Ein Versuch, Kruis durch einen Erlass des Königs von Hannover zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe zu begnadigen, war nicht erfolgreich. So wurde „Knapp Gerd“ am 19. Juli 1825 auf dem Laxter Feld in der Nähe des Gierenberges mit dem Schwert enthauptet. Die Leiche wurde in einem Sarg neben dem Richtplatz beerdigt. Es war die letzte öffentliche Hinrichtung im Raum Lingen, an der damals viele Schaulustige teilnahmen.

„Knappgerds Grab“ im Lingener Wald in Laxten

Die Hinrichtungsstätte zählte unter dem Namen „Knapp Gerds Grab“ bald zu den sagenhaften Orten im Emsland und in der Überlieferung ist diese Hinrichtung in vielen Details bis heute lebendig. Später wurde dort sogar ein Erinnerungsstein für den Hingerichteten aufgestellt.

Erinnerungsstein für den Ermordeten in Thuine

An den Ermordeten, der eine Frau und eine Tochter hinterließ, dachte zunächst offenbar niemand. Langeborg wurde am 15. September in Thuine beerdingt. Das weitere Schicksal seiner Frau und seiner Tochter ist ungeklärt. Erst im Jahr 2000 setzte der Heimatverein Thuine in der Nähe des Tatortes von 1824 einen Erinnerungsstein für den Ermordeten.