Kiesbahn und Kiesbergstraße erinnern an das „geringste Geschöpf Gottes“
Ein Besucher unseres Blogs, Herr Simon Müller, hat angeregt, doch mal etwas über die Kiesgruben in und um Lingen zu bringen. Nun, so ganz viel haben wir bislang dazu …
selber leider noch nicht gefunden. Aber wir fangen hier schon mal an. In der alten Kreisbeschreibung des Landkreises Lingen von 1954 heißt es zu diesem Thema:
„Mit nutzbaren Gesteinen und Erden ist das Kreisgebiet nicht besonders ausgestattet, hochwertige Rohstoffe fehlen überhaupt. Es kommen vor: Kies und Sand, Ton und Schieferton, Lehm, Torf, Raseneisenerz.
Reine Kiese von guter Beschaffenheit fehlen. Meist sind die Kiese mit Sand oder lehmigem Sand vermengt oder sie treten als wenig ausgedehnte Linsen oder nesterartige Lager in kiesigen Sandmassen auf. Die Korngröße schwankt stark. Das Material ist teilweise kristalliner, teils sedimentärer Herkunft; Kiese mit hohem Quarzgeröll-Anteil finden sich nur in der Nähe von Laxten. Bei entsprechender Beschaffenheit ist eine Verwendung als Betonkies, sonst nur als Straßen- und Wegebaumaterial möglich. Größere Kieswerke fehlen. Durch die Verwendung von Wascheinrichtungen könnte die Qualität verbessert werden. …“
Woher stammen dann aber die Straßennahmen Kiesbahn und Kiesbergstraße? Die Kiesbahn entstand in der Zeit um 1850 mit dem Bau der Eisenbahn von Rheine nach Emden. Sie wurde in der Höhe von Darme auf einem hohen Damm durch die Emsniederung geführt. In der Chronik der Bahnstrecke heißt es hierzu:
„Zwischen Emden und Papenburg hatte man mit den Erdarbeiten bereits im Jahre 1851, zwischen Papenburg und Meppen Ende 1852 und zwischen Meppen und Lingen Ende 1853 begonnen. Ende September 1853 wurden die Pfeiler der Brücke in Hanekenfähr gebaut. Die Hochbauten in Lingen wurden 1854 und 1855 ausgeführt.
Die ersten Schienen bezog man aus England. Sie waren mit einem breiten Fuß ausgebildet (Breitfußschienen, Vignolschienen) und wurden auf den querliegenden Holzschwellen druch Unterlagsplatten mit Hakennägeln befestigt. Dieses Gleisrost wurde in Kiesbettung verlegt. Der erforderliche Kies wurde für die hiesige Gegend Grundstücken aus Darme und Laxten entnommen.“
Ein Zeitzeuge schrieb 1905 über den Eisenbahnbau: „Der Bau begann im September 1853 an der Eisenbahnbrücke bei Hanekenfähr. Scharen von auswärtigen Arbeitern erschienen; die einheimischen Ziegeleien arbeiteten mit aller Kraft und erzielten statt der früheren 18 Mark nunmehr 48 Mark für 1000 Steine. Unsere Kiefern machten sich als Telegraphenstangen, unsere Eichen als Schwellen gut bezahlt. Der bislang als das geringste Geschöpf Gottes angesehene Kies lieferte in den Gruben von Hohendarme, Leschede und Steide reiche Ausbeute zu hohen Preisen…“
Dass Unglücksfälle dabei nicht ausblieben, zeigt eine Zeitungsmitteilung der Eisenbahnaufseher Bode und Westmacher vom 7. Dezember 1855, nach der für die Familie des bei der Kiesabfuhr verunglückten Arbeiters Jörling von den Schachtmeistern und Arbeitern sowie von Bürgern „im Ganzen 47 Thaler und 9 Gut Groschen“ aufgebracht wurden.“ Ein Zeitzeuge erinnerte sich späten: „Auch die Jugend nutzt die Gelegenheit, um an Sonntagen mit den Arbeitswagen an der Kiesentnahmestelle in Laxten spazieren zu fahren. In einigen Fällen soll es aber nicht ohne Armbrüche abgegangen sein.“
Für die historischen Fotos von der Kiesbergstraße danken wir Frau Hanni Rickling vom Heimatverein Lingen sowie den Geschwistern Dust aus Laxten. Die Farbfotos sind entnommen aus dem nagelneuen Buch „Hofgeschichten – Familie Bockmeyer. Eine spannende Kutschfahrt durch unsere ganz eigene Geschichte“.