Architektur und Bürokratie der 60er-Jahre
Im Dezember 1966 wurde mit einer großen Feierstunde im neuen Ratssitzungssaal das Neue Rathaus offiziell eingeweiht. Kein anderes Gebäude in Lingen verkörpert in vergleichbarer Weise die moderne Architektur und Bürokultur der 60er-Jahre. Es markiert aber auch den Einzug der Bürokratie in die kommunale Selbstverwaltung zu dieser Zeit.
Das von den Architekten Prof. Carl Rotermund und Dr. Ing. W Sommer aus Bremen entworfene Verwaltungshochhaus war ganz im Stil des modernen Funktionalismus gehalten. Kubische Formen und gerade Linien bestimmten die Konturen des Gebäudes.
Eine Waschbetonverkleidung der Außenwände und gelbe Klinkerwände im Inneren sorgten für eine kalte Materialität mit nüchterner Ausstrahlung. 1965 begann nach umfangreichen Vorplanungen der Bau des Gebäudes.
Der parlamentarische Bereich mit dem Ratssitzungssaal war vom Bürogebäude absetzt und symbolisierte schon äußerlich die Polarität von Rat und Verwaltung. Der Ratssaal strahlte mit seinen konsequent modernen geometrischen Formen eine gewisse Sterilität aus, wie sie dem Stil der klassischen Moderne entsprach. Statt der urigen Gemütlichkeit im Spiegel der Jahrhunderte bei den Sitzungen im historischen Rathaus herrschte hier eine nüchterne Atmosphäre.
Statt drangvoller Enge wie im alten Verwaltungsgebäude am Markt gab es nun wohlgeordnete Bürokratie auf sechs Etagen hoch über den Dächern der Stadt.
Die Treppenhäuser wurden zum zentralen Kommunikationszentrum der Verwaltung. Abstecher auf den Wochenmarkt oder zu einer Erfrischungspause waren jetzt mit Treppensteigen verbunden oder konnten im Aufzug zu unliebsamen Begegnungen mit den Vorgesetzten führen.
Das Büro des Stadtdirektors, der Sitzungsraum für die Ausschüsse und das Trauzimmer vermittelten einen aus heutiger Sicht sehr sachlich geprägten Einrichtungsstil, den man damals als modern empfand.
Viel Licht und viel Fläche sollten den Aufenthalt angenehm gestalten und den Eindruck enger Büroflure vermeiden..
Hinzu kam das von einer gewissen Leichtigkeit geprägte Mobiliar in den typishen Formen der 60er-Jahre.
Die damaligen Bauzeichnungen geben einen Eindruck von der Größe des neu erbauten Verwaltungsgebäudes, die damals von vielen Zeitgenossen als überzogen betrachtet wurde. Doch waren im Erdgeschoss des Sitzungssaals auch eine Gaststätte (die „Ratsstuben“) und im Flügelbau entlang der Elisabethstraße die Commerzbank und Einzelhandelsgeschäfte untergebracht.
Ab 1969 erweiterte sich die Verwaltung ohnehin durch die Eingemeindung von Laxten und Darme erheblich und als Anfang der 70er-Jahre weitere Ortsteile und neue Aufgaben für die Kommunen hinzukamen, platzte die Verwaltung im Neuen Rathaus schon bald wieder aus allen Nähten. Erneut mussten ganze Abteilungen in andere Gebäude in der Innenstadt ausgelagert werden. Und so blieb es trotz zahlreicher Um- und Anbauten bis heute.