Impressionen aus 75 Jahren gelebter Demokratie in Lingen
Ein wichtiges Prinzip der deutschen Verfassung war von alters her die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden. Schon im Mittelalter wurden hierfür Stadt- und …
Gemeinderäte gebildet. Gewählt wurden sie damals aber nicht in freien und gleichen Wahlen, sondern als Vertretung der sogenannten Stände, also der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Die Anzahl der jeweiligen Sitze war vorher festgelegt, so dass den Herrschenden die Mehrheit im Rat stets sicher war.
Erst im 19. Jahrhundert setzte sich das demokratische Prinzip durch und nach dem Ersten Weltkrieg gab es die ersten freien Kommunalwahlen, bei denen jeder Wähler und seit 1919 auch jede Wählerin die gleiche Stimme hatte. 1933 schafften die Nationalsozialisten dieses System sofort wieder ab und ernannten Räte und Bürgermeister nach dem sogenannten Führerprinzip. Das Wahlrecht der Bevölkerung war damit abgeschafft und ein willkürliches Herrschaftssystem geschaffen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg führten die vier Besatzungsmächte wieder demokratische Strukturen ein, wobei in der sowjetischen Zone die Kommunisten grundsätzlich bevorzugt wurden. In der britischen Zone, zu der auch das Emsland gehörte, fanden die ersten Kommunalwahlen am 15. September 1946 statt. Einen Monat später folgten die Kreistagswahlen und im Frühjahr 1947 die Landtagswahlen im neu gegründeten Bundesland Niedersachsen.
Die SPD und die KPD wurden nach dem Krieg wiedergegründet. Aus den früheren nationalliberalen Parteien ging die FDP hervor. Hinzu kamen eigene Parteien für die Flüchtlinge und Vertriebenen, vor allem der BHE, der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Im Raum Lingen wurde die Zentrumspartei als katholische Interessenvertretung wiedergegründet. Konkurrenz erhielt sie von der neu gegründeten CDU als christliche Volkspartei für Wähler aller Konfessionen. Während der Stimmenanteil des Zentrums im Laufe der Jahre immer mehr zurückging, stieg die CDU in allen Städten und Gemeinden des Emslandes zur führenden politischen Kraft mit satten Mehrheiten auf. Auch unabhängige Wählergemeinschaften traten vielerorts zu den Kommunalwahlen an und erhielten besonders aus Protest gegen die Eingemeindungen in den 70er Jahren beachtliche Stimmenanteile. Später zogen auch die Grünen als weitere Partei in viele Stadträte ein. Auf dem Lande blieb ihr Wähleranteil vergleichsweise gering.
In den 50er-Jahren war Politik im Emsland noch reine Männersache. Erst ganz allmählich zogen einzelne Frauen in die Räte ein, häufig als Vertreterinnen sozialer Verbände und Funktionen. Noch in den 60er- und 70er-Jahren war der Frauenanteil in den Gremien verschwindend gering.
Erst in den 90er Jahren wurden die ersten Bürgermeisterinnen gewählt, in Lingen waren dies Ursula Ramelow und später Monika Heinen. Heute gibt es in einigen Gemeinden der Region sogar hauptamtliche Bürgermeisterinnen, etwa Maria Lindemann Spelle oder Daniela Kösters in Emlichheim.
Bekannte CDU-Ratsfrauen in Lingen waren darüber hinaus Elisabeth Feldhaus und Leni Johannsen, die später zur UWG wechselte. Bekannte Kommunalpolitikerinnen der SPD waren Ruth West, Elke Müller, Brigitte Brüggmann und Edeltraut Graeßner, für die Grünen kam Birgit Kemmer in den Rat.
Einigen Lingener Ratsmitgliedern gelang die Wahl in den niedersächsischen Landtag, etwa Elke Müller von der SPD sowie Heinz Rolfes und Christian Fühner von der CDU. Der SPD-Ratsherr Willi Wolf war von 1963 bis 1976 Mitglied des deutschen Bundestages.
Manche Ratsherren können auf eine langjährige kommunalpolitische Oppositionstätigkeit zurückblicken, in Lingen vor allem Robert Koop von den Bürgernahen, der wohl nicht nur als bekennender Blogger, sondern auch als Alterspräsident in den neuen Stadtrat einziehen dürfte.
Anstrengende Sitzung im Neuen Rathaus bei Bier und Zigaretten