KAPELLE IN LINGEN-ESTRINGEN IST „KIRCHE DES MONATS“ IM AUGUST
In Zeiten, in denen in vielen Orten Kirchen umgewidmet oder abgebrochen werden, lädt die Kapellengemeinde St. Antonius am Sonntag (11.8.24) alle Interessierten um 15.00 Uhr zu einer Besichtigung ihres Gotteshauses im Rahmen der ökumenischen Aktion „Kirche des Monats“ ein. Dr. Andreas Eiynck, der scheidende Leiter des Emslandmuseums in Lingen, wird die Kapelle, ihre Geschichte und Einrichtung vorstellen. Anschließend gibt es Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus.
Estringen war im Mittelalter ein Teil des „Hüvetfeldes“, einer Siedlungskammer, die auch Rottum, Hüvede und Teile von Bramsche umfasste. Hier soll in Hüvede in der Nähe des Hofes Sperver eine erste Kirche gestanden haben. Später kam Hüvede an die Kirche in Bramsche, Estringen mit Polle und Rottum jedoch an die Bonifatiusgemeinde in Lingen. Wegen des weiten Weges nach Lingen gab es aber bald den Wunsch der Einwohner, hier eine eigene Kapelle mit einem Friedhof zu errichten.
Zwei Holländische Damen, so überliefert eine alte Sage, sollten den Kirchenbau gestiftet haben, der laut einer Inschrift in römischen Ziffern über dem heute vermauerten Südportal 1520 vollendet war. Als Patron erhielt das neue Gotteshaus den Heiligen Antonius. Als Eremit, der mit seinen Schweinen allein in der Wüste lebte, war er im Mittelalter ein beliebter Schutzheiliger für Bauerschaftskapellen und galt als Beschützer des Viehs.
Auf den Strebepfeilers des aus Sandsteinblöcken im gotischen Stil errichteten Gebäudes sind verschiedene Hausmarken (Bauernzeichen) und das Wappen der Grafen von Tecklen burg-Lingen dargestellt. Vielleicht stammten die „holländischen Damen“ aus dem Umfeld des Grafenhauses.
In der Reformationszeit wurde die Kapelle an die Reformierte Gemeinde in Lingen übergeben. Da aber fast alle Bauern in Estringen katholisch blieben, erhielten sie die Kapelle 1726 zurück. Nachdem im 18. Jahrhundert einige Bauern zum Calvinismus übertraten, wurde die Kapelle und der Friedhof von Katholiken und Reformierten gemeinsam genutzt.
Aus der Bauzeit der Kapelle stammt eine gotische Schnitzfigur des Heiligen Joachim (Ehemann der Heiligen Anna und damit Großvater Jesu). Das Kreuz mit dem geschnitzten Korpus in der Sakristei stammt aus dem 18. Jahrhundert.
1756 war die Kapelle dringend renovierungsbedürftig. Die Regierung ließ die Kosten ermitteln. Wegen des hohen Finanzaufwandes und der geringen Nutzung der Kapelle wurden die Bauarbeiten jedoch mehrfach verzögert. 1806 schlug ein weiterer Baugutachter vor, die Kapelle abzubrechen und das Steinmaterial zum Bau einer Brück zu nutzen. Dies wurde jedoch abgelehnt und sämtliche Familien aus der Kapellengemeind erklärten, „daß sie es lieben sehen würden, wenn man ihre Häuser als die Kapelle abbräche“.
1827 wurde die Kapelle zu einem Klassenzimmer für eine Bauerschaftsschule umgebaut. Der östliche, durch eine Querwand abgetrennte Raum diente nun als Lagerraum. In diesem Zustand blieb die Kapelle bis nach dem Ersten Weltkrieg. Dann wurde beschlossen, eine neue Schule zu errichten und das Kapellengebäude wieder für Gottesdienste herzurichten.
Unter der Leitung des Lingener Architekten Hans Lühn wurde die mittelalterliche Architektur wiederhergestellt und ein neues Gewölbe eingezogen. In einem damaligen Zeitungsbericht heißt es über die Einweihung: „Nach der kirchlichen Feier folgte ein Festessen im Hause des Hofbesitzers Weß, an dem etwa 65 Personen teilnahmen. Während dessen dankte Pfarrer Hilling der Samtgemeinde Estringen-Rottum-Polle für ihren vorbildlichen Opfersinn und beglückwünschte sie zum schmucken Gotteshaus, das sich wie ein Phönix aus der Asche erhoben habe. Pfarrer Rothlübbers aus Elbergen erfreute sich mit den Estringen über das neue Gotteshaus, in dem der alte Elberger Altar zu neuen Ehren gekommen sei. Rektor Nölker betonte die großen Verdienste des Architekten Hans Lühn, der dem neuerstandenen Kirchlein alle Liebe seines kunstsinnigen Herzens zugewandt habe, und pries dann die meisterhafte Tätigkeit des Mauermeisters Pieper aus Bramsche, des Tischlermeisters J. Berning aus Lingen und des Glasmalermeisters Schlüter aus Münster.“
Den Hochalter erhielt die Kapellengemeinde Esteringen von der Kirchengemeinde Elbergen, wo damals ein neuer Altar aufgestellt wurde. Aus der Kirche in Groß Hesepe konnte man vier lebensgroße Evangelistenfiguren erwerben, die in Anlehnung an ihre Herkunft bis heute die „Heseper Buern“ genannt werden. Sie wurden 2022 vom Künstler und Restaurator Wolfgang Tautz aus Lohne restauriert und dabei in ihrer ursprünglichen Farbfassung wiederhergestellt.
Infolge der Liturgiereform in der Katholischen Kirche in den 60er-Jahren musste der Altarraum umgestaltet und mit einem neuen Zelebrationsaltar ausgestattet werden. Dafür war der vorhandene Raum aber zu klein und daher wurde die Kapelle 1966/67 nach Westen hin um einem zweigeschossigen Anbau mit einem kleinen Türmchen und einem Gemeinderaum sowie einer Heizung im Kellergeschoss erweitert.
Die Pläne lieferte der Lingener Architekt Hermann Klaas, der auch die Bauleitung übernahm. Um den Anbau deutlich vom historischen Gebäudeteil abzusetzen, wählte Baumeister Klaas bewusst und konsequent moderne Bauformen, die dem Geist der damaligen Zeit entsprachen. Der gelber Klinker sollte dafür sorgen, dass das Gebäude von weitem als einheitlicher Baukörper wirkte.
Modern und ganz im Stil der 60er-Jahre gestaltet sind die schönen Glasfenster im Erweiterungsbau. Sie zeigen den Heiligen Geist, der auf die Erde herabströmt, und das Wasser des Lebens.
In den 70er-Jahren wurde die Ausstattung des Altarraumes durch Bronzearbeiten des Bildhauers Josef Krautwald aus Rheine vervollständigt. Das Lesepult zeigt das Gleichnis vom Sämann und der Kerzenständer Wundergeschichten aus dem Leben Jesu (Fischwunder, Heilung eines Kranken, Emausgang).
Der Friedhof wurde in den 70er-Jahren aus dem direkten Umfeld der Kirche an einen neuen Standort am Rande des Dorfes verlegt. Der einzige erhaltene Grabstein erinnert an Pfarrer Matthias Nölker, einen Bauernsohn aus Estringen, der von 1939 bis 1961 Pfarrer als Pfarrer in Baccum diente und dann als Ruheständler nach Estringen zurückkehrte. Er starb allerdings schon im Jahr darauf 1962. Hinter seiner Grabstelle erinnert ein großes Friedhofskreuz an die hier seit dem Mittelalter begrabenen Toten aus Estringen, Rottum und Polle.