Vor 250 Jahren „bunt und blau geschlagen“

Eine Landkarte von 1771 dokumentiert Grenzstreit Emsbüren-Engden-Lohne

Die 250 Jahre alte Grenzkarte zum Markenstreit von 1771 (Emslandmuseum Lingen, Inv.Nr. 3470)

Die Grenze zwischen dem Emsland und der Grafschaft Bentheim war bis in das 18. Jahrhundert nur grob festgelegt. Ständig kam es um Streitigkeiten …

Schäfer und Kuhhirte streiten um Weiderechte an einer Markengrenze (Holzschnitt, 18. Jahrhundert)

um Weiderechte sowie um die Rechte an Brenntorf und Heideplaggen, die man als Einstreu für die Ställe benötigte.

In der Zeit des Fürstbischofs Clemens August war man sich zumindest einig, die Grenzstreitigkeiten durch Verhandlungen friedlich zu klären. In den 1740er Jahren meldeten zunächst beide Seiten ihre Ansprüche als „praetendierte Limiten“ an, hielten diese in detaillierten Karten fest und berechneten die strittigen Flächen. (1)


1767 wurde eine Kommission mit hochrangigen Vertretern beider Seiten einberufen, die zur Regulierung des Grenzabschnitts zwischen Bentheim und dem münsterischen Amt Rheine (mit Salzbergen, Emsbüren und Schepsdorf-Lohne) am 3. Oktober 1767 in Leschede zusammentrat. Sie besichtigte die Grenze und tagte eine Woche lang abwechselnd in Leschede und Bentheim. Beide Seiten kamen überein, die strittige Fläche („Streitmark“) zwischen dem Haarpfahl im Süden und dem Rundenberg (westlich Herzford) hälftig zu teilen und die neue Grenze als mathematische Ausgleichslinie möglichst gradlinig zu ermitteln. Diese Linie sollte gleichzeitig alle privaten Rechte der Markengemeinden wie Plaggenmaht, Torfstich und Hude mit Hirten begrenzen. Nur das freilaufende Vieh sollte auch zukünftig in der gesamten Streitmark weiden dürfen.

Über den nördlich anschließenden Abschnitt im Kirchspiel Schepsdorf-Lohne wurde Mitte Oktober in Herzford und Nordhorn verhandelt. Auch dort sollte die Streitmark hälftig geteilt werden. Für die Grenze im Bereich der Engder Mark konnte jedoch kein Ergebnis erzielt werden, weil die Engder Markgenossenschaft sich in einem Streit um Gebiete westlich der geplanten Landesgrenze an das Reichskammergericht gewandt hatte und dieses Urteil erst abgewartet werden musste.

Ende Oktober 1767 wurden die Verhandlungen in Bentheim und Ochtrup fortgesetzt und die Vereinbarung am 30. Oktober endgültig unterzeichnet. (2) Dieser Grenzvergleich wurde durch Erzbischof Maximilian von Köln als Bischof von Münster und von König Georg III. von Großbritannien als Kurfürst von Hannover und Pfandherr über Bentheim ratifiziert.


1768 wurden die entsprechenden Grenzsteine auf der vereinbarten Linie aufgestellt. Sie waren von Süd nach Nord fortlaufend nummeriert. Die Grenze im Bereich der Engder Mark zwischen den Steinen 31 und 32 musste man bei der Grenzziehung 1767/1768 zunächst ausklammern. Schon 1736 war es dort zu einem Zwischenfall gekommen. Die Engder hatten ein Moorstück ganz im Westen ihrer Mark in Parzellen aufgeteilt. Einige Nutzungsberechtigte verpachteten diese Torfgruben an Einwohner von Emsbüren und Rheine. Die Lescheder Markengenossen machten aber eigene Rechte auf dieses Moorgebiet geltend, rissen die Teilungspfähle heraus und nahmen den dort lagernden Torf mit nach Leschede. Als sie ein paar Tage später ihr Vieh in das strittige Gebiet trieben, fingen die Engder die Tiere ein. Aus dem Streit wurde rasch eine Grenzfehde, in die sich auch die Bauerschaften Berge, Hanwische, Bernte und Elbergen einschalteten. Im Juni 1736 fielen die Emsbürener mit 120 Mann und ein Jahr später mit 300 Mann in Engden ein, raubten Vieh und Torf aus der Mark. All dies geschah anscheinend mit Rückendeckung der münsterischen Behörden.

Grenzstein der Engder Mark von 1793

Die Engder Markengenossen reichten daraufhin Klage beim Reichskammergericht in Wetzlar ein. Die dortigen Verfahren zogen sich jedoch häufig über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hin. Die Übergriffe der Emsbürener gingen unterdessen weiter, obwohl das Gericht eine ernsthafte Mahnung erlassen und Zwangsgelder angedroht hatte. Als Münster und Bentheim sich 1768 friedlich über ihre Grenze einigten, lief der Prozess in Wetzlar immer noch. Ein paar Jahre später fielen dann auch noch die Lohner in das Engder Gebiet ein. Es kam erneut zu regelrechten Grenzfehden, bei denen man sich gegenseitig „bunt und blau“ schlug. (3)

Über diesen Zwischenfall, der sich offenbar im Februar 1771 ereignete, berichtet eine alte Landkarte im Emslandmuseum, auf der ein längerer Text über den Hergang der Ereignisse berichtet.:

„Extract [Auszug] Auß die Große Commission Charte darin Gewesenen streitigen Gräntzen, zwischen den Hochstift Münster und die Grafschaft Bentheim, wie die selbe in Anno 1769 verglichen und mit Steinen abgesetzt worden, die Engdener aber wie sie von Kayserl. Cammer-Gericht in Possessorio Manuteniert [ins vorläufige Besitzrecht eingesetzt] so seind sie bey ihre Possession [Besitzanspruch] belaßen. Habe demnächst auf Begehren deren Engder, hierbey Abmeßen und verzeichnen sollen, die Örther, wo die Lohner in Febr. 1771 in die Engder und Hesoper Marckten [Gemeindeflächen], Langs der Bercken Haar einen Einfall gethan, viel Heyde Alda Gemähet, und weg geführet, selbige Meßung d. 28. Febr. Verrichtet, und in diese Charte verzeichnet, wie solches mit folgenden Buchstaben ist angegeben:

B den Orth, wo die Schlägerei geschehen,

Daß dieses Meßung nach Anweisung der Engder und Hesoper Baurmänner richtig geschehen bescheinige hiermit

Gildehaus d. 5. Mertz 1771 J. Schrader Beäydeter Landtmeßer der Reichs Grafschaft Bentheim“


1788 erging endlich das Urteil des Reichskammergerichtes, das die strittige Fläche in allen wesentlichen Punkten der Engder Mark zusprach. Daraufhin schlossen die Engder Markengenossen und die Münsterische Regierung 1792 einen Grenzvergleich, der 1793 ratifiziert wurde. Münster erkannte die Rechte der Engder Mark an. Die Landesgrenze Münster-Bentheim sollte an die Engder Markengrenze angepasst und die neue Grenzlinie, gleichzeitig Landes- und Markengrenze, durch Steine markiert werden.

Hierzu mussten Münster und Bentheim die Staatsgrenze aus ihrem ansonsten fast gradlinigen Verlauf von Salzbergen bis Wietmarschen im Bereich der Engder Mark für ein paar Kilometer um etwa 250 Meter nach Osten verschieben. Dieser Versprung ist in allen damaligen Landkarten deutlich zu erkennen.

Die 1768 bzw. 1793 vereinbarte Grenze Münster-Bentheim entspricht heute im Bereich der Gemeinden Salzbergen und Emsbüren der Grenze zwischen den Landkreisen Emsland und Grafschaft Bentheim. Der 1793 notwendige Versprung in der Grenze zu Engden ist bis heute wirksam geblieben.

Weiterführende Literatur:

[1] Andreas Eiynck: Grenzen verbinden Nachbarräume. Alte Grenzen und Grenzssteine im südlichen Emsland. Lingen 2011.

[2] Ludwig Schriever: Geschichte des Kreises Lingen, II. Teil, Geschichte der einzelnen Kirchspiele. Lingen 1910, S. 437-439.

[3] Rudolf Schmitz: Zum Grenzstreit der Markengenossen der Bauerschaft Engden. In: Festschrift 150 Jahre St. Hubertus-Schützenverein Leschede 1841-1991. Emsbüren 1991, S. 79-89.