Emmy von Dincklage und der Fotograf Fritz Hüsig
1909 hat die bekannte Emslandschriftstellerin Emmy von Dincklage dem Lingener Fotografen Fritz Hüsig in ihrer Erzählung „Christblumen“ in der Zeitschrift Niedersachsen ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie berichtet darin, wie
eine große Bauernfamilie aus der Grafschaft Bentheim bei Hüsig zu einem Fototermin erscheint. Bald gibt es Streit um die Positionen auf dem Bild, denn jeder möchte den besten Platz auf dem Foto. Emmy schreibt: „Der Photograph beabsichtigte, die Familie zu gruppieren, um ein künstlerisches Gesamtbild herzustellen. Davon wollte aber Frau Adriane Schulte nichts wissen. Sie verlangte, man solle gebührlich und ehrbar in der Reihe sitzen, wie in der Kirche.“ Also übernahm die Bäuerin das Kommando, setzte den Sohn neben den Großvater und die Enkel neben den Vater. Die Töchter und Schwiegertöchter erhielten ihren Platz jedoch nach der Anzahl der Kinder. Fritz Hüsig machte gute Miene zum bösen Spiel.
„Seid ihr noch nicht fertig!“ rief der Photograph und steckte den Kopf unter die schwarze Decke, die über dem Apparat lag. Sie waren fertig. Der kleine Everwin machte ein dummes Gesicht, und der Enkel Hindrik schnitt hinter dem Rücken seiner Mutter eine Fratze. Nachdem Herr Hüsig das Bild für gelungen erklärte, zog Frau Adriane, wie eine alte Henne, mit ihrem Gefolge wieder ab. Everwin, der Großvater an seiner Seite, dann die beiden Töchter, dann die Schwiegertöchter, die Schwiegersöhne und die Kinder.“
So oder so ähnlich dürfte es sich zugetragen haben sein, wenn Fritz Hüsig mit seiner Kamera in die Dörfer im Emsland und in der Grafschaft Bentheim fuhr, um Familienporträts aufzunehmen. Die Ergebnisse sieht man noch heute auf vielen erhaltenen Fotografien. Es sind „Sonntagsaufnahmen“, bei denen sich die Familien vom Lande in ihre besten Kleidungsstücke warfen, um sich einzeln, in kleinen Gruppen oder als ganze Großfamilien ablichten zu lassen. Die Damen, speziell die Omas, tragen auf den Fotos gelegentlich noch die alten emsländischen oder grafschafter Trachten, besonders die typischen Trachtenhauben, die bei katholischen und evangelischen Frauen ganz unterschiedlich gestaltet waren. Daher bilden Fritz Hüsigs Fotos heute auch eine wichtige Quelle zur Kleidungsforschung, denn auf ihnen kann man erkennen, wie alten Trachtenstücke, die heute noch in Museen und Sammlungen schlummern, einst getragen wurden.
Warum Fritz Hüsig vorzugsweise in die Grafschaft Bentheim reiste, ist unbekannt. Vielleicht kamen ihm dort ja nicht so viele Konkurrenten in die Quere, denn eine Reise in die Grafschaft war damals noch beschwerlich. Bis Bad Bentheim fuhr die Eisenbahn schon seit 1865. Aber die Strecke über Nordhorn in die Niedergrafschaft ging erst 1895 in Betrieb und viele kleinere Orte waren auch später nur mit Pferd und Wagen erreichbar. Doch auch dort reiste Fritz Hüsig mit seiner Kameraausrüstung von Dorf zu Dorf, um die Familien vor Ort zu fotografieren.